rainer ganahl 19998
I. Arbeit, Unterhaltung, Ware, Wissen, Kritik und
II. Kunst und
III. Museen und öffentlicher/gegenöffentlicher Raum im global-kapitalistischen
Zeitalter der digitalen Konvertierbarkeit
Teil I
Ob man es will oder nicht, Museen werden mehr und mehr zu Dienstleistungsinstitutionen,
die mit Vorträgen, Filmvorführungen, Erziehungs- und Familienprogrammen,
Reisen, Shopping, Abendessen und Art Safaris um ihr Publikum
und ihre Legitimität werben müssen. Ein Blick in eine Mitgliederbroschüre
des MOMAs läßt keine Zweifel, wie Kunst als Unterhaltung der
feinen und exklusiven Art präsentiert wird. Sexuality in Schiele's
Work, code 236. Sunday, November 2, 9:30 a.m. to noon. Fee (includes brunch):
members $50, guests $65. Photography Until Now. code 239. Thursday, November
13, 6:30 to 8:30 p.m. Fee (includes cocktails): members $35, guests $45.
(ebenda).
Der gesellschaftlichen Logik des transnationalen Kapitalismus entsprechend
werden Kapital-, Waren-, Arbeits- und Informationsmärkte liberalisiert,
entlokalisiert, aufgesplittert und frei austauschbar gemacht. Die damit
zusammenhängenden Konsequenzen für den Arbeitsmarkt in Westeuropa
sind bekannt. Arbeitslosigkeit in den traditionellen Branchen, Atomisierung
und Entsicherung der verbliebenen Arbeit und neuentwickelte, hyperflexible,
mobile Arbeitsformen verlangen, den Begriff Arbeit selbst neu zu definieren.
Mit Hegel und Marx ist Arbeit zu sehen als Selbsterzeugungsakt des
Menschen, das Verhalten zu sich als fremdem Wesen . Dieser Selbsterzeugungsakt
der sich selbst entfremdeten Wesen wird immer weniger ein materialistisch-ökonomischer,
sondern ein informations- und konsumptionsabhängiger. Den explodierten,
an Marktanteilen alles übertreffenden Informations- und Unterhaltungsindustrien
können nun jene Qualitäten zugesprochen werden, die die deutsche
Philosophie dem Begriff Arbeit vorenthalten hat: der Selbsterzeugungsakt
des Menschen als entfremdetes Wesen.
Zahlungen für die Deckung der unmittelbaren Lebenskosten werden vom
traditionellen Begriff Arbeit immer unabhängiger: Arbeitslosengeld,
Pensionsauszahlungen und nicht zuletzt eine vollautomatisierte Industrie,
die ihren Reichtum weniger der relativ geringen Zahl ihrer Arbeiter und
Arbeiterinnen, sondern mehr der Masse der Konsumenten verdankt, schwächen
die Wichtigkeit der Lohnarbeit. Erst seit Adam Smith weiß die Nationalökonomie
um den Wert des Arbeitslohns als Öl für den Kapitalismus
bescheid, in dem Marx die Konsumtion des Kapitals überhaupt
sehen konnte. 150 Jahre später jedoch verliert sie ihre Wichtigkeit
in jenem Tempo, in dem geld- und papierlose Zahlungsinstrumente an Gebrauch
zunehmen, ohne daß darin ein kausaler Zusammenhang bestehen muß.
Selbst dort, wo Arbeit traditionell geblieben ist, definieren sich Menschen
nicht mehr vorwiegend via ihrer Arbeitstätigkeit, sondern via ihrer
Konsumptions- und Informationsverhältnisse. Das heißt jedoch
nicht, daß alle Menschen von der Lohnarbeit befreit oder unabhängig
sein werden. Auch nicht zu vergessen sind jene Menschen, die ohne Arbeit
und ohne sozialen Schutz von der Gesellschaft ausgestoßenen werden
und unterhaltungs- und konsumptionsohnmächtig vom Elend konsumiert
werden.
