rainer ganahl 1998
"Once we used to send gunboats and
diplomats abroad; now we are sending
English teachers (International house brochure, 1979, zitiert aus"Linguistic
Imperialism"
Sprache im Zeitalter globaler Vernetzung
I.
Ich interessiere mich für Sprachen im Zeitalter von Globalismus und
Netscape. Der Untertitel lautet deshalb leicht alliterarisch >>sprachscape
- escape<<.
Nun, obwohl das Wort Globalismus mittlerweile von allen und jedem akzeptiert
scheint und es - anders als das Wort Postmodernismus - keiner akademischen
Disziplin zugeordnet werden muß, bedarf es gerade wegen seiner anscheinenden
Neutralität und Unscheinbarkeit einer kurzen Erläuterung. Globalismus
ist eine Ideologie, die Ideologie selbst zu neutralisieren und zu widersprechen
scheint, weil sie zuerst davon ausgeht, nur einen Sachverhalt im Anschluß
an den Kalten Krieg zu beschreiben: das scheinbar freie, internationale
Zirkulieren von Waren, Informationen, Finanzen, Menschen und Arbeit dank
einer technologisch total erschlossenen, zum Dorf geschrumpften Welt.
Etwas ideologischer erscheint das Phänomen, wenn man Globalismus
nicht fälschlicherweise, mit dem Internationalismus der Linken assoziert,
sondern wenn man an Neoliberalismus denkt und weiß, daß der
"freie Markt" eine Instrument transnationaler Kartelle und Korporationen
ist, die nur ihren unmittelbaren Gewinninteressen nachkommen, ohne auch
nur nationale Interessen zu berücksichtigen.
Ohne jetzt auf die Probleme dieses transnationalen Kapitalismus einzugehen,
der auch Arbeitslosigkeit, Finanzkrisen, Schulden, Armut, Krankheiten
(Aids z. B.), Prostitution, Götter, Kriege, Flüchtlinge, Menschenschicksale
und Neokolonialismus in der Welt neu verteilt, möchte ich hier kurz
auf die Vorgeschichte dessen eingehen, was diffus Globalismus genannt
wird und uns auch dem Problem Sprache näher bringt. Um 1500 begann
die erste Phase europäischer Expansion, die merkantile Ausbeutung
im Verein mit der blutigen Mission der Christianisierung charakterisierte
und Spanisch und Portugisisch in die Neue Welt brachte. Die
darauffolgende Epoche des kolonialen Imperialismus unter englischer, holländischer
und französischer Flagge entwickelte sich zum industriellen Kolonialismus,
den u. a. auch eine zivilisatorische Mission rechtfertigen sollte. Neben
etwas Holländisch exportierte er vorwiegend Englisch und Französisch.
Die dritte Vorstufe des Globalismus kennzeichnet den hochindustriellen
U.S. Imperialismus mit europäischer Beteiligung, das sich mit dem
Credo von Modernisierung und Entwicklungshilfe zu legitimieren versucht,
das auch von Japan mitfinanziert wird. Dabei konsolidierte sich vorallem
Englisch als dominante postkoloniale Weltsprache. Nur wenn diese koloniale
Vorgeschichte berücksichtigt wird - und wie könnte man sie in
Anbetracht der Verbreitung der kolonialen Sprachen über die gesamte
Welt übersehen -, läßt sich das heutige Stadium "freier"
Marktwirtschaft, IMF und World Bank unter post-kolonialen Vorzeichen verstehen.
II.
Kolonialgeschichte ist auch Sprachgeschichte. Um ein Land effizient regieren
zu können, bedarf es der Verbreitung der Sprache der Herrschenden,
der Kolonialherren, die sehr bald für eine kollaborierende Minderheit
mit Vorteilen verbunden ist. Nicht nur wurden ganze Kontinente und Länder
am Reißbrett politisch aufgeteilt und deren Schicksal über
jede bestehende Logik hinweg bestimmt, sondern auch über deren Sprachen
wurde entschieden. Spanisch und Portugiesisch werden in Südamerika
gesprochen; Englisch in Indien, Pakistan, Südostasien, Afrika, Nordamerika,
und Neuseeland; Französisch in Afrika, Nordamerika, und etlichen
Karibischen Inseln, um hier nur mit dem Daumen sehr ungenau auf einige
dominante europäische Kolonisationsspuren zu verweisen. Vergessen
sollte man auch nicht die Russifizierung eines großen Teils der
Welt unter ex-sowjetischem Einfluß, wo heute zum Teil erst mit Mühe
lokale Sprachen wiedererlernt werden müssen. Die Russifizierung stoppte
nicht einmal vor Familien- und Eigennamen, die zwangsweise geändert
werden mußten. Bis heute geht der Kampf um Sprachen weiter und setzt
sich selbstverständlich auch in der Wahl um die gewählte Fremdsprache
weiter fort. Jemand aus Latvien mit Russisch anzusprechen kommt einer
Beleidigung nahe, obwohl Latvier Russisch mitunter besser beherrschen
als Englisch, das jedoch Westernisierung, Modernisierung, politische Unabhängigkeit
und ideologische Neutralität konnotiert. Die Verneinung von Gleichzeitigkeit
ist durch den weltweiten Gebrauch von Englisch, Kreditkarten, E-Mail,
Calvin Klein, Benneton und Toyota or Mercedes geringer.
