rainer ganahl
Museen müssen als autonome Versuchsfelder und Räume für
alternative Reflexions- und Entscheidungsprozesse erkannt und erprobt
werden. International, anerkannt, berühmt,
verkaufbar, publikumsanziehend muß nicht
unbedingt besser sein als regional, eigensinnig,
unbekannt, schwer verkaufbar, rezeptionssperrig.
Museen als öffentliche/gegenöffentliche Räume im pankapitalistischen
Zeitalter der digitalen Konvertierbarkeit
Museen, Kunsthallen und Kunsthäuser jeder Art können ihre Legitimation
kaum mehr länger aus ihrer physischen Präsenz und einem kaum
hinterfragten Selbstverständnis herleiten. Historisch sind sie das
Co-Produkt der Nationalstaatenbildung und ihrer kritischen, legitimationsbedürftigen
Öffentlichkeit. Für die bürgerliche Ära des 19. Jahrhunderts
spielten Museen, ihre Produkte, ihre Ideologien und ihr Publikum eine
wesentliche Bedeutung, die kaum mehr nachvollziehbar ist, lösen sich
in Europa heute gerade jene nationalstaatlichen Entitäten auf, die
sie zu rechtfertigen hatten. An die Stelle der Logik von Nationalstaaten
tritt nun eine Logik der ökonomischen Kostennutzenrechnungen, die
immer komplexere und indirektere Formen annehmen.
Das, was den Nationalstaat liquidiert, liefert auch seine kulturellen
Institutionen - Museen, Universitäten - neuen, sie oft zerstörenden
finanziellen Realitäten aus. Transnationales ökonomisches Kalkül
dominiert die Nationalökonomien, die Staatshaushalte und in ihrer
Folge auch seine Ausgaben für soziale und kulturelle Funktionen.
Alleine schon die monetäre Politik der Europäischen Union wird
es nicht mehr länger erlauben, bedeutende Geldzuwendungen unprofitablen
kulturellen Einrichtungen beizusteuern. Was unter dem Namen Kultursponsoring
und Fundraising in den USA und Asien den Alltag von Museen ausmacht, wird
auch in Europa immer mehr zur Tagesordnung von Direktoren werden. Finanzierungen
des Wirtschaftssektors bleiben nicht nur dynamische Experimente von ambitionierten
Unternehmer-Direktoren, sondern wird über kurz oder lang schlechtweg
über das Fortbestehen der jeweiligen Institution entscheiden.
Die Konsequenzen dieser Verschiebungen sind nicht nur primär finanzieller
Natur. Es geht hier nicht nur um die Provenienz oder Absenz von Geldern,
sondern um verschiedenartige Rechtfertigungs- und Erwartungskulturen.
Eine leistungs- und ertragsorientierte Legitimationsinstanz trifft seine
Selektionen anders als eine an Aufklärung und Kritik orientierte
Entscheidungsinstanz, deren Etat durch ideologisch vermittelte, übergeordnete
Institutionen garantiert ist. Exzellenz, eine Kategorie, die keiner Überzeugung
oder Erkenntnis mehr verpflichtet ist, sondern nur noch dem wie immer
definierten Erfolg, wird nicht nur von den Kuratoren und Direktoren abverlangt,
sondern auch von den Künstlern. Erfolg und Exzellenz definieren sich
u.a. als Funktionen von Medienrezeption und Verkauf. Exzellent ist nicht
nur, wer Sponsoren überzeugt, sondern auch wer sich als Künstler
in den Räumen der internationalen Kunstindustrie und ihren Medien
durchsetzt. Diese Industrien können mit quantifizierbaren Maßstäben
aufwarten, um Künstler wie ihre Objekte Investitionsstrategien zuzuführen
und um Entscheidungsfindungen zu erleichtern. Künstler versachlichen
sich zu Namen, werden immer wichtiger und konzentrieren für sich
Faszination, Interesse, Chancen, Geld, und Publizität in immer schnelleren
und grandioseren Dimensionen. Dieser plötzlich einsetzende Konzentrationsprozeß
von Erfolg, Chancen und Medienintensität der jeweils plakativ-großen
künstlerischen Karrieren läßt sich mit den beschleunigten
Konzentrationen von Banken, Versicherungs-, Chemie- und Technologiekonzernen
vergleichen.