Information, Unterhaltung und Konsumption müssen auf der Konsumentenseite
als Arbeit begriffen werden. Konsumieren ist Arbeiten, Konsumption und
Unterhaltung ist Sein, ist bewußtseinskonstituierend. In Analogie
zu Marx' Der Arbeiter produziert das Kaptial, das Kapital produziert
ihn kann nun gesagt werden: der Konsument produziert die Information/Unterhaltung,
die Information/Unterhaltung produziert den Konsumenten. Das Recht auf
Arbeit vertauscht sich mit dem (Un)rechthaben der (Fehl)information. Arbeitsverhältnisse
lösen sich in Konsumptions-/Informations-/Unterhaltungsverhältnisse
auf. Information, Wissen und Kommunikation garantieren Macht. So geht
auch das Kapital immer mehr im konsumierbaren Informations-und Unterhaltungskomplex
auf. Software-, Medien- , Entertainment- und Kommunikationsindustrien
mit ihrem Hang zur Monopolbildung sind zu den Schlüsselindustrien
der avanciertesten Länder geworden.
In der Wissenschaft und deren Repräsentationssystemen ist nicht mehr
der Begriff Materie zentral, sondern der der Information und ihrer Recheneinheiten,
in die Materie selbst übersetzbar gemacht wird. Konsumption von Information
und Unterhaltung avancieren zu den Hauptarbeits- und Wissensquellen der
Menschen in transnationalen Ökonomien, wenn mit Arbeit Weltaneignung
gemeint ist. Man ist, was man weiß, was man fernsieht, was man konsumiert.
Universitäre Ausbildungen können astronomische Preisschilder
haben, für die wie jede andere Ware geworben werden muß. Bildung
am Bildschirm mit elektronischen Lehrern und Informanten ist so real,
wie das Umschalten auf andere Sender und in andere Welten einfach ist.
Fernbildung und Heimarbeit, Teleshopping und Telephonsex ergänzen
und verrechnen sich gleichzeitig dank einer der monopolartigen Kreditkartenfirmen.
Das Verhältnis von Ware, Information, Kommunikation, Unterhaltung
und Arbeit wird immer komplizierter und verstrickter. Bald wird mehr Geld
für Software und Serviceleistungen ausgegeben als für industriell
gefertigte Waren. Der Prozeß der Überlagerung wird alleine
schon an den heutigen Informations-, Unterhaltungs-, Kommunikations- und
Arbeitsapparaturen offensichtlich. Am Computerterminal arbeitet, studiert,
kommuniziert, informiert und unterhält sich ein immer größer
werdender Anteil der vernetzten Bevölkerung. TV, Unterhaltungs- und
Fortbildungsprogramme sind via Informationsautobahnen mit der Schnittstelle
Computer ansteuerbar. Drei- und vierjährige Kinder sitzen wie ihre
Eltern vor demselben Gerät, das immer mehr Lebenswelten in sich aufzusaugen
vermag. Subjektiver, intimer, konfessioneller, therapeutischer, informeller,
kurz privater Raum pulsiert mit derselben Übertragungsgeschwindigkeit
wie alles, was sich unter öffentlichem Raum subsummieren läßt.
Auch von daher sind Kritik, Kunst und andere sich versperrende, wirklichkeitsproduzierende
Praktiken und Objekte keine wesentlich anders abgesicherteren Dokumente
als Waren, Informationen, Unterhaltung und Arbeit im strengen Sinn des
Wortes.
Parallel zur marx'schen/lukacs'schen Vergegenständlichung, Reifizierung,
Verwandlung von allem und jedem in eine Ware, tendieren die Dinge in Begleitmusik
oder Musak aufzugehen. Arbeitsteilung kann verglichen werden mit Kanal/Internetsurfen
und dem Hantieren an Fernsteuerungen in der Hand des Konsumenten, der
Konsumentin. Ohne Totalisierung und Verallgemeinerungen bis ins Absurd-Tragisch-Zynische
treiben zu wollen, muß doch zur Kenntnis genommen werden, daß
die durch die fortgeschrittene internationale Arbeitsteilung freigesetzten
Arbeiter und Arbeiterinnen großteils auf die Konsumation von TV-Produktionen
reduziert werden. In diesem Transnationalisierungsprozeß wirkt Fremdkapital
mehrfach auf den Arbeiter/Konsumenten und sein Bewußtsein ein: als
freigesetzter Arbeiter und als freier Medien/Warenkonsument.
