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Das viagraische Vorspiel
Drei Monate, drei Tage die Woche, drei Stunden pro Tag
Rainer Ganahl

Jede Gesellschaft muss sich reproduzieren und ihr Wissen, ihren Reichtum, ihre Macht, ihre Arroganz und Dummheit weitergeben. Selbst Goetter, Aberglauben und rassistische Vorurteile werden den nachfolgenden Generationen wie Sprachen, Schulden, Rollkragenpullover und Verantwortung ueber den Kopf gestreift. Seit dem 19. Jahrhundert, der Formation von Nationalstaaten, wurde diese Weitergabe und Verewigung verstaatlicht, und unter die Begriffe Bildung und Erziehung gebracht. Der Knueppel der Autoritaet fand in den Schulen und Institutionen der Macht ein perfektes zusaetzliches Medium.

Heute ist es ein kapitales globales Unterfangen und die europaeische Wirtschaft zittert, wenn sie Bildungsdaten studiert und international vergleicht. Es ist, als befaende man sich in den Weichteilen der Macht waehrend der Koppelung. Sehr obzoen, sehr lubrifiziert, sehr feucht - und sehr trocken und langweilig. In den USA ist Bildung als viagraisches Vorspiel hyperkapitalisiert und auch dementsprechend politisiert. Das zu beobachten ist fuer mich interessant: Was wo wie unter welchen Umstaenden gelehrt und gelernt wird, ist die zentrale Frage jeder Gesellschaft. Das ist der politische Hintergrund, vor dem ich mich als Kuenstler mit Sprachen beschaeftige. Der persoenliche Hintergrund ist freilich ein anderer.

Vorarlberg, wo ich herkomme, hat eine alte Tradition, die Jugend als Krautschneider ins Flachland zu schicken. So wurde ich zum Autostopper und lernte unterwegs das Sprechen in verschiedenen Sprachen. Irgendwann stank es mir im Euroland - schon eine Dekade vor der Euroeinfuehrung - und ich gelangte ans andere Ufer, kam also nach New York. Autostoppen war hier nicht mehr angesagt. Meine Dialekte und Akzente wurden hier Teil eines polyglotten Fleckenwerks von Millionen, ueber das es sich lohnte nachzudenken. Edward Said, Stuart Hall und andere Leute, - etwa vom Whitney Independent Study Programm – halfen mir dabei: Ich habe gelernt, mir und anderen auf die Zunge zu schauen, und den Rap der Leute , z.B. von den Franzosen, ernst zu nehmen.

Ich habe irgendwie versucht, mir eine Welt vorzustellen, in der Kunst und Politik sich mit der Zunge kuessen, damit Molotowcocktails und Gewalt sich eruebrigen [against auto-zuendlerei]. Dumm gesagt, ich hatte/habe immer Europa im Kopf, weil ich taeglich erlebe, wie man in NYC Menschen unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Sprachen und Hautfarben, auch freundlich behandeln, sie bewundern, sie wirklich als Nachbarn akzeptieren kann. Ja, ich staunte ueber all meine Vorurteile und eurozentristischen Voreingenommenheiten und lernte sie langsam zu korrigieren. Als Leute mit afro-amerikanischem oder chinesischem Akzent ueber Hegel referierten, stand zuerst mein Mund weit offen.

Am Anfang war das englische Wort, selbst fuer mich als unglaeubiger Analphabetiker. Ich konnte es leider nicht aussprechen und musste endlose Nachmittage mit etwas aelteren Nachhilfelehrerinnen zubringen. Nun, die Kunst, Theorie und Politik in reflexiven Amalgamen zu konkretisieren, ermoeglichte es mir, mein damaliges Gehoer zu schaerfen. Die Edward Saidsche Orientalismuskritik, die insbesondere die Schnittstellen von imperialistischer Politik und Kultur nachzeichnete [die Linie auf der ich gerne als Fahrradfahrer unterwegs bin] inspirierte mich, Japanisch zu lernen, meine erste orientalische Sprache. >Orientalismus< ist heute zu einer kritischen Kategorie geworden und hat Repraesentationspolitik - mein Hauptinteresse - zum Inhalt.

