Krystian Woznicki (Berliner Gazette)
- Rainer Ganahl Interview ..... (unkorrigierte erste fassung)
Zur Globalisierung der deutschen Sprache
1. KW:
Könntest Du die Sprachsituation des Deutschen in Deinem Erstwohnsitz
New York beschreiben? Vielleicht kannst Du einen einleitenden Einblick
in die Historie geben, was die dortige Verbreitung des Deutschen anbetrifft?
Ansonsten: Gibt es viele, die es in Deinem Umfeld sprechen? Wie oft und
auf welche Weise benutzt Du es selbst? Ist Dein Deutsch eher von Deinem
Vorarlbergischen Dialekt oder vom Standard-Deutsch bzw. Standard-Österreichisch
geprägt?
RG:
New York definiert sich durch Einwanderer, Vertriebene und Ausländer.
Im Gegensatz zu Europa, wo fremde Arbeitskräfte euphemistisch (und
zynisch zugleich) Gastarbeiter genannt werden, ist der Immigrant und Ausländer
– zumindest bis zum 11. September - positiv konnotiert. Vor ungefähr
200 Jahren es eine Abstimmung gegeben haben, die zu entscheiden hatte,
ob Englisch oder Deutsch die Sprache der USA werden sollte. Deutsch verlor
nur mit einigen Stimmen. (Welche wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen
hätte wohl ein anderer Wahlausgang für Deutschland, die USA
und die Welt gehabt?!) ((PS: bitte im Anhang nachlesen, denn diese weitverbreitete
Auffassung falsch, sollte sogar von den Nazi's in Zirkulation gebracht
werden - also genauere daten bitte im anhang sehen))(). Wie wir wissen,
hatte Hitler versucht, die Welt mittels Krieg und Gewalt zu ändern,
produzierte aber damit genau das Gegenteil. Die deutsche Sprache verlor
ihre bis dahin führende Bedeutung in der Wissenschaft, der Medizin
(ganz Asien spricht für medizinische Zwecke immer noch von „Messer“),
der Kultur, der Wirtschaft usw... Deutschsprachige vertriebene Juden und
Holocaust-Überlebende brachten seit den 1930iger Jahren Deutsch als
Sprache und Kultur nach NY, was mitunter bis heute noch von dieser Gruppe
gesprochen wird. Seit 1999 interviewe ich deutsche und österreichische
Emigranten und Menschen, die KZs überlebt haben. Diese Interviews
sind für mich sehr spannend, denn ich habe dadurch eine Welt kennen
gelernt, die ich mir nur als „historisch“ vorstellen konnte.
Der Holocaust hat leider zweimal stattgefunden, einmal real und ein zweites
Mal im Verschweigen und Nicht-Wahrnehmen der Überlebenden in der
Emigration. Der Horror der Nazizeit war so groß, dass ich mir davon
kein „direktes“, „unmittelbares“ Bild machen,
sondern ihn nur als historische Abstraktion denken konnte, obwohl ich
nur kaum zwei Jahrzehnte nach 1945 zur Welt kam. Das Deutsch dieser Menschen
(auch das von Leuten aus Prag, wo es heute keine deutschsprachige Bevölkerung
mehr gibt) ist in vielfacher Sicht faszinierend, weil es den Akzent der
Zeit bewahrt hat. Ich erinnere mich an eine Dame aus Wien, die 1938 nach
New York kam und mit ihrem Deutsch des damaligen Bürgertums die heutige
österreichische Sprachsituation kommentierte: „Die Intellektuellen
in Wien sprechen heute alle so, wie früher die Kutscher gesprochen
haben.“ Diese nun schon sehr betagte Gruppe von Deutschsprachigen
geht jedoch mit Deutsch sehr vorsichtig um, spricht sie – wenn überhaupt
- vorwiegend nur unter sich. Am meisten beeindruckte mich eine sehr alte
Dame mit deutschem Akzent während einer Liftfahrt in New York. Als
ich sie fragte, ob Sie Deutsch sprechen könnte, brach sie in einen
angstvollen Schreikrampf aus. Ihre irrationale panikartige Reaktion bleibt
für mich unvergesslich und beklemmend und lässt mich nur ahnen,
was ihr deutschsprachige Schergen einmal angetan haben konnten.