Zur verkehrenden Macht des Geldes gesellt sich die verkehrende
Macht der Information- und Unterhaltungsimperien, insofern sie die Aktivitäten
ihrer Konsumenten in Arbeit als subjekt- und weltschaffendes Instrument
des entfremdeten Menschen verwandeln. Nach unendlichen Arbeitsteilungen
werden auch kritische Diskurse und Objekte weniger auf ihren Realitätsbezug,
sondern mehr auf ihre Faszination und Attraktion hin bewertet. Da kulturelle
Produkte ihren Wahrheitswert immer weniger aus der Auseinandersetzung
mit der unmittelbaren Umwelt beziehen, sondern mehr und mehr aus einem
lauten internationalen Konzert von Meinungskontingenzen beziehen, kann
es sehr schnell zu extrem starken Akzeptanzen führen, die so rasch
wieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Effekt und Medieneinfluß
dominieren. Ihr Sog ist fatal, da er das Geschehen um ihn herum entwertet
und verzerrt. Princess Diana und Damien Hirst, Dolce Gabana und Derrida
sind Namen, die Sogwirkungen haben, attraktionsfähig, publikumswirksam
und konsumierbar sind.
Wie uns das Museum für Moderne Kunst in New York als Beispiel lehrt
- und diese Institution ist nur eine von vielen, die gleichartig operieren
-, bedürfen schwer konsumierbare Produkte wie Kunst und Kritik nun
eines besonderen Mehrwerts, der nicht mehr nur in der Reflexion und Subjektivität
des Rezipienten entsteht, sondern resultiert aus einem Ensemble von Abendessen,
Cocktails, special events und Einladungen der besonderen Art. Das Problem
der mechanischen Reproduzierbarkeit ist seit langem schon dem Problem
der digitalen Konvertierbarkeit gewichen. Der Schritt von der relativ
primitiven Camera Lucida und ihrem Celluloid zum leuchtend-magischen Rechner
und seinen mächtigen Softwareprogramme ist einer, der nicht nur die
Welt der Repräsentationen fundamental verändert hat, sondern
die Logik der Welt und ihrer Reproduktion und Kommunikation selbst. Wenn
allein schon jegliche Art von Ding, Zustand oder Qualität in Information
und bytes konvertiebar ist - und wie wir wissen, gleicht diese Konvertierbarkeit
der des Geldes -, dann darf die Verwechselbarkeit und Austauschbarkeit
von Arbeit, Unterhaltung, Ware, Wissen, Kritik und Kunst nicht erstaunen.
Bleibt hier nur noch die Frage, was für eine Form eine Kunstpraxis
annehmen kann, die nicht nur im Geschäft mit dem Schein der Kunst
am international vernetzten Himmel von Stars, Magazinen, Megaausstellungen,
Galeristen und Kunstkritikern aufgeht.
Teil II
Vor ein paar Tagen besuchte ich einen Vortrag von Homi Bhabha im MOMA
mit dem vielversprechenden Titel: Whose Modernity Is It Anyway?.
Ich ging dort hin, um etwas zu lernen, etwas zu erleben und um zu arbeiten.
Der Vortrag, für den ich acht Dollar zahlen mußte, unterschied
sich kaum von den anderen Vorträgen, die ich davor von ihm besucht
habe. Der Unterhaltungswert war durch eine prominent besetzte Zuhörerschaft
gesichert. Dezent und entgegen den Regeln dieses distinguierten Hauses
fotografierte ich den Vortragenden für meine endlose Fotoserie mit
dem Titel S/L (seminars/lectures), die mich zu solchen Veranstaltungen
auf den Weg schickt. S/L ist eine Arbeit, die seit mehreren Jahren versucht,
das intellektuelle Geschehen und Milieu in Klassen- und Vortragsräumen
von mir interessant erscheinenden Vortragenden fotografisch festzuhalten
und mit dieser Auswahl eine Aussage zu machen. Die Vorträge besuche
ich weniger in der Funktion als Künstler, sondern mehr als interessierter
Teilnehmer/Student. Meine Arbeit besteht auch im Zuhören und Lernen.
