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I. Arbeit, Unterhaltung, Ware, Wissen, Kritik und

II.Kunst und

III.Museen und öffentlicher/gegenöffentlicher Raum imglobal-kapitalistischen Zeitalter der digitalen Konvertierbarkeit

 

1997

Teil I

 

Ob man eswill oder nicht, Museen werden mehr und mehr zu Dienstleistungsinstitutionen, die mitVorträgen, Filmvorführungen, Erziehungs- und Familienprogrammen,Reisen, Shopping, Abendessen und “Art Safaris”[1]um ihr Publikum und ihre Legitimität werben müssen. Ein Blick in eineMitgliederbroschüre des MOMAs läßt keine Zweifel, wie Kunst alsUnterhaltungder feinen und exklusiven Art präsentiert wird. “Sexuality inSchiele’s Work, code 236. Sunday, November 2, 9:30 a.m. to noon. Fee(includes brunch): members $50, guests $65. Photography Until Now. code 239.Thursday, November 13, 6:30 to 8:30 p.m. Fee (includes cocktails): members $35,guests $45.” (ebenda).

 

Dergesellschaftlichen Logik des transnationalen Kapitalismus entsprechend werdenKapital-, Waren-, Arbeits- und Informationsmärkte liberalisiert,entlokalisiert, aufgesplittert und frei austauschbar gemacht. Die damitzusammenhängenden Konsequenzen für den Arbeitsmarkt in Westeuropasind bekannt. Arbeitslosigkeit in den traditionellen Branchen, Atomisierung undEntsicherung der verbliebenen Arbeit und neuentwickelte, hyperflexible, mobileArbeitsformen verlangen, den Begriff Arbeit selbst neu zu definieren. Mit Hegelund Marx ist Arbeit zu sehen als “Selbsterzeugungsakt des Menschen, das Verhaltenzu sich als fremdem Wesen”[2].Dieser Selbsterzeugungsakt der sich selbst entfremdeten Wesen wird immerweniger ein materialistisch-ökonomischer, sondern ein informations- undkonsumptionsabhängiger. Den explodierten, an Marktanteilen allesübertreffenden Informations- und Unterhaltungsindustrien können nunjene Qualitäten zugesprochen werden, die die deutsche Philosophie demBegriff Arbeit vorenthalten hat: der Selbsterzeugungsakt des Menschen alsentfremdetes Wesen.

 

Zahlungenfür die Deckung der unmittelbaren Lebenskosten werden vom traditionellenBegriff Arbeit immer unabhängiger: Arbeitslosengeld, Pensionsauszahlungenund nicht zuletzt eine vollautomatisierte Industrie, die ihren Reichtum wenigerder relativ geringen Zahl ihrer Arbeiter und Arbeiterinnen, sondern mehr derMasse der Konsumenten verdankt, schwächen die Wichtigkeit der Lohnarbeit. Erst seit Adam Smith weißdie Nationalökonomie um den Wert des Arbeitslohns als“Öl” für den Kapitalismus bescheid, in dem Marx die“Konsumtion des Kapitals überhaupt”[3]sehen konnte. 150 Jahre später jedoch verliert sie ihre Wichtigkeit injenem Tempo, in dem geld- und papierlose Zahlungsinstrumente an Gebrauchzunehmen, ohne daß darin ein kausaler Zusammenhang bestehen muß.Selbst dort, wo Arbeit traditionell geblieben ist, definieren sich Menschennicht mehr vorwiegend via ihrer Arbeitstätigkeit, sondern via ihrerKonsumptions- und Informationsverhältnisse. Das heißt jedoch nicht,daß alle Menschen von der Lohnarbeit befreit oder unabhängig seinwerden. Auch nicht zu vergessen sind jene Menschen, die ohne Arbeit und ohnesozialen Schutz von der Gesellschaft ausgestoßenen werden undunterhaltungs- und konsumptionsohnmächtig vom Elend konsumiert werden.