Jüngere Deutschsprecher gibt es in New York auch etliche, ist und
bleibt diese Stadt ein Anziehungspunkt für all jene, die ihr Leben
nicht von billigen Mieten bestimmen lassen, sondern von der Professionalität,
Effizienz, und Schnelligkeit des Lebens also auch von der kulturellen,
sozialen und ökonomischen Komplexität und Intensität dieser
Stadt. In meinem Wahn, immer wieder neue Sprachen zu lernen ist New York
für mich ein linguistisches Eldorado: ich spreche, höre oder
lese mindestens fünf verschiedene Sprachen pro Tag, dabei auch Deutsch.
Das Internet erlaubt es mir, internationales Radio zu hören und kostenlos
telefonieren zu können, Dinge von denen ich ständig Gebrauch
mache. Ich muss als nicht nur mit Wolfgang Staehle und seiner Frau Abend
essen, um Deutsch sprechen zu können. Selbstverständlich orientiere
ich mich wie jeder ursprüngliche Dialektsprecher an den Sprechgepflogenheiten
der Gesprächspartner. Das heißt für mich, dass ich außer
am Telefon mit meiner Familie kaum Vorarlberger Dialekt spreche. Die Schweizer,
mit denen ich mich wunderbar im Dialekt verständigen könnte,
hören, dass ich 5 km östlicher, also jenseits ihrer Grenze aufwuchs
und schalten deshalb meistens sofort auf Standartdeutsch um, was natürlich
auch ich sofort mache, sobald ich mit Standartdeutsch konfrontiert bin.
Vorarlberger in NY gibt es nur wenige und spielen derzeit für mich
keine besondere Rolle (ich spreche öfters Chinesisch als vorarlberger
Dialekt). Sollte ich dann noch Vorarlberger in NYC treffen, lassen sie
sich oft nicht zum Dialektsprechen bringen, weil sie das entweder aus
Gewohnheit oder sprachlichem Snopismus nicht mögen.
Soeben verbrachte ich vier Tage in Bregenz und musste zu meiner verblüffenden
Überraschung feststellen, dass selbst mein Dialekt nicht mehr einwandfrei
ist. Ich wurde gefragt, was ich für ein „Landsmann“ sei
und wie lange ich schon nicht mehr im „Ländle“ lebte
(26 Jahre). Kinder waren dabei noch konsequenter: die antworteten mitunter
auf mein Dialektsprechen mit Standartdeutsch, ein weiter Zeichen, dass
ich mich mit der Lokalsprache erst wieder anfreunden müsste. Ein
bregenzer Kurator meinte nach vier Tagen, dass mein Vorarlbergerisch sich
verbessert hätte, was mir wieder Hoffnung machte. Ich habe mich aber
schon daran gewöhnt, in keiner Sprache „lokal“ zu klingen.
Meinen starken Akzent beim Englischsprechen höre ich sogar selber.
Interessanterweise werde ich in New York äußerst selten auf
meinen offensichtlich starken ausländischen Akzent angesprochen,
jedoch immer sofort von fast jedem Deutschen, der nicht in NY lebt darauf
hingewiesen. Der Umstand, dass ich seit 1990 dort mehr oder weniger ununterbrochen
lebe, scheint meine Sprachzentrale wenig zu beeindrucken. Ich vermute
sogar, dass ich insgeheim eine Freude am Falschsprechen habe und ich immer
träger werde, englischsprachig zu wirken. Oft liebe ich es, recht
stur englische Wörter wie ein Deutscher im Anfängerkurs quasi-deutsch
auszusprechen. Der phonetische Mehrwert durch zungentechnisches Faulenzen,
Verweigern oder Unvermögen wird in NY nicht unbedingt negativ erlebt,
sondern kann auch für alle Gesprächsteilnehmer einen Reiz haben.
Das Unbehagen im Akzent ist für mich zur versteckten, trottelsicheren
Alltagsfreude geworden. Es ist oft eine Art Understatement, das verkehrstechnisch
gesprochen einer Abkürzung über einen Feldweg entspricht. Ich
persönlich mag Menschen mit starken phonetischen Standardabweichungen,
seien sie nun geographischer, sozialer, linguistischer, ethnischer oder
selbst medizinisch-physiologisch-psychologischer Natur.