III.
Die meisten europäischen Sprachen sind Nationalsprachen und ein instrumentelles
Nebenprodukt der Nationalstaatengründungen des 18. und 19. Jahrhunderts.
Das heißt jedoch nicht, daß es zuvor nicht etwa auch Italienisch,
Französisch, Ungarisch, Slowenisch oder Tschechisch gegeben hätte.
Allerdings waren es zuvor keine Nationalsprachen und wurden teilweise,
wie im Falle von Italienisch (14 % sprachen 1872 Italienisch) und im Falle
Frankreichs (33 % sprachen 1789 Französisch) nicht von der Gesamtheit
der Bevölkerung gesprochen und/oder nicht für alle Lebensbereiche
benutzt.
Die Luthersche Bibelübersetzung hat in Deutschland nicht nur die
religiöse Landschaft Europas gespalten, sondern auch die verschiedenen
deutschen Länder sprachlich vereinigt und vereinheitlicht. Mittels
dieser sprachlichen Einigung konnte dann auch die politische Einigung
im 19. Jahrhundert zuerst antizipiert und dann realisiert werden. Nationale
Kunst, nationale Literatur und nationale Geschichte wurden konstruiert
und instrumentalisiert. Eine gemeinsame Sprache wurde zum wesentlichen
Merkmal einer "Volksgemeinschaft" erklärt und zum politischen
Mittel gemacht. Politische Gebilde mit mehreren Sprachen - das Habsburgische
Österreich - hat diese Politik den Zerfall beschert. Auch in Italien
verlief im 19. Jahrhundert, wie 50 Jahre eher in Frankreih, die Staatsbildng
parallel zur sprachlichen Italienisierung Italiens, wurde Italienisch
auf der Halbinsel ganzheitlich nur von den gebildeten Schichten gesprochen.
Im 20. Jahrhundert und selbst in den letzten Minuten dieses auslaufenden
Jahrhunderts/Jahrtausends war und ist dieser Prozeß der Staaten-
und Nationalsprachenbildung nicht abgeschlossen: Norwegen mit Norwegisch,
Israel mit Israelisch und zuletzt Slowenien mit Slowenisch, Kroatien mit
Kroatisch, Serbien mit Serbisch. Baskisch oder Katalanisch wollen noch
sebstständige Nationalsprachen werden, was den politischen Status
Quo ändern würde, so wie auch der französische Teil Kanadas
auf politische Unabhängigkeit pocht. Obwohl ich hier keine afrikanischen
und asiatischen Beispiele anführe, sollen die vielen komplizierten
sprachlichen Konstellationen Asiens und Afrikas nicht vergessen werden,
die heute immer noch schwer am Kolonialerbe arbeiten und das meistens
unter neo-kolonialen Vorzeichen.
Die Ausbildung von Nationalsprachen hat Sprachen entweder zum Verschwinden
gebracht, sie in Bedeutungslosigkeit geschickt oder zu Dialekten und Soziolekten
diskreditiert. Nationalsprachen haben sich vorwiegend nur in Europa ausgebildet,
das als einzige Gegend der Welt - die USA ausgenommen - in dem Umfang
nicht mehr als 10 Sprachen aufweist. In fast allen anderen Gegenden der
Welt mit vergleichbarem Ausdehnung und vergleichbarer Population werden
weit mehr als 10 Sprachen gesprochen, was die erzwungene Reduktion der
Sprachvielfalt als ein Effekt von Modernisierung definieren läßt.