 

Information,Unterhaltung und Konsumption müssen auf der Konsumentenseite als Arbeitbegriffen werden. Konsumieren ist Arbeiten, Konsumption und Unterhaltung ist Sein, istbewußtseinskonstituierend. In Analogie zu Marx’ “Der Arbeiterproduziert das Kaptial, das Kapital produziert ihn”[4]kann nun gesagt werden: der Konsument produziert die Information/Unterhaltung,die Information/Unterhaltung produziert den Konsumenten. Das Recht aufArbeit vertauschtsich mit dem (Un)rechthaben der (Fehl)information. Arbeitsverhältnisselösen sich in Konsumptions-/Informations-/Unterhaltungsverhältnisseauf. Information, Wissen und Kommunikation garantieren Macht. So geht auch dasKapital immer mehr im konsumierbaren Informations-und Unterhaltungskomplex auf.Software-, Medien- , Entertainment- und Kommunikationsindustrien mit ihrem Hangzur Monopolbildung sind zu den Schlüsselindustrien der avanciertestenLänder geworden.

 

In der Wissenschaft und derenRepräsentationssystemen ist nicht mehr der Begriff Materie zentral,sondern der der Information und ihrer Recheneinheiten, in die Materie selbstübersetzbar gemacht wird. Konsumption von Information und Unterhaltungavancieren zu den Hauptarbeits- und Wissensquellen der Menschen intransnationalen Ökonomien, wenn mit Arbeit Weltaneignung gemeint ist. Manist, was man weiß, was man fernsieht, was man konsumiert.Universitäre Ausbildungen können astronomische Preisschilder haben,für die wie jede andere Ware geworben werden muß. Bildung amBildschirm mit elektronischen Lehrern und Informanten ist so real, wie dasUmschalten auf andere Sender und in andere Welten einfach ist. Fernbildung undHeimarbeit, Teleshopping und Telephonsex ergänzen und verrechnen sichgleichzeitig dank einer der monopolartigen Kreditkartenfirmen.

 

DasVerhältnis von Ware, Information, Kommunikation, Unterhaltung und Arbeitwird immer komplizierter und verstrickter. Bald wird mehr Geld fürSoftware und Serviceleistungen ausgegeben als für industriell gefertigteWaren. Der Prozeß der Überlagerung wird alleine schon an denheutigen Informations-, Unterhaltungs-, Kommunikations- undArbeitsapparaturenoffensichtlich. Am Computerterminal arbeitet, studiert, kommuniziert,informiert und unterhält sich ein immer größer werdender Anteilder vernetzten Bevölkerung. TV, Unterhaltungs- und Fortbildungsprogrammesind via Informationsautobahnen mit der Schnittstelle Computer ansteuerbar. Drei- undvierjährige Kinder sitzen wie ihre Eltern vor demselben Gerät, dasimmer mehr Lebenswelten in sich aufzusaugen vermag. Subjektiver, intimer,konfessioneller, therapeutischer, informeller, kurz privater Raum pulsiert mit derselbenÜbertragungsgeschwindigkeit wie alles, was sich unter öffentlichemRaum subsummieren läßt. Auch von daher sind Kritik, Kunst und anderesich versperrende, wirklichkeitsproduzierende Praktiken und Objekte keinewesentlich anders abgesicherteren Dokumente als Waren, Informationen,Unterhaltung und Arbeit im strengen Sinn des Wortes.

 

Parallelzur marx’schen/lukacs’schen Vergegenständlichung, Reifizierung, Verwandlung vonallem und jedem in eine Ware, tendieren die Dinge in Begleitmusik oder Musakaufzugehen. Arbeitsteilung kann verglichen werden mit Kanal/Internetsurfen und dem Hantieren anFernsteuerungen in der Hand des Konsumenten, der Konsumentin. OhneTotalisierung und Verallgemeinerungen bis ins Absurd-Tragisch-Zynische treibenzu wollen, muß doch zur Kenntnis genommen werden, daß die durch diefortgeschrittene internationale Arbeitsteilung freigesetzten Arbeiter undArbeiterinnen großteils auf die Konsumation von TV-Produktionen reduziertwerden. In diesem Transnationalisierungsprozeß wirkt Fremdkapitalmehrfach auf den Arbeiter/Konsumenten und sein Bewußtsein ein: alsfreigesetzter Arbeiter und als freier Medien/Warenkonsument.

