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rainer ganahl 1998

"Once we used to send gunboats and
diplomats abroad; now we are sending
English teachers (International house brochure, 1979, zitiert aus"Linguistic Imperialism"

 

Sprache im Zeitalter globaler Vernetzung
I.
Ich interessiere mich für Sprachen im Zeitalter von Globalismus und Netscape. Der Untertitel lautet deshalb leicht alliterarisch >>sprachscape - escape<<.
Nun, obwohl das Wort Globalismus mittlerweile von allen und jedem akzeptiert scheint und es - anders als das Wort Postmodernismus - keiner akademischen Disziplin zugeordnet werden muß, bedarf es gerade wegen seiner anscheinenden Neutralität und Unscheinbarkeit einer kurzen Erläuterung. Globalismus ist eine Ideologie, die Ideologie selbst zu neutralisieren und zu widersprechen scheint, weil sie zuerst davon ausgeht, nur einen Sachverhalt im Anschluß an den Kalten Krieg zu beschreiben: das scheinbar freie, internationale Zirkulieren von Waren, Informationen, Finanzen, Menschen und Arbeit dank einer technologisch total erschlossenen, zum Dorf geschrumpften Welt. Etwas ideologischer erscheint das Phänomen, wenn man Globalismus nicht fälschlicherweise, mit dem Internationalismus der Linken assoziert, sondern wenn man an Neoliberalismus denkt und weiß, daß der "freie Markt" eine Instrument transnationaler Kartelle und Korporationen ist, die nur ihren unmittelbaren Gewinninteressen nachkommen, ohne auch nur nationale Interessen zu berücksichtigen.
Ohne jetzt auf die Probleme dieses transnationalen Kapitalismus einzugehen, der auch Arbeitslosigkeit, Finanzkrisen, Schulden, Armut, Krankheiten (Aids z. B.), Prostitution, Götter, Kriege, Flüchtlinge, Menschenschicksale und Neokolonialismus in der Welt neu verteilt, möchte ich hier kurz auf die Vorgeschichte dessen eingehen, was diffus Globalismus genannt wird und uns auch dem Problem Sprache näher bringt. Um 1500 begann die erste Phase europäischer Expansion, die merkantile Ausbeutung im Verein mit der blutigen Mission der Christianisierung charakterisierte und Spanisch und Portugisisch in die “Neue Welt” brachte. Die darauffolgende Epoche des kolonialen Imperialismus unter englischer, holländischer und französischer Flagge entwickelte sich zum industriellen Kolonialismus, den u. a. auch eine zivilisatorische Mission rechtfertigen sollte. Neben etwas Holländisch exportierte er vorwiegend Englisch und Französisch. Die dritte Vorstufe des Globalismus kennzeichnet den hochindustriellen U.S. Imperialismus mit europäischer Beteiligung, das sich mit dem Credo von Modernisierung und Entwicklungshilfe zu legitimieren versucht, das auch von Japan mitfinanziert wird. Dabei konsolidierte sich vorallem Englisch als dominante postkoloniale Weltsprache. Nur wenn diese koloniale Vorgeschichte berücksichtigt wird - und wie könnte man sie in Anbetracht der Verbreitung der kolonialen Sprachen über die gesamte Welt übersehen -, läßt sich das heutige Stadium "freier" Marktwirtschaft, IMF und World Bank unter post-kolonialen Vorzeichen verstehen. II.
Kolonialgeschichte ist auch Sprachgeschichte. Um ein Land effizient regieren zu können, bedarf es der Verbreitung der Sprache der Herrschenden, der Kolonialherren, die sehr bald für eine kollaborierende Minderheit mit Vorteilen verbunden ist. Nicht nur wurden ganze Kontinente und Länder am Reißbrett politisch aufgeteilt und deren Schicksal über jede bestehende Logik hinweg bestimmt, sondern auch über deren Sprachen wurde entschieden. Spanisch und Portugiesisch werden in Südamerika gesprochen; Englisch in Indien, Pakistan, Südostasien, Afrika, Nordamerika, und Neuseeland; Französisch in Afrika, Nordamerika, und etlichen Karibischen Inseln, um hier nur mit dem Daumen sehr ungenau auf einige dominante europäische Kolonisationsspuren zu verweisen. Vergessen sollte man auch nicht die Russifizierung eines großen Teils der Welt unter ex-sowjetischem Einfluß, wo heute zum Teil erst mit Mühe lokale Sprachen wiedererlernt werden müssen. Die Russifizierung stoppte nicht einmal vor Familien- und Eigennamen, die zwangsweise geändert werden mußten. Bis heute geht der Kampf um Sprachen weiter und setzt sich selbstverständlich auch in der Wahl um die gewählte Fremdsprache weiter fort. Jemand aus Latvien mit Russisch anzusprechen kommt einer Beleidigung nahe, obwohl Latvier Russisch mitunter besser beherrschen als Englisch, das jedoch Westernisierung, Modernisierung, politische Unabhängigkeit und ideologische Neutralität konnotiert. Die Verneinung von Gleichzeitigkeit ist durch den weltweiten Gebrauch von Englisch, Kreditkarten, E-Mail, Calvin Klein, Benneton und Toyota or Mercedes geringer.