Vor allem interessieren mich das kritische Wissen und die anvisierten
Probleme, die die abgebildeten Vortragenden produzieren. Es stellen sich
aber auch eine Vielzahl von Fragen zur Bildungs- und Universitätspolitik
wie auch zu den akademischen Institutionen, die Schulgelder bis zu 33.000
Dollar jährlich verlangen. Es darf nicht übersehen werden, daß
diese Institutionen, ob sie nun staatliche oder privatorganisierte ideologische
Apparate sind, Gesellschaft reproduzieren. Der soziale und der soziologische
Aspekt liegt aber nicht nur im Gesagten der auf den Fotos verstummten
Intellektuellen, sondern auch in der Zusammensetzung aller Teilnehmer,
der Architektur, ihrer pädagogischen Einrichtungen und ihres Dekors.
Auch hier muß die kritische Frage gestellt werden, inwieweit diese
Arbeit symptomatisch und quasi-komplizenhaft die Spektakularisierung der
intellektuellen Sphäre vorantreibt, inwieweit sie die Versachlichung
von intellektueller Arbeit und Vermittlung Einzelner mitbewirkt. In vielen
Vorträgen und Klassenräumen ist meine Fotokamera jedoch nicht
das einzige technische Reproduktionsmittel. Oft treffe ich auf Kassettenrekorder,
Videokameras und Fotokameras anderer Leute. Bestimmte Lehrer nehmen ebenfalls
ihre eigenen Vorlesungen auf. Der Trend zum manigfachen Festhalten und
Dokumentieren, zum Archivieren und Reproduzieren von Vorlesungen und Seminaren
besteht auch ohne mich. Meine Arbeit erlaubt es mir, mit einer gewissen
Systematik vorzugehen und auch dieses Problem der Spektakularisierung
und Überarchivierung selbst anzusprechen. Die visuelle Tratschebene
verlassen die Fotos dann, wenn eine zeitliche oder persönliche Distanz
zu den Vortragenden gegeben ist, d.h. wenn man z. B. den Klassenraum und
seine Teilnehmer nicht kennt. Umgekehrt funktionieren die Fotos für
Leser mehr als für Nicht-Leser, denn Identifikationsprozesse sind
gebunden an eine Grundkenntnis dieses theoretischen Milieus, das selbst
Resultat eines komplizierten und problematischen Differenzierungsprozesses
ist, der sich nicht nur mit der Opposition Hochkultur und Massenkultur
charakterisieren läßt.
S/L ist auch ein Travellog, ein Reisebuch. Es ergibt eine Landkarte meiner
Reisen und besuchten Vorlesungen, aber auch eine von den Reisen der Vortragenden
selbst, die oft zum kulturellen Jet-set der Klasse von internationalen
Profis (professionals) gehören. Diese Serie von Vortragenden ist
eine Fortsetzung einer anderen Arbeit, die mich selbst als Leiter eines
öffentlichen Leseseminarprojekts um die halbe Welt geschickt hat,
dabei auch ins Künstlerhaus Stuttgart. Der jeweilige Titel lautete:
"IMPORTED - A READING SEMINAR in Relationship with my 'A Portable
(Not So Ideal) Imported Library, Or How to Reinvent the Coffee Table:
25 Books for Instant Use (7 different National Versions)', 1993-96".
Ich reiste mit den verschiedenen tragbaren (nicht so idealen) importierten
Bibliotheken in Asien, Amerika und Europa, um diese Seminare für
ein oder zwei Monate lang an Universitäten, in Museen und Kunstzentren
abzuhalten. Die Gesamtheit der Lese- und Dialogzeiten wurden mit einer
Videokamera gefilmt, was eine Art Querschnitt von problembezogenen Diskussionen
ergibt. Die dabei gemachten Fotos möchte ich, mit den oben genannten
S/L (seminars/lectures)-Fotos zusammen pädagogische
Fotografie nennen.
In diesen mehrteiligen Leseseminarprojekten wurden Texte zu den Themen
ungleicher kultureller Austausch, Globalisierung, Nationalismus, Tourismus,
Sprachen, Theorie, Wünsche, Identität und Politik gelesen und
diskutiert. Über Jahrhunderte hinweg hat die technologische, militärische
und ökonomische Dominanz Europas ihren kulturellen Apparat als ein
wichtiges Instrument entwickelt und verwendet, um interne und externe
Hegemonieansprüche zu konzeptualisieren, auszuüben und zu rechtfertigen.