 

Zur“verkehrenden Macht”[5]des Geldes gesellt sich die verkehrende Macht der Information- undUnterhaltungsimperien, insofern sie die Aktivitäten ihrer Konsumenten inArbeit als subjekt- und weltschaffendes Instrument des entfremdeten Menschenverwandeln. Nach unendlichen Arbeitsteilungen werden auch kritische Diskurse und Objekte weniger auf ihrenRealitätsbezug, sondern mehr auf ihre Faszination und Attraktion hinbewertet. Da kulturelle Produkte ihren Wahrheitswert immer weniger aus derAuseinandersetzung mit der unmittelbaren Umwelt beziehen, sondern mehr und mehraus einem lauten internationalen Konzert von Meinungskontingenzen beziehen,kann es sehr schnell zu extrem starken Akzeptanzen führen, die so raschwieder verschwinden, wie sie gekommen sind. Effekt und Medieneinflußdominieren. Ihr Sog ist fatal, da er das Geschehen um ihn herum entwertet undverzerrt. Princess Diana und Damien Hirst, Dolce Gabana und Derrida sind Namen,die Sogwirkungen haben, attraktionsfähig, publikumswirksam undkonsumierbar sind.

 

Wie unsdas Museum für Moderne Kunst in New York als Beispiel lehrt – unddiese Institution ist nur eine von vielen, die gleichartig operieren –,bedürfen schwer konsumierbare Produkte wie Kunst und Kritik nun eines besonderen Mehrwerts, der nicht mehr nur in derReflexion und Subjektivität des Rezipienten entsteht, sondern resultiertaus einem Ensemble von Abendessen, Cocktails, special events und Einladungender besonderen Art. Das Problem der mechanischen Reproduzierbarkeit ist seit langem schon dem Problemder digitalen Konvertierbarkeit gewichen. Der Schritt von der relativ primitiven CameraLucida und ihrem Celluloid zum leuchtend-magischen Rechner und seinenmächtigen Softwareprogramme ist einer, der nicht nur die Welt derRepräsentationen fundamental verändert hat, sondern die Logik derWelt und ihrer Reproduktion und Kommunikation selbst. Wenn allein schonjegliche Art von Ding, Zustand oder Qualität in Information und byteskonvertiebar ist – und wie wir wissen, gleicht diese Konvertierbarkeitder des Geldes –, dann darf die Verwechselbarkeit und Austauschbarkeitvon Arbeit, Unterhaltung, Ware, Wissen, Kritik und Kunst nicht erstaunen.Bleibt hier nur noch die Frage, was für eine Form eine Kunstpraxis annehmen kann, die nicht nur imGeschäft mit dem Schein der Kunst am international vernetzten Himmel vonStars, Magazinen, Megaausstellungen, Galeristen und Kunstkritikern aufgeht.

 

TeilII

 

Vor einpaar Tagen besuchte ich einen Vortrag von Homi Bhabha im MOMA mit dem vielversprechenden Titel:“Whose Modernity Is It Anyway?”. Ich ging dort hin, um etwas zu lernen, etwas zuerleben und um zu arbeiten. Der Vortrag, für den ich acht Dollar zahlenmußte, unterschied sich kaum von den anderen Vorträgen, die ichdavor von ihm besucht habe. Der Unterhaltungswert war durch eine prominentbesetzte Zuhörerschaft gesichert. Dezent und entgegen den Regeln diesesdistinguierten Hauses fotografierte ich den Vortragenden für meine endloseFotoserie mit dem Titel S/L (seminars/lectures), die mich zu solchenVeranstaltungen auf den Weg schickt. S/L ist eine Arbeit, die seit mehrerenJahren versucht, das intellektuelle Geschehen und Milieu in Klassen- undVortragsräumen von mir interessant erscheinenden Vortragenden fotografischfestzuhalten und mit dieser Auswahl eine Aussage zu machen. Die Vorträgebesuche ich weniger in der Funktion als Künstler, sondern mehr alsinteressierter Teilnehmer/Student. Meine Arbeit besteht auch im Zuhörenund Lernen. Vor allem interessieren mich das kritische Wissen und dieanvisierten Probleme, die die abgebildeten Vortragenden produzieren. Es stellensich aber auch eine Vielzahl von Fragen zur Bildungs- undUniversitätspolitik wie auch zu den akademischen Institutionen, die Schulgelder bis zu33.000 Dollar jährlich verlangen. Es darf nicht übersehen werden,daß diese Institutionen, ob sie nun staatliche oder privatorganisierteideologische Apparate[6]sind, Gesellschaft reproduzieren. Der soziale und der soziologische Aspekt liegt aber nicht nur im Gesagtender auf den Fotos verstummten Intellektuellen, sondern auch in derZusammensetzung aller Teilnehmer, der Architektur, ihrer pädagogischenEinrichtungen und ihres Dekors.