Deutsch ist derzeit in Amerika sehr chiq, wird die Sprache doch fast ausschließlich
nur noch von der akademischen Elite für das Doktoratstudium gelernt.
Auch vermute ich leicht ein unbewusstes rassistisches Wohlbefinden unter
den sogenannten Weißen, das zu vergleichen ist mit dem unausgesprochenen
Rassismus und Klassismus von Wohnadressen in als besser empfundenen Gegenden,
die eine Konzentration von gleich aussehenden, viel verdienenden Leuten
aufweist. Selbst in Filmen sind die deutsch-akzentierten Verbrecher in
komplizierte, intelligente Machenschaften involviert und verbreiten ein
sophistiziertes Image. Mir persönlich wiederum fällt auf, dass
in Deutschland und Österreich skrupellos Wörter, Redewendungen
und sogar grammatische Idiosynkratien aus dem Englischen entlehnt werden,
selbst wenn die deutsche Sprache ebenso elegante und prägnante Äquivalente
zu bieten hat. Ich kann mich im Deutschen mit „switchen“,
„off und on“, „downloaden“, „mailen“
„kids“ usw. nicht sehr anfreunden. Amerikanische Modesprachwendungen
landen mitunter schon 6 Monate nach NY in Wien oder Berlin. Ich müsste
jetzt nur mit einer Wiener Assistentin „skypen“, um hier mit
Beispielen auf den letzten Stand zu kommen.
KW: Sprache ist für Dich ein künstlerisches
Material, Sprachenlernen eine künstlerische Praxis. Quasi ein modellhafter
>Selbstversuch<, der auch identitätsverändernde Auswirkungen
hat. "Im Lernprozess wird das Monopol der eigenen >Muttersprache<
in einer Vielsprachigkeit aufgeweicht", wie Nina Möntmann mal
über Deine Arbeit sagte. Insofern würde mich an dieser Stelle
weniger interessieren, was es für Dich bedeutet in neue, fremde Sprachräume
"einzudringen", sondern: welche Rückwirkung Deine künstlerische
Praxis auf Deine Muttersprache hat? Vielleicht kannst Du das an einem
Fallbeispiel festmachen?
RG: Nun, genaues kann
ich zur Frage auf die Rückwirkung meiner künstlerischen Praxis
auf meine Muttersprache nicht sagen. Einerseits weiß ich weder,
was ich genau unter Muttersprache zu verstehen habe (also nicht nur ob
hier die Rede von Hochdeutsch oder vorarlberger Dialekt ist), noch bin
ich mir nicht so sicher, wie ich meine künstlerische Praxis mit Fremdsprachen
objektivieren kann. Sogenanntes Code-switching macht nur Sinn und Freude,
wenn die Gesprächspartner ebenfalls über eine erweiterte Bandbreite
verfügen und dialogfreudig sind. Fast täglich beschere ich meiner
ebenfalls vielsprachigen Freundin neue Namen, deren Elemente ich wie ein
verwöhntes Kind dem Japanischen, Deutschen, Vorarlbergerischen usw.
entnehme. Es entsteht so eine sprachliche Lumpensammlung, die ich täglich,
je nach Lust, Laune und Liebe sinnunabhängig assoziative zusammenraffe,
um sie bald wieder unnotiert ins Vergessen zu entlassen. Diese Art amouröse
sprachliche Durchlauferhitzung bringt uns in die Nähe der Unmöglichkeit
einer Privatsprache, die in unserem Fall Sprache in Liebe und Liebe in
Sprachen übersetzt.
KW: Seit 1999 arbeitest Du an dem Projekt "Sprache
der Emigration": Es setzt sich mit Emigranten in New York und in
Atlanta auseinander. Kannst Du das Projekt für unsere Leser kurz
skizzieren und auf die Differenz zwischen Interviewten und Interviewer
eingehen - im Hinblick auf die identitätsstiftende Dimension der
deutschen Sprache? Anders gefragt: Welche Unterschiede stellst Du zwischen
Dir und der älteren Generation der US-Einwanderer hinsichtlich Status
und Bedeutung des Deutschen im Ausland fest?