Wer sagt was ueber wen wie? Das Lernen von Japanisch als kuenstlerisch-kritische Praxis war jedoch kein Reden ueber und Repraesentieren des kulturell Anderen [kapitales A mit Liaeson zum lacan"schen petit a], sondern ein schmerzhaftes transzendentales langjaehriges Unterfangen, das direkt an den [schlecht Kantisch gestottert] Bedingungen der Moeglichkeiten von Dialog und verbalem Austausch ansetzt. Ich habe versucht, - so wie heute mit meinen Chinesischstudien - die kulturelle Handelsbilanz etwas auszugleichen, und den vielen Autos und elektronischen Gadgets etwas anderes als Dollars, Jammer und kulturelle/oekonomische Angst [das Wort Angst findet sich auch im englischen Gebrauch] entgegenzuhalten.

Mein Zurueck in eine kuenstlerisch/sprachliche Infantilitaet brachte mich dann auch recht bald nach Japan, wo ich wiederum eine neue sprachpolitische Realitaet kennen gelernt habe. Mit dem Erlernen einer [Fremd]Sprache trifft man auch auf ein Menue von nationalen Vorurteilen. Diese Einsicht erzeugte in mir genuegend Energie, um drei Jahre lang Koreanisch zu lernen und damit auch auf interessante Korrektive - also koreanische Vorurteile gegenueber Japan - zu stossen. In der Zwischenzeit interessierte mich auch der deutsche Orient: griechisch, neugriechisch, auf das ich mich ebenfalls fuer mehrer Monate einliess: >3 months, 3 days a week, 3 hours a day - basic modern greek< [in New York, 1994/95] und dann >6 days, 6 hours a day - basic modern greek< [Athen].

Diese meine dilettantischen, autodidaktischen Bemuehungen quantifizierenden Projekte produzieren eine Unmenge von Videos, die das dreckige Geschaeft der Repraesentation ad absurdum fuehren, und dabei das >lange-weilige< meiner Kunst als Praxis zur Skulptur erklaeren. Ich fuehle mich jedoch als Kuenstler nicht mehr nur dem Ready-Made verpflichtet, sondern auch einem >trying-hard< einem >langsam-Geschaeft<. Dekontextualisiert wird weniger ein Objekt, sondern mehr eine Praxis, naemlich jenes Tun und Lassen, das man ueblicherweise auf Unis anfindet. Ich selbst mutiere zur sich entaeusserten Laborratte und treffe dann auf neue, anderssprechende Freunde.

Die genaue Liste der Sprachen, denen ich mein Herz und meine Zeit gewidmet habe - und ich lerne ja immer noch -, finden sich am besten in meinen kurzen Videoclips wieder: z. B.: Homeland Security, Arabic: >Ana laestu irhabien<; Chinese: >wo bu shi konbu fenzhi<; Korean: >nan nun, terrorist animnida<; Modern Greek: >Then ima dromokratis<; Japanese: >terroristo dewa arimasen<; Russian: >Ja ne terrorist<; Spanish: >No soy un terrorista<; Italian: >non sono un terrorista<; French: >Je ne suis pas un terrorist<; Deutsch: >Ich bin kein Terrorist<; English: >I"m not a terrorist<. Man vergebe mir die falschen Transliterationen - im Buch, Bill Kaizen >Please, teach me, Rainer Ganahl and the politics of learning< werden die angemessenen nicht-lateinischen Schriftypen verwendet.