Der Trend zur Exzellenz und Grandiosität animiert auch die Museumsbauten
selbst, die sich nur noch selbst präsentieren. Nicht mehr sollen
nur geeignete Räume für Kunst entstehen, vielmehr sollen es
Monumente einer corporate identity- und lobby-Ästhetik werden. Das
subtile Spektakel beginnt mit dem berühmten Architekt und einer grandiosen
Architektur, setzt sich fort mit der namhaften Leitung, den bekannten
Kuratoren, die sich wiederum mit noch berühmteren Stars der internationalen
Kunstwelt wie Trophäen schmücken. Das Verkehrsmedium ist weniger
Reflexion, soziale Notwendigkeit und politische Verantwortung, sondern
offene und versteckte Arroganz und hierarchisches Hofverhalten. Es muß
hier nicht erst gesagt werden, daß diese Konzentrationsbewegungen
in der Kunstwelt genauso wie in der Welt der Konzerne (corporate world)
nicht ohne die heutige hochentwickelte Verkehrs-, Transport- und Kommunikationsinfrastruktur
auskommen könnten. Die Fluktuationen in diesen kristallinen Glashäusern
ist so groß wie die von Aktien. Die darin verhandelte Macht zirkuliert,
siedet und kann wie Schuppen ab- und dem nächsten zufallen, und das
mitunter ohne einsehbare Logik.
Dieser allgemeine Bericht einer überall beobachtbaren Entwicklung
soll nicht etwa zynisch sein. Aber in der heutigen medien- und spektakelgepeitschen
Welt, die sich von jeder Seite gleichzeitig beobachtet, sich zentrumslos
als freischwebender Planet um verschiedene Achsen dreht, treiben dieselben
Gesetze nicht nur Waren, Urlaubsländer, Kleiderfarben, Städte,
Autos, Fernsehprogramme, Unterwäsche, Versicherungen, Telekom-, Bankservice
und Aktien, sondern auch Kultur, Wissenschaft, Forschung, Literatur, Kunst
und Museen. Umsatzsteigerung, Konsumptionsverhalten, Besucherzahlen, Einschaltquoten,
Investitionsvolumen, Preis- und Gewinnkurven, Dividenden, Rezeptionen,
Geschmacksbildung, Umwegrentabilität usw. sind Konzepte, die strukturell
vergleichbar sind. Aus dem Jeder ist jedem ein Wolf wurde
Alle zur selben Zeit dasselbe. Overkill, selbst die Nationalsprachen
erscheinen vor der Dominanz des Englischen als lokale Dialekte, so wie
die Dialekte als Stigma vor den jeweiligen TV- und Rundfunksprachen erscheinen.
Es ist unmöglich, den Museen- und Kulturapparat von diesen neoliberalen
Gesetzlichkeiten zu verschonen. Denn selbst der Staat muß sich verkaufen,
sich selbst auf einen kurzen, folkloristischen Nenner bringen, seine Mozarte,
Sachertorten, Schönbrunns und Helmut Langs als Verführungskapital
richtig einsetzen, will er im pankapitalistischen Unternehmungstummel
kompetieren, um aufgelistet zu werden in den Europa in 5 Tagen-Reisebüchern.
Davon wird abhängen, ob er weiterhin Geld für seine Institutionen
aufbringen kann. Museen und Kulturveranstalter müssen in der Lage
sein, die veränderten Bedingungen zu verstehen, sie kritisch zu hinterfragen
und neue Legitimationszusammenhänge zu erarbeiten. Museen müssen
als autonome Versuchsfelder und Räume für alternative Reflexions-
und Entscheidungsprozesse erkannt und erprobt werden. International,
anerkannt, berühmt, verkaufbar,
publikumsanziehend muß nicht unbedingt besser sein als
regional, eigensinnig, unbekannt,
schwer verkaufbar, rezeptionssperrig. Keine dieser
Qualitäten darf verkannt und von vornherein über- oder unterbewertet
bleiben. Finanzierungs- und Unterstützungskonzepte müssen kritisch
überdacht und neu verhandelt werden.
Auch das, was an Kunst selbst definiert und präsentiert wird, muß
überdacht und im Hinblick auf die Verschiebungen der Öffentlichkeit,
der Demographie, der Bevölkerungszusammensetzung neu konzipiert werden.
Für wen soll was unter welchen Bedingungen (re)präsentiert werden.
Das Wort Öffentlichkeitsarbeit muß nicht nur für ein Gala-Diner
in den Museumsräumen für die Belegschaft der finanzkräftigsten
Firmen der Umgebung stehen, sondern kann auch Bevölkerungsgruppen
ästhetisch repräsentieren und für sie Gemeinschaftsarbeit
leisten, die üblicherweise per definitionem ausgeschlossen bleiben.
Das aber sind nur einige Fragen und Problemskizzierungen, die nicht etwa
die Grenzen von Museen definieren, sondern neue, zukünftige Nutzungsmöglichkeiten
diesen an und für sich überkommenen Institutionen eröffnen.
Veränderungen im Verständnis von Öffentlichkeit, Repräsentationspolitik
und Kulturarbeit sind wichtig, damit diese neuen Museen nicht nur kleine
profitable oder unprofitable Wirtschaftsunternehmen für wenige Interessierte
oder Massen von Touristen werden, sondern relevante, experimentelle Räume
neuer kultureller Identitäten, Räume der Gegenöffentlichkeit,
Räume, die uns gesellschaftliche und ideologische Wertzwänge
zu neutralisieren und zu hinterfragen helfen.
Rainer Ganahl, New York, Februar 1998
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