Esperanto als eurozentrische Projektion einer einsprachigen Welt war die
unrealisierte linguistische Phantasie des Modernismus. Sollte eines Tages
Englisch vom Status als erste Fremdspache abrücken und sich als zweite
europäische Sprache gleichwertig neben die einzelnen Nationalsprachen
stellen, so müßte das auf der Fluchtlinie von Modernisierung
und Aufklärung verstanden werden. Eine defacto praktizierte Zweisprachigkeit
läßt sich übrigens sicherlich schon in Teilen Skandinaviens
und in den Beneluxstaaten beobachten, deren Umgang den Marktanforderungen
einer Sprachautonomie nicht mehr voll gerecht wird und die Kosten für
Übersetzungen und Synchronisierungen nicht mehr zu tragen sind. Sprachplanung
wurde und wird in Europa im großen Stil von den Regierenden betrieben,
umgesetzt und auch politisch reflektiert. Was die Politik der Wahlsprachen
angeht, so hat dieses Planen bis heute kein Ende und wird auch nie eines
nehmen: Englisch, Japanisch, Französisch, Spanisch, Deutsch oder
Chinesisch als erste oder als zweite Wahlsprache?. In den USA drehen sich
die große Fragen um eine offizielle, für alle verbindlichen
Nationalsprache und um die Unterrichtssprache in Schule von Minderheiten.
IV.
Es gibt kein europäisches Land, in dem es keine sprachlichen Minderheiten
gibt, selbst wenn diese nicht immer anerkannt sind. Der Grad der Anerkennung
von sprachlichen Minderheiten sagt alleine schon etwas über deren
Status aus. Die Schweiz ist hier sicherlich ein Vorbild, obwohl es auch
dort Probleme gibt. In anderen Gegenden zählen Bomben und Attentate
zur Grammatik und Syntax sinnloser Konflikte, die neben ethnischen, kulturellen
und religiösen Unterschieden auch sprachliche als fadenscheinige
Gründe von Auseinandersetzungen auflisten. Auch Belgien, wo in Brüssel
die europäische Einigung verwaltet wird, kann nur unter großen
Bemühungen die skurilen sprachlichen Diskriminationen verbergen,
die dem Land eine nicht immer sehr effiziente doppelte Verwaltung einbrachte.
Das sind, nebenbei wieder nur europäische Beispiele, obwohl ähnliche
Konflikte die Politik und die Menschen überall in der Welt mitbestimmt.
Die Gründe für das Festhalten und Verteidigen der eigenen Sprache
liegen auf der Hand. Die Sprache ist Verständigungs-, Erinnerungs-
und Verkehrsmedium für das Individuum als auch für die Gesellschaft,
der es angehört. Sprache erlaubt und fördert kollektives und
individuelles Gedächtnis und Verständnis. Einer Sprachgemeinschaft
anzugehören oder von ihr ausgeschlossen zu sein, hat wesentliche
Auswirkungen auf eine Person. Emmigration und Exil egal ob aus wirtschaftlichen,
politischen oder anderen Gründen, freiwillig oder erzwungen, sind
deshalb auch sprachliche Schicksale. Ausgrenzungen sind auch sprachlicher
Natur. Gastarbeiter, also Leute, die ihr Leben lang für die wirtschaftliche
Vorrangstellung eines bessergestellten Gastlandes arbeiten ohne jedoch
wirkliche Gastfreundschaft zu erfahren, wissen, was sprachlichen Diskriminierung
bedeutet.
In der Schweiz entstand das "schwitzerdütsch" als eine
überregionale Umgangssprache, die sich aus den diversen lokalen Mundarten
als Reaktion auf die aggressive Politik Deutschlands gebildet hat. Genetivbildungen
und Übersetzungen in den Dialekt von sogenannten hochdeutschen Wörtern
bezeugen das. Diese Art sprachliche Landesverteidigung entspricht Fichtes
Konzept der "inneren Grenze", die er in einer Streitschrift
während der napoleonischen Besetzung verfaßt hat und die hauptsächlich
in der Sprache und Kulturzugehörigkeit eine Verteidigung sieht.
V.