Kulturelle, ideologische und religiöse Arroganz hat sich als Massenmord
und Unterwerfung von ganzen Völkern und Gruppen im Ausland als auch
im jeweils eigenen Land manifestiert. Verblieben ist eine Geschichte von
tragischen Ausbeutungen und Mißrepräsentationen, die leider
erneut eine Infrastruktur des Mißbrauchs für eine post-kolonialistische
"neue Weltordnung" (new world order) abgibt. Diese Arbeitsserie
ist nun mit einer Publikation abgeschlossen, die nicht die Rolle eines
Künstlerkataloges spielt, sondern die eines Buches, für das
ich als Herausgeber und Autor fungierte.
Wissen, Macht und Technologien sind aufs Engste verbunden. Auch andere
Arbeiten von mir versuchen, diesen Komplex diesseits und jenseits künstlerischer
Kontexte mittels künstlerischer und unkünstlerischer Praktiken
zu thematisieren: Fremdsprachenlernen (Koreanisch, Japanisch, Russisch,
Neugriechisch, usw.) und Unterrichten von Sprachen sind ebenso Teil meiner
künstlerischen Praxis wie das Abhalten und Besuchen von (Lese)seminaren
und Vorlesungen, das Publizieren und Schreiben, das Filmen, Fotografieren,
Bemalen von Wänden und nicht zuletzt auch das Produzieren von Objekten
und Installationen, ohne dabei auf meine dialogischen Aktivitäten
im Internet [z. B. www.thing.net/ thingnyc/ wwwboard2/ wwwboard2.html;
www.thing.net/ basic.korean] zu vergessen. Diese vielseitige, aus Alltagshandlungen
bestehende Arbeitsweise ist kein everything goes heutiger
konzeptueller Strategien, sondern ein Agieren und Reagieren in einer extrem
diversifizierten sozialen, kulturellen und politischen Sphäre, die
noch öffentlicher Raum genannt werden kann.
Teil III
Öffentlicher Raum wird hier verstanden als eine Verkehrs- und Austauschsphäre,
die mittels politisch-ideologischer, ökonomisch-technologischer,
administrativer und kultureller Prozeduren fabriziert und umstritten werden
muß. Das aktive und bewußte Intervenieren in diesen diskussions-
und verhandlungsbedürftigen Räumen kann nicht nur den individuellen,
subjektiven und oft dilletantischen Praktiken von Künstlern wie mir
Sinn verleihen, sondern auch Kunsthäuser und Kunstakademien mit ihren
relativ dürftigen, unspektakulären Möglichkeiten und Veranstaltungen
legitimieren, die den gängigen Kosten-Nutzenrechnungen (Besucherzahlen)
schon längst nicht mehr standhalten können. Denn so sehr sich
heute gewisse Angebote rentieren, quantifizierbares Interesse und Geldrückflüsse
generieren und weltweit sich kommunizieren lassen, insofern sie im transkapitalistischen
Attraktionszirkus pulsieren, so sehr wirken kritische, konsumptionssperrige
Praktiken und Veranstaltungen uninteressant und bleiben ohne Wohlgefallen,
ohne großes Publikum und ohne finanzielle Rentabilität. Der
Besuch einer Vorlesung, einer kulturellen Veranstaltung, einer Ausstellung,
der sich auch nur drei Interessenten verschrieben haben, muß verteidigt
werden, wenn sie öffentlichen Raum kritisch produziert und provoziert.
Museen, Kunsthallen und Kunsthäuser jeder Art können ihre Legitimation
kaum mehr länger aus ihrer physischen Präsenz und einem kaum
hinterfragten Selbstverständnis herleiten. Historisch sind sie das
Co-Produkt der Nationalstaatenbildung und ihrer kritischen, legitimationsbedürftigen
Öffentlichkeit. Für die bürgerliche Ära des 19. Jahrhunderts
spielten Museen, ihre Produkte, ihre Ideologien und ihr Publikum eine
wesentliche Bedeutung, die kaum mehr nachvollziehbar ist, lösen sich
in Europa heute gerade jene nationalstaatlichen Entitäten auf, die
sie zu rechtfertigen hatten. An die Stelle der Logik von Nationalstaaten
tritt nun eine Logik der ökonomischen Kostennutzenrechnungen, die
immer komplexere und indirektere Formen annehmen.