RG: Das Projekt „Sprache der Emigration“
besteht, wie gesagt aus Videointerviews und Photos von durch die Nazis
zu Schaden gekommenen Menschen. Ich bin soeben schon darauf eingegangen.
Sicherlich ist es so, dass das Teilen der Sprache, der Kultur und der
Herkunftsländer zur gegenseitigen Identifikation einlädt oder
verführen könnte, aber der Unterschied zwischen diesen damaligen
Opfern – heute sind sie keine Opfer mehr – und mir ist offensichtlich
und groß. Ich bin freiwillig in die USA gekommen, sie sind dazu
aus politischen Gründen gezwungen worden. Der rein rechtliche Status
zwischen dieser Emigrationsgruppe und mir ist ähnlich, weil auch
ich einen amerikanischen Pass erhalten habe, wobei ich aber auch am österreichischen
Pass festhalte. Der erlebte Status aber ist ein völlig anderer: West-Europäer
werden nicht als Emigranten wahrgenommen, selbst wenn sie wie ich annähernd
20 Jahre dort leben und US- Staatsbürger sind. Dieses Image ist heute
nur Leuten vorenthalten, die in ihrer Heimat politisch verfolgt sind,
oder nicht-kaukasischer Herkunft sind. Verkürzt gesagt: Nicht-Weiße
und Menschen, die früher der Sowjetunion angehört haben, können
schon am Flughafen als Immigranten identifiziert werden, Westeuropäer
hingegen bleiben ihr Leben lang, eine Art internationaler Jetset oder
permanente Touristen. Die europäische Seite sieht das nicht viel
anders: Wenn ich in Wien mich einmal im Jahr zeige, fragt jeder, ob ich
nun wieder nach Österreich gezogen sei, als ob mich jeder dort haben
wollte, und als ob das entfernte Leben an sich eine Qualität hätte,
die es mir wie eine zweite Haut vom Leib zu reißen gälte. Wie
in der Kunst, muss ich mich mit einer allgemeinen Definitionslosigkeit
abfinden und kann mich keiner anerkannten Gruppe zuordnen. Seit langem
habe ich es aufgegeben, Leute in Italien, Deutschland oder Frankreich
zu erklären, dass ich u. a. auch Amerikaner bin. Wenn ich mich nicht
kompliziert erklären will, bin und bleibe ich in Europa hundertprozentig
Österreicher, bzw. Vorarlberger, auch wenn ich über recht wenig
brauchbares lokales aktuelles Wissen verfüge.
KW: Welche Neologismen (speziell solche, die aus >rein<
deutschen Begriffen enstanden sind) im Umlauf? Kannst Du Beispiele für
kreative Bastard-Versionen des Deutschen nennen? Wie und in welchen sozialen
Kontexten finden sie Verwendung? Es heisst: Sprache verbindet, stellt
einen sozialen Raum her. Vor diesem Hintergrund würde mich interessieren:
Welche Art sozial-symbolischer Grenzen etablieren besagte Neologismen
bzw. reissen sie nieder?
RG: Nun, leider muss ich hier passen, da ich ja wirklich
nur ein Tourist in deutschen Landen bin, der, wie du oben schon erfahren
hast, keine Ahnung mehr hat wie man Deutsch heute spricht. Ich kenne deshalb
keine bemerkenswerten deutschen Neologismen und bitte dich, mich diesbezüglich
am laufenden zu halten. Was meine persönlichen Neologismen angeht,
so sind diese, wie ebenfalls schon angedeutet, der Logik der Unmöglichkeit
einer Privatsprache entsprechend strikt privater Natur.
Zur Globalisierung der deutschen Sprache fallen mir nur zwei Dinge ein:
Zum ersten, dass Deutsche bis heute es noch lieben, auch zuhause English
sprechen zu können. Es herrscht dort eine Art Kosmopolithunger. Bis
dato wird von Ausländern noch nicht unbedingt erwartet, dass sie
Deutsch sprechen lernen. Von in Holland lebenden jungen Ausländern
dagegen höre ich nun, dass immer weniger Sympathien oder Verständnis
fürs Nicht-Holländisch-Sprechen-Können vorhanden sind.