Was aber geschieht, wenn der Nationalstaat nur noch eine administrative
Minimalfunktion einnimmt und als politische und ideologische Einheit und
Projektionsfläche sich auflöst in grössere transnationale
Gebilde: Von der Europäischen Union bis zu dem, was geopolitisch
hinter dem Begriff der Globalisierung steckt. Die einzelnen Nationalökonomien
funktionieren nur noch im Zusammenhang miteinander. Wirtschaftkrisen sind
nur schwer isolierbar. Als Staat scheint am besten zu funktionieren, was
sich staatsuntypisch verhält. Die neoliberale ökonomische "neue
Weltordnung" (George Bush) mit nur minimalen staatlichen Interventionen
läßt sich nur unter den kommunikationstechnischen Voraussetzungen
der heutigen digitalisierten und satelitenunterstützen Fiberglasnetzwerke
realisieren. In diesen Netzen konkurrieren viele Sprachen, wobei Englisch
als Verkehrs- und Handelssprache Vorrangstellung genießt. Im Anbetracht
der Dominanz von Englisch haftet den diversen Nationalsprachen am Internet
etwas "ethnisches", etwas "lokales", begrenztes
an.
Die Fast-Monopolstellungen von Microsoft, Intel und Netscape am Computer/Softwareweltmarkt
läßt sich mit der Vorherrschaft der englisch-amerikanischen
Sprache im Internet und am Weltmarkt vergleichen. "Sprachscape -
escape": Das Internet treibt Sprachen und vieles mehr in die Flucht.
Die Perspektiven von kleineren Sprachen im Netzwerk totaler Kommunikation
verlieren in Anbetracht zum defacto Imperialismus des Englischen an Profil.
Das zeigt sich an der Expansion von Englisch als Fremdsprache oder Englisch
als Zweitsprache. - Weltweit tendiert die Mehrzahl der Schulpolitik dazu,
Englisch schon ab der ersten Schulstufe zu unterrichten. Dieser kulturelle
Einsatz garantiert ein ökonomisches Investment in mehrfacher Hinsicht.
Mit dieser Lingua Franca läßt sich Wirtschaft betreiben, Informationen
zirkulieren und Beziehungen herstellen und festigen. Das kostspielige
Verbreiten von Englisch - ein Billionen Dollar Business - ist ebenfalls
eine Investition und begann in Westeuropa mit dem Ende des 2. Weltkrieges.
Heute wird die Propagierung von Englisch als erste Fremdsprache und als
Verkehrssprache vorallem unter großem finanziellen Aufwand in der
vielsprachigen Volksrepublik China, im noch französischsprachigen
Afrika und in den Ex-Sovietstaaten betrieben. Englisch wird hier nicht
nur als technisches Verständigungsinstrument, sondern auch als ideologisches,
Modernität und ökonomische Prosperität versprechendes Vehikel
verstanden, was allerdings diese Hoffnungen nicht immer erfüllt.
Das massive Durcheinander von Sprachen unter globalistischen Prämissen
ist nirgends so auffallend wie im Internet, auf internationalen Flughäfen
und in Tourismusmetropolen. Internationale Verkehrssprachen werden oft
nur gestottert und fehlerhaft verwendet. Die Sprachlandschaft hybridisiert
sich aber auch noch dahingehend, als dominante englische Wörter und
Satzwendungen aus allen Lebens-, Wissens- und Unterhaltungsbereichen sich
in vielen Sprachen wiederfinden. Meine 4 Jahre alte Nichte in den österreichischen
Alpen erklärt mir, daß irgendetwas cool oder heavy sei, bedankt
sich mit thanks und fühlt sich sorry. Sie liebt ihr bike, das sie
easy benützt, bis es sie damit auf den Boden knallt, und es shit
nachhalt. Allerdings darf nicht vergessen werden, daß sogenannte
Lehnwörter - obwohl nichts zurückgegeben wird - nach Moden und
technologischen sowie politischen Konstellationen immer adaptiert worden
sind. Zeugen davon sind z. B. die französischen Lehnwörter im
Deutschen oder die deutschen Lehnwörter in der russischen und japansichen
Sprache.
VI.
Beim Chaten jedoch geht es noch bunter zu. Dort tummeln sich auf deutschsprachigen
On line chats nicht nur Englische Sätze oder Ideome aus der mediatisierten
Welt der Werbeaussagen und der audiovisuellen Konsumationssphäre,
sondern auch sprachliche Gebilde, die aus dem weiten Umfeld der Dialekte
und der diversen Umgangssprachen stammen. Abkürzungen, Fehler und
Tippfehler steigern das sehr visualisierte Geflecht aus Standartsprache,
aktuellen Jargons, Soziolekten, Haßreden (fuck off), Neologismen
und stenographieähnlichen Kürzeln, die auch onomatopoetisch
sich lesen oder überfliegen lassen können. Besonders animiert
und theatralisiert wird dieser neue, hybride, formelartige, nervösfingrige
Austausch auch durch die Softwarevorgaben, die den Lauftext administratif
illustrieren: 21:50 AG18 betritt den Raum; 21:50 VIP06 verläßt
den Chat, 21:54 DJAtWork wirft ck19 aus dem Chat; 21:54 sara1 kommt aus
dem Raum salzburg herein; MADMAX meldet sich zurück (mom); 23:32
Berliner betritt den Raum WODKA schreit: HI DU! usw. (OE3 Chat, Oktober
1998). Diese administrativen Szenarien unterhalten den Leser/Schreiber
oft weit mehr als die dazwischengeklemmten dialogischen Eingaben, die
meistens kürzer ausfallen oder überhaupt entfallen.