III.
Die meisten europäischen Sprachen sind Nationalsprachen und ein instrumentelles Nebenprodukt der Nationalstaatengründungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Das heißt jedoch nicht, daß es zuvor nicht etwa auch Italienisch, Französisch, Ungarisch, Slowenisch oder Tschechisch gegeben hätte. Allerdings waren es zuvor keine Nationalsprachen und wurden teilweise, wie im Falle von Italienisch (14 % sprachen 1872 Italienisch) und im Falle Frankreichs (33 % sprachen 1789 Französisch) nicht von der Gesamtheit der Bevölkerung gesprochen und/oder nicht für alle Lebensbereiche benutzt.
Die Luthersche Bibelübersetzung hat in Deutschland nicht nur die religiöse Landschaft Europas gespalten, sondern auch die verschiedenen deutschen Länder sprachlich vereinigt und vereinheitlicht. Mittels dieser sprachlichen Einigung konnte dann auch die politische Einigung im 19. Jahrhundert zuerst antizipiert und dann realisiert werden. Nationale Kunst, nationale Literatur und nationale Geschichte wurden konstruiert und instrumentalisiert. Eine gemeinsame Sprache wurde zum wesentlichen Merkmal einer "Volksgemeinschaft" erklärt und zum politischen Mittel gemacht. Politische Gebilde mit mehreren Sprachen - das Habsburgische Österreich - hat diese Politik den Zerfall beschert. Auch in Italien verlief im 19. Jahrhundert, wie 50 Jahre eher in Frankreih, die Staatsbildng parallel zur sprachlichen Italienisierung Italiens, wurde Italienisch auf der Halbinsel ganzheitlich nur von den gebildeten Schichten gesprochen. Im 20. Jahrhundert und selbst in den letzten Minuten dieses auslaufenden Jahrhunderts/Jahrtausends war und ist dieser Prozeß der Staaten- und Nationalsprachenbildung nicht abgeschlossen: Norwegen mit Norwegisch, Israel mit Israelisch und zuletzt Slowenien mit Slowenisch, Kroatien mit Kroatisch, Serbien mit Serbisch. Baskisch oder Katalanisch wollen noch sebstständige Nationalsprachen werden, was den politischen Status Quo ändern würde, so wie auch der französische Teil Kanadas auf politische Unabhängigkeit pocht. Obwohl ich hier keine afrikanischen und asiatischen Beispiele anführe, sollen die vielen komplizierten sprachlichen Konstellationen Asiens und Afrikas nicht vergessen werden, die heute immer noch schwer am Kolonialerbe arbeiten und das meistens unter neo-kolonialen Vorzeichen.