Vielleicht wird das auch in Berlin und Wien bald der Fall sein. Meine
zweite Assoziation mit Globalisierung in Deutschland lässt sich auf
einen unglücklichen Reim bringen: „Lieber Kinder statt Inder.“
Das Abraten aus Sicherheitsgründen vom Aufenthalt in bestimmten Städten
und Orten für nicht-europäische Fußballfans ist ebenfalls
symptomatisch für die defacto Lage zum Thema deutsche Globalisierung.
Beim Blättern durch europäische Zeitungen, bekomme ich leider
den Eindruck, dass in ganz Europa Faschismus, Rassismus, Fremdenhass und
Intoleranz sich globalisieren. Paradoxerweise sind unter russischen Neonazis,
die bald wöchentlich eine nicht-kaukasische Person zu Tode prügeln,
bestimmte deutsche Embleme und Zeichen sehr hoch im Kurs. Zu meiner Verblüffung
habe habe ich auf meiner derzeitigen Reise in Rom und Sardinien eine sehr
beachtliche Zahl von zum Teil falsch gesprayten Hitlerkreuzen angetroffen.
KW: Inwieweit nimmst Du nicht nur fremde Sprachen und
Dialekte auf, inwieweit siehst Du Dich auch als Exporteur der deutschen
Sprache? Inwieweit bist Du als Sprachlernender auch Sprachlehrer - Deutschlehrer
um genau zu sein? Ich ziele dabei nicht nur auf explizite Lehrer- bzw.
Tandemaktivitäten ab, sondern auf indirektere, ggf. subtilere Transfermodi.
RG: Meine Freundin lernt gerade Deutsch, und ich helfe
Ihr dabei. Ein italienischer Künstlerfreund will es ebenfalls lernen
und ich werde mich mit ihm arrangieren und Spracheservice gegen Kunst
tauschen. Was sonst noch von mir – in Bezug auf deutsches Exportgut
- vermittelt werden kann ist wahrscheinlich nichts anderes als vorarlberger
Eigensinn, von Bergbauern ins Tal geschwemmte Manieren, Suhrkamp Taschenbuchwissen
und eine gewisse Nachkriegsgenerationssensibilität.
New York, Rom, Sardignien, Korsika Juni
2006
---------
das ist der beitrag,
wie er von der berlliner gazette editiert , gekuerzt und ausgeschickt
wurde: (diese kürzungen sind alle von mir genehmigt worden) - und
sind vereoffentlichungsfaehig:
berliner gazette: das digitale mini-feuilleton:
Rainer Ganahl Protokoll
Ausbürgerung, Sprache und Deutsch in New York
Der Umstand, dass ich seit 1990 mehr oder weniger ununterbrochen in New
York lebe, scheint meine zerebrale Sprachzentrale wenig zu beeindrucken.
Ich vermute sogar, dass ich insgeheim eine Freude am Falschsprechen habe
und immer träger werde, englischsprachig zu wirken. Oft liebe ich
es, stur englische Wörter wie ein Deutscher im Anfängerkurs
quasi-deutsch auszusprechen.
Der phonetische Mehrwert durch zungentechnisches Faulenzen, Verweigern
oder Unvermögen wird in New York nicht unbedingt negativ erlebt,
sondern kann auch für alle Gesprächsteilnehmer einen Reiz haben.
Das Unbehagen im Akzent ist für mich zur versteckten, trottelsicheren
Alltagsfreude geworden. Es ist oft eine Art Understatement, dass, verkehrstechnisch
gesprochen, einer Abkürzung über einen Feldweg entspricht. Ich
persönlich mag Menschen mit starken phonetischen Standardabweichungen,
seien sie nun geographischer, sozialer, linguistischer, ethnischer oder
selbst medizinisch-physiologisch-psychologischer Natur.
Seit 1999 verfolge ich in den USA ein Interview-Projekt mit deutschen
und österreichischen Emigranten sowie mit Menschen, die Konzentrationslager
überlebt haben. Diese Interviews sind für mich sehr spannend.