Die sprachlichen Versatzstücke liefern eine linguistische Benutzerfläche,
die sowohl dekorativ-unterhaltende als auch architektonisch-orientierende
Funktionen übernehmen. Die Buchstaben der User navigieren so von
selbst durch eine künstlich animierte Landschaft, die beinahe ohne
aktive Population auskommt. Das reine navigieren am Bildschirm übersetzt
sich in sprachliche Scheinkommunikation. Schweigen gibt es nicht. Alles
wird aktiviert: Impuls schreit: WODKAAAAAAAAAAAAAAAAA FÜLLLALLE !!!!!
1 Diese sprachliche Interface-Struktur, die in gewissen Chats statitisch
den Großteil von Worten produzieren, täuschen nicht nur über
die oft dialogarme Interaktion hinweg, sondern verhindern sie auch durch
stimmulierende Ablenkung und Zerstreung. Es ist viel los; die Textzeilen
rennen; alle scheinen zu chatten, zu SCHREIEN !!!, zu flüstern, aus
den diversen geschlossenen oder offenen Räumen mit exotischen oder
erotischen, pretentiösen oder banalen Namen hereinzukommen oder hinauszugehen.
Man vermißt viel, ist immer leicht zu spät und muß allen
hiterherrennen:
23:32 LeBook kommt aus dem Raum wien herein
23:32 suchedasnettemädlvongestern geht in einen anderen Raum: wo_bist_du_??_-_du_bist_zwar_erst_7_(*ggg*)_und_ich_DENKE_NICHT_aber_ich_suche_d
> Amarettosüss reknuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuddelt
WODKA!
liebesGirl schreit: VERDAMMT GIBT ES DENN KEINEN FESCHEN TYPEN AUS WIEN
UNTER 30 ????
Die Jagd auf blind dates oder das Katz- und Laufspiel nach s/a/l (sex,
age, location) Antworten ist recht groß. Je mehr Leute im Chat,
umso schneller wird gesprochen und umso unverblümter und direkter
läuft es ab: dann sind die Teilnehmber nicht guest8821 oder tragen
abstrakte Spitznamen: vielmehr trifft man dann auf "K19", "liebesGirl",
"gibt23" usw.: [lounge] - Impuls BadGremlin Kelben jamhot Tunfisch
Gragon16 SamStealth liebesGirl LeFrench LeBook 1harald21 Amarettosüss
SchneiderSepp Guga16 anja100 Rosenschlingl Micha22 Prinz Sue25 K19 MB
trinidad20 DarkNight96 Bärlitz Compton DerBöseste EinNetter
iceman1yo DarkNight95 peppino verysadgirl36 TiberiusJames spuki Reknuddler
DcSunshine tschaebi1 Whitie20 WEBSepperl hummelchen Nightwatcher REGGAEGIRL
SuperGLU DJTequila18 ulliausgraz RayGriffins Schmusekatzi floyd33 irrer
pechvogel1 Silvara Discotiger catter mazov Spitz gugsl20 MedicineMan22
sissy1 -2 Diese Namen hier sind nichts- und vielsagend. Ist Mann/Frau
erfolgreich, so wechseln sie die offenen Räume für die Separées.
Das Spiel kann sich dann sprachlich über das Mobiltelephon oder motorisiert
mit Auto fortsetzen. Das soll uns hier nicht weiter beschäftigen.
Freuen wir uns über alle Bekanntschaften, die sonst nicht zustande
kämen. Festhalten wollen wir nur, das das sprachliche Klonen in Netzwerken
reflektiert das Begehren und Bulen mit oder ohne Bullen (Netzpolizei).