Die Ausbildung von Nationalsprachen hat Sprachen entweder zum Verschwinden gebracht, sie in Bedeutungslosigkeit geschickt oder zu Dialekten und Soziolekten diskreditiert. Nationalsprachen haben sich vorwiegend nur in Europa ausgebildet, das als einzige Gegend der Welt - die USA ausgenommen - in dem Umfang nicht mehr als 10 Sprachen aufweist. In fast allen anderen Gegenden der Welt mit vergleichbarem Ausdehnung und vergleichbarer Population werden weit mehr als 10 Sprachen gesprochen, was die erzwungene Reduktion der Sprachvielfalt als ein Effekt von Modernisierung definieren läßt. Esperanto als eurozentrische Projektion einer einsprachigen Welt war die unrealisierte linguistische Phantasie des Modernismus. Sollte eines Tages Englisch vom Status als erste Fremdspache abrücken und sich als zweite europäische Sprache gleichwertig neben die einzelnen Nationalsprachen stellen, so müßte das auf der Fluchtlinie von Modernisierung und Aufklärung verstanden werden. Eine defacto praktizierte Zweisprachigkeit läßt sich übrigens sicherlich schon in Teilen Skandinaviens und in den Beneluxstaaten beobachten, deren Umgang den Marktanforderungen einer Sprachautonomie nicht mehr voll gerecht wird und die Kosten für Übersetzungen und Synchronisierungen nicht mehr zu tragen sind. Sprachplanung wurde und wird in Europa im großen Stil von den Regierenden betrieben, umgesetzt und auch politisch reflektiert. Was die Politik der Wahlsprachen angeht, so hat dieses Planen bis heute kein Ende und wird auch nie eines nehmen: Englisch, Japanisch, Französisch, Spanisch, Deutsch oder Chinesisch als erste oder als zweite Wahlsprache?. In den USA drehen sich die große Fragen um eine offizielle, für alle verbindlichen Nationalsprache und um die Unterrichtssprache in Schule von Minderheiten.
IV.
Es gibt kein europäisches Land, in dem es keine sprachlichen Minderheiten gibt, selbst wenn diese nicht immer anerkannt sind. Der Grad der Anerkennung von sprachlichen Minderheiten sagt alleine schon etwas über deren Status aus. Die Schweiz ist hier sicherlich ein Vorbild, obwohl es auch dort Probleme gibt. In anderen Gegenden zählen Bomben und Attentate zur Grammatik und Syntax sinnloser Konflikte, die neben ethnischen, kulturellen und religiösen Unterschieden auch sprachliche als fadenscheinige Gründe von Auseinandersetzungen auflisten. Auch Belgien, wo in Brüssel die europäische Einigung verwaltet wird, kann nur unter großen Bemühungen die skurilen sprachlichen Diskriminationen verbergen, die dem Land eine nicht immer sehr effiziente doppelte Verwaltung einbrachte. Das sind, nebenbei wieder nur europäische Beispiele, obwohl ähnliche Konflikte die Politik und die Menschen überall in der Welt mitbestimmt.
Die Gründe für das Festhalten und Verteidigen der eigenen Sprache liegen auf der Hand. Die Sprache ist Verständigungs-, Erinnerungs- und Verkehrsmedium für das Individuum als auch für die Gesellschaft, der es angehört. Sprache erlaubt und fördert kollektives und individuelles Gedächtnis und Verständnis. Einer Sprachgemeinschaft anzugehören oder von ihr ausgeschlossen zu sein, hat wesentliche Auswirkungen auf eine Person. Emmigration und Exil egal ob aus wirtschaftlichen, politischen oder anderen Gründen, freiwillig oder erzwungen, sind deshalb auch sprachliche Schicksale. Ausgrenzungen sind auch sprachlicher Natur. Gastarbeiter, also Leute, die ihr Leben lang für die wirtschaftliche Vorrangstellung eines bessergestellten Gastlandes arbeiten ohne jedoch wirkliche Gastfreundschaft zu erfahren, wissen, was sprachlichen Diskriminierung bedeutet.
In der Schweiz entstand das "schwitzerdütsch" als eine überregionale Umgangssprache, die sich aus den diversen lokalen Mundarten als Reaktion auf die aggressive Politik Deutschlands gebildet hat. Genetivbildungen und Übersetzungen in den Dialekt von sogenannten hochdeutschen Wörtern bezeugen das. Diese Art sprachliche Landesverteidigung entspricht Fichtes Konzept der "inneren Grenze", die er in einer Streitschrift während der napoleonischen Besetzung verfaßt hat und die hauptsächlich in der Sprache und Kulturzugehörigkeit eine Verteidigung sieht.
V.