Durch sie lerne ich eine Welt kennen, die ich mir vorher nur als „Historie“
vorstellen konnte. Der Horror der Nazizeit war so groß, dass ich
mir davon kein „direktes“, „unmittelbares“ Bild
machen, sondern ihn nur als historische Abstraktion denken konnte, obwohl
ich nur zwei Jahrzehnte nach 1945 zur Welt kam. Im Grunde hat der Holocaust
zweimal stattgefunden: einmal real und ein zweites Mal im Verschweigen
und Nicht-Wahrnehmen der Überlebenden in der Emigration. Das Deutsch
dieser Menschen ist in vielfacher Hinsicht faszinierend, nicht zuletzt
weil es den Akzent der Zeit bewahrt hat. Übrigens vergleichbar mit
dem Deutsch von Menschen in Prag, wo es heute keine deutschsprachige Bevölkerung
mehr gibt.
Ich erinnere mich an eine Dame aus Wien, die 1938 nach New York kam und
mit ihrem Deutsch des damaligen Bürgertums die heutige österreichische
Sprachsituation kommentierte: „Die Intellektuellen in Wien sprechen
heute alle so, wie früher die Kutscher gesprochen haben.“ Diese
nun schon sehr betagte Gruppe von deutschsprachigen New Yorkern geht jedoch
mit dem Deutschen sehr vorsichtig um und spricht es – wenn überhaupt
– vorwiegend nur unter ihresgleichen. Am meisten beeindruckte mich
jedoch eine sehr alte Dame mit deutschem Akzent, während einer Liftfahrt
in New York. Als ich sie fragte, ob sie Deutsch sprechen könnte,
überkam sie ein angstvoller Schreikrampf. Ihre irrationale panikartige
Reaktion bleibt für mich unvergesslich und beklemmend und lässt
mich nur ahnen, was deutschsprachige Schergen ihr einmal angetan haben
mochten.
Jüngere Deutschsprecher gibt es in New York ebenfalls in großen
Zahlen. Die Stadt ist und bleibt ein Anziehungspunkt für Leute wie
mich, die ihr Leben nicht von billigen Mieten bestimmen lassen, sondern
von der Professionalität, Effizienz und Schnelligkeit des Lebens.
Also auch von der kulturellen, sozialen und ökonomischen Komplexität
und Intensität dieser Stadt. Mehr noch: In meinem Wahn, immer wieder
neue Sprachen zu lernen, ist New York ein linguistisches Eldorado. Ich
spreche, höre oder lese mindestens fünf verschiedene Sprachen
pro Tag, dabei auch Deutsch. Das Internet erlaubt es mir, internationales
Radio zu hören und kostenlos telefonieren zu können –
Dinge von denen ich ständig Gebrauch mache. Ich muss also nicht nur
mit dem deutschen Medienaktivisten Wolfgang Staehle und seiner Frau Abend
essen, um Deutsch sprechen zu können.
Selbstverständlich orientiere ich mich wie jeder ursprüngliche
Dialektsprecher an den Sprechgepflogenheiten der Gesprächspartner.
Das heißt für mich, dass ich außer am Telefon mit meiner
Familie kaum vorarlbergischen Dialekt spreche. Die Schweizer, mit denen
ich mich wunderbar im Dialekt verständigen könnte, hören,
dass ich fünf Kilometer östlicher, also jenseits ihrer Grenze
aufwuchs und schalten deshalb meistens sofort auf Standarddeutsch um,
was natürlich auch ich sofort mache, sobald ich mit Standarddeutsch
konfrontiert bin. Vorarlberger in New York gibt es nur wenige und spielen
derzeit für mich keine besondere Rolle. Ich spreche vermutlich öfters
Chinesisch als vorarlbergischen Dialekt. Sollte ich dann noch Vorarlberger
in New York treffen, lassen sie sich oft nicht zum Dialektsprechen bringen,
weil sie das entweder aus Gewohnheit oder aus sprachlichem Snobismus nicht
mögen.
Neulich verbrachte ich vier Tage in Bregenz und musste zu meiner Überraschung
feststellen, dass mein Dialekt nicht mehr einwandfrei ist. Ich wurde gefragt,
was ich für ein „Landsmann“ sei und wie lange ich schon
nicht mehr im „Ländle“ lebte – 26 Jahre. Kinder
waren noch konsequenter: Sie antworteten mitunter auf mein Dialektsprechen
mit Standarddeutsch. Ein weiteres Zeichen, dass ich mich mit der Lokalsprache
erst wieder anfreunden müsste. Ein bregenzer Kurator meinte nach
vier Tagen, dass mein Vorarlbergerisch sich verbessert hätte, was
mir Hoffnung machte. Ich habe mich aber eigentlich schon daran gewöhnt,
in keiner Sprache „lokal“ zu klingen. Meinen starken Akzent
beim Englischsprechen höre ich sogar selber. Interessanterweise werde
ich in New York äußerst selten auf meinen offensichtlich starken
ausländischen Akzent angesprochen, jedoch von fast jedem Deutschen
immer sofort darauf hingewiesen, der nicht in New York lebt.