Das Lernen ist das Rueckgrat meiner Gehversuche und die Rechtfertigung einer visuellen Produktion, die nicht-retinale Praeferenzen privilegiert. Ich koennte auch sagen, das Lernen ist mein Anti-Alzheimerprogramm und/oder meine Anti-Depressivmedizin; es ist die billigste Art, teuren Psychotherapierechnungen zu entkommen. Es ist wahrscheinlich auch ein Easy-Jet Ticket ins Nirgendwo der Nachmittage, die unaufgelesen sich am Rande einer Kunstproduktion akkumulieren; eine Suessspeise fuer Diabetiker unter Einfluss; ein Ersatz fuer monastische Spreizuebungen vor dem Schlafengehen; ein Schutz vor Wahnsinn und nicht zuletzt das Abklopfen eines oxidierenden Fabrikkessels, der Sinn auf Unsinn reimt. Anders gesagt: ich verkaufe nicht viel, aber ich lerne wenigsten etwas.

Sprache, das ist fuer mich Selbstentaeusserung und Fremdgehen, Promiskuitaet und Liebe, Zerstoerung und Hoffnung, Ungerechtigkeit und Legasthenie im Spiegel, kurz gesagt: Mundgeruch. Es stinkt… und wie wir sehen… wenn nicht mehr geredet wird, wenn man die Leute nicht reden laesst, ihnen nicht zuhoert, dann brennt es, kann es pyromanisch eskalieren.

[07.12.05]

(unedited_)

 

DIESER TEXT ENTSTAMMT DIESEM INTERVIEW:

(unedited)

 

 

 

Krystian Woznicki (Berliner Gazette) - Rainer Ganahl


Kristian Woznicki :. Selbst für Laien scheint die künstlerische Auseinandersetzung mit Sprache keine ungewöhnliche Sache zu sein. Dagegen scheint Dein spezifischer Ansatz jedoch selbst Kunstkenner immer wieder zu überraschen. Kannst Du kurz skizzieren, worauf Deine Auseinandersetzung mit Sprache zurückgeht?

Rainer Ganahl: Ich verstehe es selber nicht. Ich bin, glaube ich, zufällig eines morgens als künstler aufgewacht, vielleicht wie eine kafkasche kakkerlacke: zu faul zum arbeiten, zu faul zum denken, zu faul zu allem. mit dem keonnen, komplizenhaftes konstrukt im konzept künstler, konnte ich kaum konkurieren. was blieb mir also übrig, also von der hand in den mund zu leben? was konnte ich schon tun als vorarlberger? wir essen weder auf hochdeutsch, noch auf schweizerdeutsch. Vorarlberg hat eine alte tradition, die jugend als krautschneider ins flachland zu schicken. so wurde ich zum autostopper und lernte unterwegs das sprechen in verschiedenen sprachen. das ist es vielleicht, was die laien - wie du so schön sagst - mit denen auch ich mich identifiziere, verstehen.
irgendwann stank es mir im Euroland - schon eine dekade vor der Euroeinführung - und ich gelangte ans anderen ufer, kam also nach New York. Autostoppen war hier nicht mehr angesagt. mpeine dialekte und akzente wurden hier teil eines polyglotten fleckenwerks von millionen, über das es sich lohnte nachzudenken. Edward Said, Stuart Hall und andere leute, - etwa vom Whitney Independent Study programm - halfen mir dabei: ich habe gelernt, mir und anderen auf die zunge zu schauen, und den rap der leute , zb. von den franzosen, ernst zu nehmen. ich habe irgendwie versucht, mir eine welt vorzustellen, in der kunst und politik sich mit der zunge küssen, damit molotovkoktails und gewalt sich erübrigen (against auto-zündlerei). dumm gesagt, ich hatte/habe immer europa im kopf, weil ich täglich erlebe, wie man in NYC menschen unterschiedlicher herkunft mit unterschiedlichen sprachen und hautfarben, auch freundlich behandeln, sie bewundern, sie wirklich als nachbarn akzeptieren kann. ja, ich staunte über all meine vorurteile und eurozentristischen voreingenommenheiten und lernte sie langsam zu korrigieren. als leute mit afro-amerikanischem oder chinesischem akzent über Hegel referierten, stand zuerst mein mund weit offen.
aber nochmals zurück zum guten alten kontinent, wo junge leute immer noch als gastarbeiter, ausländer und immigranten bezeichnet werden, selbst wenn sie den lokalen sprachduktus besser beherrschen, also die kinder der seit vielen generationen eingesessenen, die mittlerweile versuchen, überregionale sprachtrends zu imitieren. man sollte nicht vergessen, dass die banlieues linien gräben sind, die europa gesellschaftlich teilen und wie unterschiedliche tektonische schichten trennen. die fragen, "was ist französisch", "was ist englisch, oder deutsch" werden an den unterpriviligierten vorstadträndern prismatisch zerstreut und abgelenkt. die umkehrung der sprache, (par example: verlan,) und die aggressive radikale selbstbeobachtung im französischen rap werden gerade in diesen tagen mit autobränden und sinnlosen sachzerstörungen so illustriert, dass es weit über die vorstädte hinweg leuchtet. Im "Vive la France," erklingt mehr und mehr das Frankreich von Frantz Fanon und von Karl Marx der frühern Schriften um die pariser ereignisse von 1848.
ich möchte hier aber niemanden mit geschichte langweilen... und resumiere: sprache, das ist für mich selbstentäußerung und fremdgehen, promiskuität und liebe, zerstörung und hoffnung, ungerechtigkeit und legastenie im spiegel, kurz gesagt: mund geruch. es stinkt… und wie wir sehen … wenn nicht mehr geredet wird, wenn man die leute nicht reden lässt, ihnen nicht zuhört, dann brennt es, kann es pyromanisch eskalieren.


