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Raimar Stange über Möchtegern-Kunst (no English translation provided: title translates as : On Wanna be Art)

Als Susanne Gaensheimer den plakativ-provokanten Film-, TV-, Opern- und Theaterregisseur Christoph Schlingensief für den Deutschen Pavillon der Venedig Biennale 2011 nominierte, reagierte dieser in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ prompt überrascht: „Ich bin doch kein bildender Künstler“. Posthum gewann der im August 2010 an Lungenkrebs gestorbene Schlingensief dann dort trotzdem den Goldenen Löwen. Kein Wunder: In der Jury saßen damals so intime Kunstkenner wie der US-amerikanische Filmregisseur  John Waters (dazu später mehr). Heute werden „Gemälde“, richtiger: Teile von Schlingensiefs Bühnenbilder, von der Galerie Hauser & Wirth weltweit mehr oder weniger erfolgreich vertrieben – wohl gemerkt: als bildende Kunst! Und gerade haben die Berliner „KunstWerke“ eine groß angelegte Retrospektive seiner ästhetischen Arbeit auf gleich vier Etagen ihres Ausstellungshauses präsentiert. Worum aber handelt es sich, wenn ein erklärter Nicht-Bildender-Künstler - der übrigens u. a. bei der TV- Serie „Lindenstraße“ sein filmisches Handwerk gelernt hat! - so prominent im Kunstbetrieb verhandelt wird? Vielleicht um das spätestens seit den 1990er Jahren ausgerufene „Crossover“ in der Kunst?

Da aber ist Skepsis angesagt, denn ein Charakteristikum dieser künstlerischen Crossover war damals, dass es tatsächlich bildende Künstler und Künstlerinnen waren, die dann ihre Arbeit mit Elementen und Strategien vermischten, die eigentlich in anderen, nicht unbedingt kunstfernen, aber dennoch anderen Betriebssystemen zu Hause waren. Dan Peterman etwa nutzte ökologische Techniken des Recyclings für seine Kunst, Andrea Zittel agierte gleichsam als Architektin, Tobias Rehberger integrierte das Design in seine Arbeit, Rirkrit Tirivanija u.a. das Kochen, Christine & Irene Hohenbüchler die (pädagogische) Sozialarbeit,  Jutta Koether die (dilettantische) Musik …. Signifikant ist die Richtung dieser Crossover, die, wie gesagt, immer von der Kunst ausgingen und dort letztlich, trotz des oft geäußerten Anspruches die Trennung von Kunst und Leben aufzulösen, auch verblieben. Signifikant ist diese Bewegung, weil sie zumindest dieses garantiert: Die grenzüberschreitenden Protagonisten starten ihr Crossover auf der Basis einer professionellen Kunstauffassung, eines studierten Know-hows und haben ihr Hand- und Denkwerk eben nicht z. B. in massenmedialen Sendeanstalten gelernt .Das Problem aber scheint zu sein, dass diese Crossover die Pforten geöffnet haben für solche, die andere Ausgangspunkte als die Kunst haben, etwa Mode, Photographie oder Musik..

Jüngst war die deutsche Elektronikrock-Band „Kraftwerk“ sowohl im MoMa in New York, wie im Münchner Lembachhaus und später in der Berliner Galerie SprüthMagers zu hören und zu sehen. Offensichtlich ist hier die besagte Richtung des Crossover wie schon bei Schlingensief quasi umgekehrt, aus dem Betriebssystem Pop geht es jetzt mitten hinein in den ach so hehren Kunstbetrieb, und dieses auf dem vermeintlichen „Weltniveau“ der aufgezählten Institutionen. „Kraftwerk“ nun gelten als „Pioniere“ der elektronischen Musik, eine Behauptung, die allerdings mit einer ernst gemeinten Recherche nicht zu untermauern ist. Wahr ist eher, dass Kraftwerk zu einer der ersten Bands gehört, denen es gelang dieses Genre popfähig zu gestalten. Immer wieder wird auch betont, dass „Kraftwerk“ ein „Gesamtkunstwerk“ aus Bühnenbild, Musik, Covergestaltung und aus dem Erscheinungsbild der Musiker geschaffen hätte. Ja, eine Gesamtgestaltung haben die Jungs präsentiert, genau wie schon „The Beatles“ und vor allem auch „The Velvet Underground“ vor ihnen, letztere immerhin mit Andy Warhol als Chefdesigner. Doch gelten diese beiden Bands als „Kunst“?! Auch dass einer der „Kraftwerk“-Musiker wohl eine Zeitlang in der Beuys-Klasse in Düsseldorf studierte ist ein eher dürftiges Argument, haben doch einerseits sehr viele Rockmusiker eine Zeit lang Kunst studiert, ohne gleich von ihrer Musik als Kunst zu sprechen. Das Spektrum der letzten 50 Jahre reicht so etwa von dem Gitarristen Pete Townshend von „The Who“ bis hin zu dem Sänger Michael Stipe von „R.E.M.“. Andererseits hat die Musik von „Kraftwerk“ rein gar nichts mit den künstlerischen Ansätzen von Joseph Beuys gemein, von einem „erweiterten Musikbegriff“ z. B. kann hier in keinster Weise die Rede sein, denn mit elektronischen Mitteln haben vor der Band schon längst etablierte Musiker wie Pierre Boulez, Mauricio Kagel oder Karlheinz Stockhausen überaus salonfähig gearbeitet. Warum also wurde „Kraftwerk“ im New Yorker MoMa gezeigt? - weil es der Institution eine neue „Zielgruppe“ besorgen soll, weil die Institution so ihre Offenheit und Modernität beweisen will..Und weil es umgekehrt dem Ego und dem Marktwert der Band gut tut mit dem symbolischen Mehrwert von hehrer Kunst geadelt zu werden. 