Fast täglich beschere ich meiner ebenfalls vielsprachigen Freundin
neue Namen, deren Elemente ich wie ein verwöhntes Kind dem Japanischen,
Deutschen, Vorarlbergerischen usw. entnehme. Es entsteht so eine sprachliche
Lumpensammlung, die ich täglich, je nach Lust, Laune und Liebe sinnunabhängig
assoziativ zusammenraffe, um sie bald wieder unnotiert ins Vergessen zu
entlassen. Diese Art amouröse sprachliche Durchlauferhitzung bringt
uns in die Nähe der Unmöglichkeit einer Privatsprache, die in
unserem Fall Sprache in Liebe und Liebe in Sprachen übersetzt.
Derzeit lernt meine Freundin Deutsch und ich helfe ihr dabei. Ein italienischer
Künstlerfreund will es ebenfalls lernen und ich werde mich mit ihm
arrangieren und Spracheservice gegen Kunst tauschen. Was sonst noch von
mir – in Bezug auf deutsches Exportgut – vermittelt werden
kann ist wahrscheinlich nichts anderes als vorarlberger Eigensinn: von
Bergbauern ins Tal geschwemmte Manieren, Suhrkamp Taschenbuchwissen und
eine gewisse Nachkriegsgenerationssensibilität.
Deutsch ist derzeit jedenfalls sehr chic in den USA, wird die Sprache
doch fast ausschließlich nur noch von der akademischen Elite für
das Doktoratstudium gelernt. Auch vermute ich leicht ein unbewusstes rassistisches
Wohlbefinden unter den sogenannten Weißen. Vergleichbar mit dem
unausgesprochenen Rassismus und Klassismus von Wohnadressen in als besser
empfundenen Gegenden, die eine Konzentration von gleich aussehenden, viel
verdienenden Leuten aufweist. Selbst in Filmen sind die deutsch-akzentierten
Verbrecher in komplizierte, intelligente Machenschaften involviert und
verbreiten ein sophistiziertes Image.
----------
THIS WAS
RESEREARCHED AND SENT TO ME BY TEHY EDITOR OF BERLLINER ZEITUNG... THANKS
TO KRYSTIAN WOZNIKI)
GERMAN IN AMERICA
The English-only vote. An essay by Dennis Barron on the old story that
German almost became the official language of the US and was defeated
by
one vote.
This matter is covered in some detail in Karl J. R. Arndt, "Introduction:
German as the official language of the United States of America?"
in "Die
deutschsprachige Presse der Amerikas / The German Language Press of the
Americas," 3 (Muenchen: K. G. Saur, 1980), 19-42.
There was never an attempt to make German the official language of the
United States, although (1) there was a failed attempt in Congress in
1794, based on a petition of German residents of Augusta Co., Virginia,
to
have "a certain proportion" of the laws of the United States
printed in
German as well as English, and (2) beginning in 1828 ["Deutsche Sprache
in
Nordamerika", "Das Ausland" (Stuttgart: Cotta), 1 February
1828, 126-127,
and 2 February 1828, 130-131], reports were circulated in the German,
English, and American press of an attempt to make German an official
language, (alongside English,) of Pennsylvania, an attempt that was
supposedly defeated by only one vote (Arndt, however, was unable to find
any bill or resolution proposing to make German the or an official
language of the state of Pennsylvania).
It is also known as the Muehlenberg legend. In the online version of "The
German-Americans: An Ethnic Experience" by Willi Paul Adams, it reads
as
follows:
At the root of the so-called Muehlenberg legend lies rather a
disappointment that German was not able to hold its gound as a language
of
daily usage even in Pennsylvania, except within small Mennonite, Amish
and
other sectarian communities. During both the War of Independence and the
War of 1812, at times when anti-German feelings were running high,
Americans of German descent comprised less that 9% of the total population
of the United States. And even in Pennsylvania, where the Germans had
settled most densely, they amounted to only a third of the entire
population. Colonial speakers of English fought only for their political
inde- pendence. They had not stomach for an anti-english language and
cultural revolution.