Kristian Woznicki 2. Wie gehst Du bei der Auswahl Deiner Sprachprojekte vor? Welche Sprachen sind für Dich aus welchen Gründen von Interesse?


Rainer Ganahl: am anfang war das englishe wort, selbst für mich als ungläubiger analphabetiker. ich konnte es leider nicht aussprechen und musste endlose nachmittage mit etwas älteren nachhilfelehrerinnen zubringen. nun, die kunst, theorie und politik in reflexiven amalgamen zu konkretisieren, ermöglichte es mir, mein damaliges gehör zu schärfen. Japan war anfang der 1990er das China von heute. Die welt fühlte sich im einkaufskorb, und bezahlt wurde mit yen. die Edward Saidsche orientalismuskritik, die insbesondere die schnittstellen von imperialistischer politik und kultur nachzeichnete (die linie auf der ich gerne als fahrradfahrer unterwegs bin) inspirierte mich, Japanisch zu lernen, meine erste orientalische sprache. "orientalismus" ist heute zu einer kritischen kategorie geworden und hat repräsentationspolitik - mein hauptinteresse - zum inhalt. wer sagt was über wen wie? das lernen von japanisch als künstlerisch-kritische praxis war jedoch kein reden über und repräsentieren des kulturell Anderen (kapitales A mit liäson zum lacan'schen petit a), sondern ein schmerzhaftes transzendentales langjähriges unterfangen, das direkt an den (schlecht Kantisch gestottert) bedingungen der möglichkeiten von dialog und verbalem austausch ansetzt. ich habe versucht, - so wie heute mit meinen Chinesischstudien - die kulturelle handelsbilanz etwas auszugleichen, und den vielen autos und elektronischen gadgets etwas anderes als dollars, jammer und kulturelle/oekonomische angst (das wort angst findet auch im englischen gebrauch) entgegenzuhalten.
mein zurück in eine künstlerisch/sprachliche infantilität brachte mich dann auch recht bald nach Japan, wo ich wiederum eine neue sprachpolitische realität kennnengelernt habe. mit dem erlernen einer (fremd)sprache trifft man auch auf ein menü von nationalen vorurteilen. Diese einsicht erzeugte in mir genügend energie, um 3 jahre lang koreanisch zu lernen und damit auch auf interessante korrektive - also koreanische vorurteile gegenüber Japan - zu stoßen. In der zwischenzeit interessierte mich auch der deutsche orient: griechisch, neugriechisch, auf das ich mich ebenfalls für mehrer monate einließ: "3 months, 3 days a week, 3 hours a day - basic modern greek" (in New York, 1994/95) und dann "6 days, 6 hours a day - basic modern greek) Athen. Diese meine dilletantischen, autodidaktischen bemühungen quantifizierenden projekte produzieren eine unmenge von videos, die das dreckige geschäft der repräsentation ad