Was aber geschieht, wenn der Nationalstaat nur noch eine administrative Minimalfunktion einnimmt und als politische und ideologische Einheit und Projektionsfläche sich auflöst in grössere transnationale Gebilde: Von der Europäischen Union bis zu dem, was geopolitisch hinter dem Begriff der Globalisierung steckt. Die einzelnen Nationalökonomien funktionieren nur noch im Zusammenhang miteinander. Wirtschaftkrisen sind nur schwer isolierbar. Als Staat scheint am besten zu funktionieren, was sich staatsuntypisch verhält. Die neoliberale ökonomische "neue Weltordnung" (George Bush) mit nur minimalen staatlichen Interventionen läßt sich nur unter den kommunikationstechnischen Voraussetzungen der heutigen digitalisierten und satelitenunterstützen Fiberglasnetzwerke realisieren. In diesen Netzen konkurrieren viele Sprachen, wobei Englisch als Verkehrs- und Handelssprache Vorrangstellung genießt. Im Anbetracht der Dominanz von Englisch haftet den diversen Nationalsprachen am Internet etwas "ethnisches", etwas "lokales", “begrenztes” an.
Die Fast-Monopolstellungen von Microsoft, Intel und Netscape am Computer/Softwareweltmarkt läßt sich mit der Vorherrschaft der englisch-amerikanischen Sprache im Internet und am Weltmarkt vergleichen. "Sprachscape - escape": Das Internet treibt Sprachen und vieles mehr in die Flucht. Die Perspektiven von kleineren Sprachen im Netzwerk totaler Kommunikation verlieren in Anbetracht zum defacto Imperialismus des Englischen an Profil. Das zeigt sich an der Expansion von Englisch als Fremdsprache oder Englisch als Zweitsprache. - Weltweit tendiert die Mehrzahl der Schulpolitik dazu, Englisch schon ab der ersten Schulstufe zu unterrichten. Dieser kulturelle Einsatz garantiert ein ökonomisches Investment in mehrfacher Hinsicht. Mit dieser Lingua Franca läßt sich Wirtschaft betreiben, Informationen zirkulieren und Beziehungen herstellen und festigen. Das kostspielige Verbreiten von Englisch - ein Billionen Dollar Business - ist ebenfalls eine Investition und begann in Westeuropa mit dem Ende des 2. Weltkrieges. Heute wird die Propagierung von Englisch als erste Fremdsprache und als Verkehrssprache vorallem unter großem finanziellen Aufwand in der vielsprachigen Volksrepublik China, im noch französischsprachigen Afrika und in den Ex-Sovietstaaten betrieben. Englisch wird hier nicht nur als technisches Verständigungsinstrument, sondern auch als ideologisches, Modernität und ökonomische Prosperität versprechendes Vehikel verstanden, was allerdings diese Hoffnungen nicht immer erfüllt.
Das massive Durcheinander von Sprachen unter globalistischen Prämissen ist nirgends so auffallend wie im Internet, auf internationalen Flughäfen und in Tourismusmetropolen. Internationale Verkehrssprachen werden oft nur gestottert und fehlerhaft verwendet. Die Sprachlandschaft hybridisiert sich aber auch noch dahingehend, als dominante englische Wörter und Satzwendungen aus allen Lebens-, Wissens- und Unterhaltungsbereichen sich in vielen Sprachen wiederfinden. Meine 4 Jahre alte Nichte in den österreichischen Alpen erklärt mir, daß irgendetwas cool oder heavy sei, bedankt sich mit thanks und fühlt sich sorry. Sie liebt ihr bike, das sie easy benützt, bis es sie damit auf den Boden knallt, und es shit nachhalt. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß sogenannte Lehnwörter - obwohl nichts zurückgegeben wird - nach Moden und technologischen sowie politischen Konstellationen immer adaptiert worden sind. Zeugen davon sind z. B. die französischen Lehnwörter im Deutschen oder die deutschen Lehnwörter in der russischen und japansichen Sprache.
VI.
Beim Chaten jedoch geht es noch bunter zu. Dort tummeln sich auf deutschsprachigen On line chats nicht nur Englische Sätze oder Ideome aus der mediatisierten Welt der Werbeaussagen und der audiovisuellen Konsumationssphäre, sondern auch sprachliche Gebilde, die aus dem weiten Umfeld der Dialekte und der diversen Umgangssprachen stammen. Abkürzungen, Fehler und Tippfehler steigern das sehr visualisierte Geflecht aus Standartsprache, aktuellen Jargons, Soziolekten, Haßreden (fuck off), Neologismen und stenographieähnlichen Kürzeln, die auch onomatopoetisch sich lesen oder überfliegen lassen können. Besonders animiert und theatralisiert wird dieser neue, hybride, formelartige, nervösfingrige Austausch auch durch die Softwarevorgaben, die den Lauftext administratif illustrieren: 21:50 AG18 betritt den Raum; 21:50 VIP06 verläßt den Chat, 21:54 DJAtWork wirft ck19 aus dem Chat; 21:54 sara1 kommt aus dem Raum salzburg herein; MADMAX meldet sich zurück (mom); 23:32 Berliner betritt den Raum WODKA schreit: HI DU! usw. (OE3 Chat, Oktober 1998). Diese administrativen Szenarien unterhalten den Leser/Schreiber oft weit mehr als die dazwischengeklemmten dialogischen Eingaben, die meistens kürzer ausfallen oder überhaupt entfallen.