Das was den Nationalstaat liquidiert, liefert auch seine kulturellen Institutionen
- Museen, Universitäten - neuen, sie oft zerstörenden finanziellen
Realitäten aus. Transnationales ökonomisches Kalkül dominiert
die Nationalökonomien, die Staatshaushalte und in ihrer Folge auch
seine Ausgaben für soziale und kulturelle Funktionen. Alleine schon
die monetäre Politik der Europäischen Union wird es nicht mehr
länger erlauben, bedeutende Geldzuwendungen unprofitablen kulturellen
Einrichtungen beizusteuern. Was unter dem Namen Kultursponsoring und Fundraising
in den USA und Asien den Alltag von Museen ausmacht, wird auch in Europa
immer mehr zur Tagesordnung von Direktoren werden. Finanzierungen des
Wirtschaftssektors bleiben nicht nur dynamische Experimente von ambitionierten
Unternehmer-Direktoren, sondern wird über kurz oder lang schlechtweg
über das Fortbestehen der jeweiligen Insitution entscheiden.
Die Konsequenzen dieser Verschiebungen sind nicht nur primär finanzieller
Natur. Es geht hier nicht nur um die Provinienz oder Absenz von Geldern,
sondern um verschiedenartige Rechtfertigungs- und Erwartungskulturen.
Eine leistungs- und ertragsorientierte Legitimationsinstanz trifft seine
Selekionen anders als eine an Aufklärung- und Kritik orientierte
Entscheidungsinstanz, deren Etat durch ideologisch vermittelte, übergeordnete
Institutionen garantiert ist. Exzellenz, eine Kategorie die keiner Überzeugung
oder Erkenntnis mehr verpflichtet ist, sondern nur noch dem wie immer
definierten Erfolg, wird nicht nur von den Kuratoren und Direktoren abverlangt,
sondern auch von den Künstlern. Erfolg und Exzellenz definieren sich
u.a. als Funktionen von Medienrezeption und Verkauf. Exzellent ist nicht
nur, wer Sponsoren überzeugt, sondern auch wer sich als Künstler
in der internationalen Kunstindustrie und ihren Medien durchsetzt. Diese
Industrien können mit quantifizierbaren Maßstäben aufwarten,
um Künstler wie ihre Objekte Investitionsstrategien zuzuführen
und um Entscheidungsfindungen zu erleichtern. Künstler versachlichen
sich zu Namen, werden immer wichtiger und konzentrieren für sich
Faszination, Interesse, Chancen, Geld, und Publizität in immer schnelleren
und grandioseren Dimensionen. Dieser plötzlich einsetzende Konzentrationsprozeß
von Erfolg, Chancen und Medienintensität der jeweils plakativ-großen
künstlerischen Karrieren läßt sich mit den beschleunigten
Konzentrationen von Banken, Versicherungs-, Chemie- und Technologiekonzernen
vergleichen.
Der Trend zur Exzellenz und Grandiosität animiert auch die Museumsbauten
selbt, die sich nur noch selbst präsentieren. Nicht mehr sollen nur
geeignete Räumlichkeiten für Kunst entstehen, vielmehr sollen
es Monumente einer corporate identity- und lobby-Ästhetik werden.
Das subtile Spektakel beginnt mit dem berühmten Architekt und einer
grandiosen Architektur, setzt sich fort mit der namehaften Leitung, den
bekannten Kuratoren, die sich wiederum mit noch berühmteren Stars
der internationalen Kunstwelt wie Trophäen schmücken. Das Verkehrsmedium
ist weniger Reflexion, soziale Notwendigkeit und politische Verantwortung,
sondern offene und versteckte Arroganz und hierarchisches Hofverhalten.
Es muß hier nicht erst gesagt werden, daß diese Konzentrationsbewegungen
in der Kunstwelt genauso wie in der Konzernwelt (corporate world) nicht
ohne die heutige hochentwickelte Verkehrs-, Transport- und Kommunikationsinfrastruktur
auskommen könnte. Die Fluktuationen in diesen kristallienen Glashäusern
ist so groß wie die von Aktien. Die darin verhandelte Macht zirkuliert,
siedet und kann wie Schuppen ab- und dem nächsten zufallen, und das
mitunter ohne einsehbare Logik.