absurdum führen, und dabei das “lange-weilige” meiner kunst als praxis zur skulptur erklären. ich fühle mich jedoch als künstler nicht mehr nur dem ready-made verpflichtet, sondern auch einem “trying-hard,” einem “langsam-geschäft”. Dekontextualisiert wird wengier ein objekt, sondern mehr eine praxis, nämlich jenes tun und lassen, das man üblicherweise auf unis anfindet. ich selbst mutiere zur sich entäußerten laborratte und treffe dann auf neue, anderssprechende freunde).
Die genaue liste der sprachen, denen ich mein herz und meine zeit gewidment habe, - und ich lerne ja immer noch - finden sich am besten in meinen kurzen video clips wieder: z. b.: Homeland Security, Arabic: “Ana laestu irhabien," Chinese: “wo bu shi konbu fenzhi”, Korean: “nan nun, terrorist animnida”, Modern Greek: “Then ima dromokratis”, Japanese "terroristo dewa arimasen" Russian "Ja ne terrorist" Spanish "No soy un terrorista", Italian "non sono un terrorista", French "Je ne suis pas un terrorist", Deutsch "Ich bin kein Terrorist", English "I'm not a terrorist" . Man vergebe mir die falschen transliterationen - im Buch, Bill Kaizen "Please, teach me, Rainer Ganahl and the politics of learning" werde die angemessenen nicht-lateinischen Schriftypen verwendet.

Kristian Woznicki 3. In Projekten wie >5 Das aWeek, 6 Hours a Day - Basic Korean< setzt Du Dich dann tats‰chlich dem Prozess des Fremdspracherwerbs aus. Welche Bedeutung hat das Sprachenlernen für Dich im Zusammenhang mit der Produktion von Kunst?

Rainer Ganahl:: Das lernen ist das rückgrad meiner gehversuche und die rechtfertigung einer visuellen produktion, die nicht-retinale präferenzen privilegiert. ich könnte auch sagen, das lernen ist mein anti-alzheimerprogramm und/oder meine anti-depressivmedizin; es ist die billigste art, teuren psychotherapierechnungen zu entkommen. Es ist wahrscheinlich auch ein easy-jet ticket ins nirgendswo der nachmittage, die unaufgelesen sich am rande einer kunstproduktion akkumulieren; eine süßspeise für diabetiker unter einfluss; ein ersatz für monastische spreizübungen vor dem schalfengehen; ein schutz vor Wahnsinn und nicht zuletzt das abklopfen eines oxidierenden fabrikkessels, der sinn auf unsinn reimt. Anders gesagt: ich verkaufe nicht viel, aber ich lerne wenigsten etwas. (es macht auch sinn ohne kunst als kontext)

Kristian Woznicki 4. Von Projekten wie Erziehungskomplex (Generali Foundation) bis hin zu der gegenw‰rtigen Ausstellung in der Wallach Art Gallery werden immer wieder auch die politischen Rahmenbedingungen von Bildung thematisiert. Wie hat sich Dein Interesse dieszgl. in den letzten Jahren gewandelt?