Die sprachlichen Versatzstücke liefern eine linguistische Benutzerfläche, die sowohl dekorativ-unterhaltende als auch architektonisch-orientierende Funktionen übernehmen. Die Buchstaben der User navigieren so von selbst durch eine künstlich animierte Landschaft, die beinahe ohne aktive Population auskommt. Das reine navigieren am Bildschirm übersetzt sich in sprachliche Scheinkommunikation. Schweigen gibt es nicht. Alles wird aktiviert: Impuls schreit: WODKAAAAAAAAAAAAAAAAA FÜLLLALLE !!!!! 1 Diese sprachliche Interface-Struktur, die in gewissen Chats statitisch den Großteil von Worten produzieren, täuschen nicht nur über die oft dialogarme Interaktion hinweg, sondern verhindern sie auch durch stimmulierende Ablenkung und Zerstreung. Es ist viel los; die Textzeilen rennen; alle scheinen zu chatten, zu SCHREIEN !!!, zu flüstern, aus den diversen geschlossenen oder offenen Räumen mit exotischen oder erotischen, pretentiösen oder banalen Namen hereinzukommen oder hinauszugehen. Man vermißt viel, ist immer leicht zu spät und muß allen hiterherrennen:
23:32 LeBook kommt aus dem Raum wien herein
23:32 suchedasnettemädlvongestern geht in einen anderen Raum: wo_bist_du_??_-_du_bist_zwar_erst_7_(*ggg*)_und_ich_DENKE_NICHT_aber_ich_suche_d
> Amarettosüss reknuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuddelt WODKA!
liebesGirl schreit: VERDAMMT GIBT ES DENN KEINEN FESCHEN TYPEN AUS WIEN UNTER 30 ????
Die Jagd auf blind dates oder das Katz- und Laufspiel nach s/a/l (sex, age, location) Antworten ist recht groß. Je mehr Leute im Chat, umso schneller wird gesprochen und umso unverblümter und direkter läuft es ab: dann sind die Teilnehmber nicht guest8821 oder tragen abstrakte Spitznamen: vielmehr trifft man dann auf "K19", "liebesGirl", "gibt23" usw.: [lounge] - Impuls BadGremlin Kelben jamhot Tunfisch Gragon16 SamStealth liebesGirl LeFrench LeBook 1harald21 Amarettosüss SchneiderSepp Guga16 anja100 Rosenschlingl Micha22 Prinz Sue25 K19 MB trinidad20 DarkNight96 Bärlitz Compton DerBöseste EinNetter iceman1yo DarkNight95 peppino verysadgirl36 TiberiusJames spuki Reknuddler DcSunshine tschaebi1 Whitie20 WEBSepperl hummelchen Nightwatcher REGGAEGIRL SuperGLU DJTequila18 ulliausgraz RayGriffins Schmusekatzi floyd33 irrer pechvogel1 Silvara Discotiger catter mazov Spitz gugsl20 MedicineMan22 sissy1 -2 Diese Namen hier sind nichts- und vielsagend. Ist Mann/Frau erfolgreich, so wechseln sie die offenen Räume für die Separées. Das Spiel kann sich dann sprachlich über das Mobiltelephon oder motorisiert mit Auto fortsetzen. Das soll uns hier nicht weiter beschäftigen. Freuen wir uns über alle Bekanntschaften, die sonst nicht zustande kämen. Festhalten wollen wir nur, das das sprachliche Klonen in Netzwerken reflektiert das Begehren und Bulen mit oder ohne Bullen (Netzpolizei).