Dieser allgemeine Bericht einer überall beobachtbaren Entwicklung
soll nicht etwa zynisch sein. Aber in der heutigen medien- und spektakelgepeitschen
Welt, die sich von jeder Seite gleichzeitig beobachtet, sich zentrumslos
als freischwebender Planet um verschiedene Achsen dreht, treiben die selben
Gesetze nicht nur Waren, Urlaubländer, Kleiderfarben, Städte,
Autos, Fernsehprogramme, Unterwäsche, Versicherungen, Telekom-, Bankservice
und Aktien, sondern auch Kultur, Wissenschaft, Forschung, Literatur, Kunst
und Museen. Umsatzsteigerung, Konsumptionsverhalten, Besucherzahlen, Einschaltsquoten,
Investitionsvolumen, Preis- und Gewinnkurven,Dividende, Rezeptionen, Geschmacksbildung,
Umwegrentabilität usw. sind Konzepte, die strukturell verleichbar
sind. Aus dem Jeder ist jedem ein Wolf wurde Alle zur
selben Zeit dasselbe. Overkill, selbst die Nationalsprachen erscheinen
vor der Dominanz des Englischen als lokale Dialekte, so wie die Dialekte
als Stigma vor den jeweiligen TV und Rundfunksprachen erscheinen.
Es ist unmöglich, den Museen- und Kulturapparat von diesen neoliberalen
Gesetzlichkeiten zu verschonen. Denn der Staat muß sich selbst verkaufen,
sich selbst auf einen kurzen folkloristischen Nenner bringen, seine Mozarte,
Sachertorten, Schönbrunns und Helmut Langs als Verführungskapital
richtig einsetzen, will er im neoliberalen Unternehmungstummel kompetieren,
um aufgelistet zu werden in den Europa in 5 Tagen-Reisebüchern.
Davon wird abhängen, ob er weiterhin Geld für seine Institutionen
aufbringen kann. Museen und Kulturveranstalter müssen in der Lage
sein, die veränderten Bedingungen zu verstehen, sie kritisch zu hinterfragen
und neue Legitimationszusammenhänge zu erarbeiten. Museen müssen
als autonome Versuchsfelder für alternative Reflexions- und Entscheidungsprozesse
erkannt und erprobt werden. International, anerkannt,
berühmt, verkaufbar, publikumsanziehend
muß nicht unbedingt besser sein als regional, eigensinnig,
unbekannt, schwer verkaufbar, rezeptionssperrig.
Keine dieser Qualitäten darf verkannt und von vornherein über-
oder unterbewertet bleiben. Finanzierungs- und Unterstützungskonzepte
müssen kritisch überdacht und neuverhandelt werden.
Auch das, was an Kunst selbst definiert und präsentiert wird, muß
überdacht und im Hinblick auf die Verschiebungen der Öffentlichkeit,
der Demographie, der Bevölkerungszusammensetzung neu konzipiert werden.
Für wen soll was unter welchen Bedingungen (re)präsentiert werden.
Das Wort Öffentlichkeitsarbeit muß nicht nur für ein Gala-Diner
in den Museumsräumen für die Belegschaft der finanzkräftigsten
Firmen der Umgebung stehen, sondern kann auch Bevölkerungsgruppen
ästhetisch repräsentieren und für sie Gemeinschaftarbeit
leisten, die üblicherweise per definitionem ausgeschlossen bleiben.
Das aber sind nur einige Fragen und Problemskizzierungen, die nicht etwa
die Grenzen von Museen definieren, sondern neue, zukünftige Nutzungsmöglichkeiten
diesen an und für sich überkommenen Institutionen eröffnen.
Veränderungen im Verständniss von Öffentlichkeit, Repräsentationspolitik
und Kulturarbeit sind wichtig, damit diese neuen Museen nicht nur kleine
profitable oder unprofitable Wirtschaftsunternehmen für wenige Interessierte
oder Massen von Touristen werden, sondern relevante, experimentelle Orte
neuer kultureller Identitäten, Orte der Gegenöffentlichkeit,
Orte, die uns gesellschaftliche und ideologische Wertzwänge zu neutralisiern
helfen.
Rainer Ganahl, New York, November 1997 und Februar 1998
(noch nicht korrekturgelesen 2/24/98)
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