Mein Text versucht, Sprache vorwiegend nicht unter linguistischen Gesichtspunkten
- Hybridisierung, Anglifizierung, Errorisierung - zu sehen, sondern in
eine (sprach)politische Perspektive zu rücken. Dazu möchte ich
noch abschließend auf ein paar zentrale Fragen zurückkommen,
die meistens aus linguistischen Überlegungen nicht gestellt werden,
jedoch auf das Grundproblem unseres "New (alten) Word Order"
verweist. Wie erklärt sich, daß Englisch die Weltsprache in
den Bereichen Wirtschaft, Verkehr, Information, Wissenschaft und Technologie
ist, obwohl die englische Sprache nur von 7,6 % der Weltbevölkerung
gesprochen wird, was im Vergleich mit Chinesisch (18.8 % WB, Mandarin
15. 2 % WB) weniger als Hälfte ausmacht? Wieso kommt es, daß
Französisch (2.1 % WB, 9. Weltsprache) und Deutsch (2 % WB, 10. WS)
in den USA, in Asien und in vielen europäischen Ländern als
wichtigere Fremdsprachen eingestuft werden als Hindi (6.4 % WB, 3. WS),
Bengali (3.2 % WB, 7. WS), Arabisch (3.5 % WB, 6. WS), Spanisch (6.1 %
WB, 4. WS), Russisch (4.9 % BW, 5. WS) oder Portugisisch (3 % WB, 8. WS)?
Unter postkolonialer Perspektive läßt sich auch fragen, wieso
den europäischen Kolonialsprachen ein größerer Stellenwert
eingeräumt wird als den Nicht-Kolonialsprachen, obwohl die Mehrheit
der Weltbevölkerung eindeutig keine Kolonialsprachen (Englisch, Spanisch,
Französisch, Portugisisch usw. ) spricht? Die Antwort ist offensichtlich
und liegt in der wirtschaftlichen, technologischen, informations- und
verkehrstechnischen Vorherrschaftsstellung des sogenannten Westens, die
sich gerade auch dadurch unter neokolonialistischen, neoliberalen und
transkapitalistischen Vorzeichen perpetuiert. Globalismus ist deshalb
in vieler Hinsicht ein verkappter Eurozentrismus unter nordamerikaischer
Flagge, ohne damit auf die japanische Rolle neben den asiatischen und
südamerikanischen Mitspielern zu vergessen.
Wichtig jedoch unter repräsentationspolitischer Perspektive ist,
daß die Europäer, allen voran die Deutschsprachigen, Franzosen
und Engländer, in ihren Nationalsprachen eine nicht zu übertreffende
Masse von soziologischen, anthropologischen, geographischen, sprachlichen
und vorallem historischen und philosophischen Studien betrieben haben,
die heute den begrifflichen Reflexionsrahmen des Weltverständnisses
wesentlich noch bestimmen. Diese Kultur des Studierens, des Definierens
und begrifflichen Begreifens und Zugreifens hat wesentlich dazu beigetragen,
nicht nur menschliche, materielle und kulturelle Ausbeutung und schlichtweg
auch Raub und Mord durchzuführen, zu optimieren und zu legitimieren,
sondern hat auch diesen europäischen Sprachen als Universitätssprachen
als Sprachen des Wissens und der Authorität Universalität verliehen.
Seit dem 2. Weltkrieg verschob sich das Zentrum der Studierens und kulturkritischen
Reflektierens überwiegend in die USA und setzt die eurozentristische
Tradition fort, die nur sehr schwer von subalternen Theoretikern aus der
Pheripherie und aus anderen Sprachen penetriert werden können. Damit
perpetuieren sich auch weiterhin die hegemonische Stellung der wenigen
europäischen Sprachen als Wissenschafts- , Technologie- und Informationssprachen
als auch deren Interessen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.
Rainer Ganahl, 1998PS:
Das schwarze Gold ist nicht das arabische oder norwegische Erdöl,
sondern die Englische Sprache. Die europäischen wie die nicht-europäischen
Sprachplaner tun gut daran, ihre teuren Universitäten und ihre Verlagspolitik
weiterhin staatlich zu fördern, wenn sie nicht nur ihre nationalen
Telekommunikationsinfrastrukturen interantionalen Zusammenschlüssen
überlassen wollen. Das Aufgeben von Wissenschafts- und Reflexionssprachen
zugunsten von Englisch würde auf die Kultur-, Gesellschafts- und
Repräsentationspolitik eines Landes von einschneidender Bedeutung
sein. Die Konsequenzen daraus wären nicht nur im gebrochenen Selbstverständnis
der Leute ablesbar, sondern auch ökonomisch spürbar. Mehrsprachigkeit
ja, Monolinguismus nein.
1 diese Beispiele entstammen dem österreichischen OE3.AT Chat.
2aus OE3.AT
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