Mein Text versucht, Sprache vorwiegend nicht unter linguistischen Gesichtspunkten - Hybridisierung, Anglifizierung, Errorisierung - zu sehen, sondern in eine (sprach)politische Perspektive zu rücken. Dazu möchte ich noch abschließend auf ein paar zentrale Fragen zurückkommen, die meistens aus linguistischen Überlegungen nicht gestellt werden, jedoch auf das Grundproblem unseres "New (alten) Word Order" verweist. Wie erklärt sich, daß Englisch die Weltsprache in den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Information, Wissenschaft und Technologie ist, obwohl die englische Sprache nur von 7,6 % der Weltbevölkerung gesprochen wird, was im Vergleich mit Chinesisch (18.8 % WB, Mandarin 15. 2 % WB) weniger als Hälfte ausmacht? Wieso kommt es, daß Französisch (2.1 % WB, 9. Weltsprache) und Deutsch (2 % WB, 10. WS) in den USA, in Asien und in vielen europäischen Ländern als wichtigere Fremdsprachen eingestuft werden als Hindi (6.4 % WB, 3. WS), Bengali (3.2 % WB, 7. WS), Arabisch (3.5 % WB, 6. WS), Spanisch (6.1 % WB, 4. WS), Russisch (4.9 % BW, 5. WS) oder Portugisisch (3 % WB, 8. WS)? Unter postkolonialer Perspektive läßt sich auch fragen, wieso den europäischen Kolonialsprachen ein größerer Stellenwert eingeräumt wird als den Nicht-Kolonialsprachen, obwohl die Mehrheit der Weltbevölkerung eindeutig keine Kolonialsprachen (Englisch, Spanisch, Französisch, Portugisisch usw. ) spricht? Die Antwort ist offensichtlich und liegt in der wirtschaftlichen, technologischen, informations- und verkehrstechnischen Vorherrschaftsstellung des sogenannten Westens, die sich gerade auch dadurch unter neokolonialistischen, neoliberalen und transkapitalistischen Vorzeichen perpetuiert. Globalismus ist deshalb in vieler Hinsicht ein verkappter Eurozentrismus unter nordamerikaischer Flagge, ohne damit auf die japanische Rolle neben den asiatischen und südamerikanischen Mitspielern zu vergessen.
Wichtig jedoch unter repräsentationspolitischer Perspektive ist, daß die Europäer, allen voran die Deutschsprachigen, Franzosen und Engländer, in ihren Nationalsprachen eine nicht zu übertreffende Masse von soziologischen, anthropologischen, geographischen, sprachlichen und vorallem historischen und philosophischen Studien betrieben haben, die heute den begrifflichen Reflexionsrahmen des Weltverständnisses wesentlich noch bestimmen. Diese Kultur des Studierens, des Definierens und begrifflichen Begreifens und Zugreifens hat wesentlich dazu beigetragen, nicht nur menschliche, materielle und kulturelle Ausbeutung und schlichtweg auch Raub und Mord durchzuführen, zu optimieren und zu legitimieren, sondern hat auch diesen europäischen Sprachen als Universitätssprachen als Sprachen des Wissens und der Authorität Universalität verliehen. Seit dem 2. Weltkrieg verschob sich das Zentrum der Studierens und kulturkritischen Reflektierens überwiegend in die USA und setzt die eurozentristische Tradition fort, die nur sehr schwer von subalternen Theoretikern aus der Pheripherie und aus anderen Sprachen penetriert werden können. Damit perpetuieren sich auch weiterhin die hegemonische Stellung der wenigen europäischen Sprachen als Wissenschafts- , Technologie- und Informationssprachen als auch deren Interessen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Rainer Ganahl, 1998PS:
Das schwarze Gold ist nicht das arabische oder norwegische Erdöl, sondern die Englische Sprache. Die europäischen wie die nicht-europäischen Sprachplaner tun gut daran, ihre teuren Universitäten und ihre Verlagspolitik weiterhin staatlich zu fördern, wenn sie nicht nur ihre nationalen Telekommunikationsinfrastrukturen interantionalen Zusammenschlüssen überlassen wollen. Das Aufgeben von Wissenschafts- und Reflexionssprachen zugunsten von Englisch würde auf die Kultur-, Gesellschafts- und Repräsentationspolitik eines Landes von einschneidender Bedeutung sein. Die Konsequenzen daraus wären nicht nur im gebrochenen Selbstverständnis der Leute ablesbar, sondern auch ökonomisch spürbar. Mehrsprachigkeit ja, Monolinguismus nein.
1 diese Beispiele entstammen dem österreichischen OE3.AT Chat.
2aus OE3.AT