Rainer Ganahl:: Nun, jede gesellschaft muss sich reproduzieren und ihr wissen, ihr reichtum, ihre macht, ihrer arroganz und dummheit weitergeben. Selbst götter, abgerlauben und rassistische vorurteile werden den nachfolgenden generationen wie sprachen, schulden, rollkragenpullover und verantwortung über den kopf gestreift. seit dem 19. jahrundert, der formation von nationalstaaten wurde diese weitergabe und verewigung verstaatlicht, und under die begriffe bildung und erziehung gebracht. der knüppel der autorität fand in den schulen und institutionen der macht ein perfektes zusätzliches medium. heute ist es ein kapitales globales unterfangen und die europäsche wirtschaft zittert, wenn sie bildungsdaten studiert und international vergleicht. es ist, als befände man sich in den weichteilen der macht während der koppelung. sehr obzön, sehr lubrifiziert, sehr feucht - und sehr trocken und langweilig. in den USA ist bildung als viagraisches vorspiel hyperkapitalisiert und auch dementsprechend politisiert. das zu beobachten ist für mich interessant: Was wo wie unter welchen umständen gelehrt und gelernt wird ist die zentrale frage jeder gesellschaft. Bildungspolitik bestimmt auch den verlauf der banlieues und der umgang damit.

Kristian Woznicki 5. Womit setzt sich die laufende Schau en detail auseinander?


Rainer Ganahl:: Die ausstellung “Please, teach me… “ in der Wallach Art Gallery der Columbia University (www.ganahl.info/wallach.html) ist eine übersichtsausstellung zu all meinen arbeiten, die das lernen, das lesen, das sprechen und das zuhören als künstlerische praxis zum mittelpunkt haben. Hier nur ein paar arbeitstitel: “My First 500 hours Basic Chinese”; 'My Second 500 Hours Basic Chinese”; My First 500 Hours Basic Arabic”; “Basic Russian”; “Basic Japanese”; “Basic Vorarlbergian”; “Basic Belgian”; “Karl Marx Lesen”; “Antonio Gramsci Lesen”; “Frantz Fanon Lesen”. Es finden sich dort auch arbeiten die mit geschichte zu tun habe: Meine “Sprache der Emigration” arbeiten, die aus fotos und langen interviews mit ehemaligen Nazi-opfern und lagerinsassen bestehen; eine foto/video arbeit mit einem russischen emigranten, der immer noch von Stalin träumt, obwohl er selber unter den konsequenzen Stalins gelitten hat (“Rudi Gurtin, My Travel Agent, a Stalinist in New York in the Year 2000”); aber auch dialogarbeiten mit Afghanen und Irakern in bezug auf die immer noch andauernden kriege mit Amerika. in diesen arbeiten geht es um stellungsnahmen von direktbetroffen zu den kriegserreignissen.


Kristian Woznicki 6. Abschliessend noch folgende Frage - zur Rolle des ‹bersetzers. Was asszierst Du mit dem "Tod des ‹bersetzers"? Die Redundanz der ‹bersetzung - Wenn alles standardisiert ist (sprachlich/kulturell) oder wenn alle omni-kompetente Kultur- und Sprach-Connoisseurs werden?

Rainer Ganahl:: Wir sind und bleiben alle übersetzer. Wenn Beuys sagen durfte, jeder ist ein künstler, dann flüstere ich: “jeder ist ein übersetzer” - wie gut im einzelnen die übersetzungen ausfallen, ist wiederum ein anderes problem. Ob übersetzt wird oder nicht, ist entscheidend für sinnvolles verstehen und handeln. An den französischen (und das ist sicherlich nicht nur ein französisches problem) banlieues zumindest wurde - wenn überhaupt - schlecht übersetzt, bzw. die übersetzungen waren/sind redundant, unbrauchbar.


New York, am 13. abend der französichen stadt und banlieuesunruhen 2005. mit Ausgangassperren, die auf ausnahmegesetzen beruhen, die 1955 für Algerien zugeschnitten wurden.