When German-language farmers in Augusta County, Virginia petitioned the
U.S. House of Representatives in 1794 for a German translation of the
booklet containing the laws and other government regulations--copies of
which had been distributed free in the English language--officials simply
ignored them. Even the bilingual Speaker of the House of Representatives,
Frederick Augustus Conrad Muehlenberg, refused to support their modest
request, arguing that the faster the Germans became American, the better.
No doubt, disappointment with his negative, though realistc, posture
contributed a generation later to the birth of this legend. (p.25/26)
Eberhard and Ruth Reichmann
--------------------------------------------------------------------------------
Regarding German in the U.S.: Karl J.R. Arndt wrote the definitive article
on this, which can be found in his THE GERMAN LANGUAGE PRESS OF THE
AMERICAS, vol. 3 (1980).
In 1794, the Virginia Germans petitioned Congress to print laws in German,
but this was sent to a committee where it died - this was done a second
time with the same result. The speaker of the House, F.A.C. Muehlenberg,
was afraid to support the measure for political reasons - at that time
nativism ran quite high due to the anti-immigrant sentiment resulting
from
the horrors emanating from the French Revolution. Muehlenberg, concerned
about his own position as Speaker of the House, remained neutral on the
petition, which, hence, died in the committee. It never came to the full
House for a vote.
In 1828, a motion was submitted in the Pennsylvania State Legislature
to
make German co-equal with English - this failed by one vote. This vote
is
often confused with the 1790s petition, as one which was up for a national
vote.
Although these petitions and motions were not passed, it should be noted
that the Federal and state governments beginning during the American
Revolution and to this day print official documents in German, as well
as
in other languages. This began with the Articles of Confederation during
the Revolution. Also, the printing of German-language broadsides was also
adopted during the Revolution. German-language printing is still being
done by the Federal Government for distribution at national parks,
monuments, and institutions, such as the Library of Congress. Various
states issue German documents, for example, the state of Illinois
publishes a drivers manual in German. At the city level, numerous cities
published in German, for example, the city of Cincinnati.
Hence, German from the beginning of the country has been a language that
has been sanctioned and approved for the printing and publication of
documents. However, Congress and no state has ever voted and passed a
petition to make German "the" national language. Even the 1820s
Pennsylvania motion was to make German "co-equal" with English.
German-American never advocated it be "the" national language
- at the
most, it was desired to make it "co-equal" with English. That
failing,
they opted for obtaining documents printed in German. They also in the
19th century shifted their focus to the establishment of bi-lingual public
school programs, which lasted down to WWI, when German was declared
illegal in 26 states of the Union.
DON H. TOLZMANN
University of Cincinnati
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Karl Arndt gives a full report, completely documented, in "Monatshefte
fuer den deutschen Unterricht", v. 68 (1976), pp. 129-150. He describes
various movements in the early states towards an official use of German,
which all came to naught. The old story that, except for one vote, German
would have become the official language of the U.S., apparently comes
from
the fact that except for one vote, German would have become an official
language (beside English) in Pennsylvania.
I might add that I understand that the laws of Texas were printed, by
authorization of the state government, in German and Spanish (besides
English) in the mid-1800s. I have seen references to the specific law
concerned, but have not had time to pursue it. There are many other facets
to the 'official use of German' in the United States. For example, in
the
large Missouri Synod (originally die Deutsche Evangelisch-Lutherische
Synode von Missouri, Ohio, und anderen Staaten), German was the official
language until the First World War, when English was admitted as an
alternate. Official records in many churches exist solely in German until
well after World War II. German birth-and-baptismal records are still
frequently accepted in Texas as proof of birth; as a matter of fact, the
state of Texas did not start keeping birth records until something like
1890. Perfectly legal marriages were performed in German thru and after
WW2 and the certificates were made in German, etc. Grave inscriptions
and
cornerstones also stand as vivid testimony of a sort of official use of
German.
Joseph Wilson, Prof. of German
Dept. of German & Slavic, Rice University
index
texte
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