 

Auch hiermuß die kritische Frage gestellt werden, inwieweit diese Arbeitsymptomatisch und quasi-komplizenhaft die Spektakularisierung derintellektuellen Sphäre vorantreibt, inwieweit sie die Versachlichung von intellektuellerArbeit und Vermittlung Einzelner mitbewirkt. In vielen Vorträgen undKlassenräumen ist meine Fotokamera jedoch nicht das einzige technischeReproduktionsmittel. Oft treffe ich auf Kassettenrekorder, Videokameras undFotokameras anderer Leute. Bestimmte Lehrer nehmen ebenfalls ihre eigenenVorlesungen auf. Der Trend zum manigfachen Festhalten und Dokumentieren, zumArchivieren und Reproduzieren von Vorlesungen und Seminaren besteht auch ohnemich. Meine Arbeit erlaubt es mir, mit einer gewissen Systematik vorzugehen undauch dieses Problem der Spektakularisierung und Überarchivierung selbstanzusprechen. Die visuelle “Tratschebene” verlassen die Fotos dann,wenn eine zeitliche oder persönliche Distanz zu den Vortragenden gegebenist, d.h. wenn man z. B. den Klassenraum und seine Teilnehmer nicht kennt.Umgekehrt funktionieren die Fotos für Leser mehr als für Nicht-Leser,denn Identifikationsprozesse sind gebunden an eine Grundkenntnis dieses theoretischenMilieus, dasselbst Resultat eines komplizierten und problematischen Differenzierungsprozessesist, der sich nicht nur mit der Opposition Hochkultur und Massenkulturcharakterisieren läßt.

 

S/L istauch ein Travellog, ein Reisebuch. Es ergibt eine Landkarte meiner Reisen undbesuchten Vorlesungen, aber auch eine von den Reisen der Vortragenden selbst,die oft zum kulturellen Jet-set der Klasse von internationalen Profis(professionals) gehören. Diese Serie von Vortragenden ist eine Fortsetzungeiner anderen Arbeit, die mich selbst als Leiter eines öffentlichenLeseseminarprojekts um die halbe Welt geschickt hat, dabei auch insKünstlerhaus Stuttgart. Der jeweilige Titel lautete: "IMPORTED - AREADING SEMINAR in Relationship with my ‘A Portable (Not So Ideal)Imported Library, Or How to Reinvent the Coffee Table: 25 Books for Instant Use(7 different National Versions)’, 1993-96". Ich reiste mit den verschiedenen“tragbaren (nicht so idealen) importierten Bibliotheken” in Asien,Amerika und Europa, um diese Seminare für ein oder zwei Monate lang anUniversitäten, in Museen und Kunstzentren abzuhalten. Die Gesamtheit derLese- und Dialogzeiten wurden mit einer Videokamera gefilmt, was eine ArtQuerschnitt von problembezogenen Diskussionen ergibt. Die dabei gemachten Fotosmöchte ich, mit den oben genannten “S/L (seminars/lectures)”-Fotoszusammen “pädagogische Fotografie” nennen.