Der „Neue Kunstverein“ hat 2013 zwei Bücher herausgegeben, die ebenfalls das Problem heutiger Crossover auf den Punkt bringen: Eines von dem Photographen Jens Ziehe, ein zweites mit dem Architekten Arno Brandelhuber. Beide Bücher  erscheinen in einer Reihe mit Büchern zu Künstler/Innen wie z. B. Silke Wagner, Asta Groeting oder David Zink Yi.. Das Buch „Generation Berlin“ von Jens Ziehe versammelt Porträts aus der Berliner Kunstszene aus den letzten 30 Jahren – so weit, so gut, doch Jens Ziehe ist zwar ein guter Porträtphotograph, aber eben längst kein Wolfgang Tillmans oder ein Thomas Ruff. Warum also ihn in eine Reihe stellen mit den anderen im „nbk“ ausgestellten Künster/Innen? Der „nbk“ hat 2012/13 dann nämlich sogar eine Ausstellung mit den Künstlerporträts von Ziehe in seinen Räumen veranstaltet. Nicht einmal die eigene Pressemeldung aber behauptet Jens Ziehe als Künstler, betont lediglich für welche (renommierten) Kunstinstitutionen er als Dienstleister schon gearbeitet hat: Hamburger Bahnhof, Neue Nationalgalerie,  Sammlung Hoffmann … Ähnliches gilt für das Buch „Von der Stadt der Teile zur Stadt der Teilhabe. Berliner Projekte“ von Arno Brandelhuber, denn der Nürnberger Professor für Architektur und Stadtgestaltung bezeichnet sich auf seiner eigenen Web-Seite ebenfalls nicht als Künstler und die auf  „Wikepdia“ sorgsam aufgelisteten „Auszeichnungen“ weisen nicht eine aus dem Kunstbetrieb auf. Und doch hat auch Arno Brandelhuber „Kunst“austellungen, im „nbk“ und in der Berliner Galerie KOW etwa. Das Buch nun publiziert „gesammelte Materialien und Projekte“ (nbk) von ihm – gefördert durch die Stiftung Kunstfonds Bonn. Dieses muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Da ist es möglich, dass der Chef eines Architekturbüros - dieses ist dann prompt auf dem Cover seines Buches zu sehen! - mit Geldern des Kunstfonds für seine eigene, kommerzielle Tätigkeit als Architekt und Städteplaner Werbung macht. Und dieses unter dem Label „Kunst“, was ihm zusätzlich imageträchtige Distinktionsgewinne einbringt. Genau dieses trifft auch für den Photographen Jens Ziehe zu: Der wohl kalkulierte Etikettenschwindel krönt gleichsam die eigene Arbeit, kann im besten Fall den Preis seiner Photos deutlich erhöhen.

Wie versprochen nun zurück zu dem eingangs von mir bereits erwähnten John Waters. Im Interview mit dem Magazin „Monopol“ antwortete der legendäre „König des Trash“ auf die Frage, ob seine Berufung in die Jury der Venedig Biennale ihn denn überrascht habe: „Wahrscheinlich sind andere davon mehr überrascht als ich. Ich sammle selbst seit vielen Jahren Kunst und bin ein großer Fan der diesjährigen Biennale-Leiterin Bice Curiger. Ich fühle mich sehr geehrt.“. Diese überaus ehrliche Antwort benennt den Skandal präzise: Heute reicht es offensichtlich schon ein langjähriger Sammler und Fan zu sein, um in eine der wichtigsten Jurys der Kunstwelt eingeladen zu werden. Doch die Entscheidung einer solch indiskutabel besetzten Jury hat durchaus Konsequenzen, denn klarerweise wertet sie auf, was sie mit ihrer Preisverleihung auszeichnet. Wollen wir aber tatsächlich solche Entscheidungen „Sammlern und Fans“ überlassen, die ebenfalls auf Grund eines falsch verstandenen Crossovers – wieder stimmt die Richtung und damit die Qualifikation nicht! - plötzlich (selbstverliebt) eine Rolle in der Kunst spielen dürfen? Oder wollen wir den eigenen Betrieb vielleicht doch wieder etwas ernster nehmen?

(erstmals veröffentlicht in: Artist # 99, Bremen April 2014)