 

In diesenmehrteiligen Leseseminarprojekten wurden Texte zu den Themen ungleicher kultureller Austausch,Globalisierung, Nationalismus, Tourismus, Sprachen, Theorie, Wünsche,Identität und Politik gelesen und diskutiert. Über Jahrhunderte hinweg hat dietechnologische, militärische und ökonomische Dominanz Europas ihrenkulturellen Apparat als ein wichtiges Instrument entwickelt und verwendet, uminterne und externe Hegemonieansprüche zu konzeptualisieren,auszuüben und zu rechtfertigen. Kulturelle, ideologische undreligiöse Arroganz hat sich als Massenmord und Unterwerfung von ganzenVölkern und Gruppen im Ausland als auch im jeweils eigenen Landmanifestiert. Verblieben ist eine Geschichte von tragischen Ausbeutungen undMißrepräsentationen, die leider erneut eine Infrastruktur desMißbrauchs für eine post-kolonialistische "neueWeltordnung" (new world order) abgibt. Diese Arbeitsserie ist nun miteiner Publikation abgeschlossen, die nicht die Rolle einesKünstlerkataloges spielt, sondern die eines Buches, für das ich alsHerausgeber und Autor fungierte.

 

Wissen,Macht und Technologien sind aufs Engste verbunden. Auch andere Arbeiten von mir versuchen,diesen Komplex diesseits und jenseits künstlerischer Kontexte mittels künstlerischerund unkünstlerischer Praktiken zu thematisieren: Fremdsprachenlernen(Koreanisch, Japanisch, Russisch, Neugriechisch, usw.) und Unterrichten vonSprachen sind ebenso Teil meiner künstlerischen Praxis wie das Abhaltenund Besuchen von (Lese)seminaren und Vorlesungen, das Publizieren undSchreiben, das Filmen, Fotografieren, Bemalen von Wänden und nicht zuletztauch das Produzieren von Objekten und Installationen, ohne dabei auf meinedialogischen Aktivitäten im Internet [z. B. www.thing.net/ thingnyc/wwwboard2/ wwwboard2.html; www.thing.net/ basic.korean] zu vergessen. Diesevielseitige, aus Alltagshandlungen bestehende Arbeitsweise ist kein“everything goes” heutiger konzeptueller Strategien, sondern einAgieren und Reagieren in einer extrem diversifizierten sozialen, kulturellenund politischen Sphäre, die noch öffentlicher Raum genannt werdenkann.

 

TeilIII

 

ÖffentlicherRaum wird hierverstanden als eine Verkehrs- und Austauschsphäre, die mittelspolitisch-ideologischer, ökonomisch-technologischer, administrativer undkultureller Prozeduren fabriziert und umstritten werden muß. Das aktiveund bewußte Intervenieren in diesen diskussions- undverhandlungsbedürftigen Räumen kann nicht nur den individuellen, subjektiven und oftdilletantischen Praktiken von Künstlern wie mir Sinn verleihen, sondern auch Kunsthäuserund Kunstakademienmit ihren relativ dürftigen, unspektakulären Möglichkeiten undVeranstaltungen legitimieren, die den gängigen Kosten-Nutzenrechnungen(Besucherzahlen) schon längst nicht mehr standhalten können. Denn sosehr sich heute gewisse Angebote rentieren, quantifizierbares Interesse undGeldrückflüsse generieren und weltweit sich kommunizieren lassen,insofern sie im transkapitalistischen Attraktionszirkus pulsieren, so sehrwirken kritische, konsumptionssperrige Praktiken und Veranstaltungen  uninteressant und bleiben ohne Wohlgefallen, ohnegroßes Publikum und ohne finanzielle Rentabilität. Der Besuch einerVorlesung, einer kulturellen Veranstaltung, einer Ausstellung, der sich auchnur drei Interessenten verschrieben haben, muß verteidigt werden, wennsie öffentlichen Raum kritisch produziert und provoziert.

 

Museen,Kunsthallen und Kunsthäuser jeder Art können ihre Legitimation kaum mehr länger aus ihrerphysischen Präsenz und einem kaum hinterfragten Selbstverständnisherleiten. Historisch sind sie das Co-Produkt der Nationalstaatenbildung undihrer kritischen, legitimationsbedürftigen Öffentlichkeit. Fürdie bürgerliche Ära des 19. Jahrhunderts spielten Museen, ihre Produkte,ihre Ideologien und ihr Publikum eine wesentliche Bedeutung, die kaum mehrnachvollziehbar ist, lösen sich in Europa heute gerade jenenationalstaatlichen Entitäten auf, die sie zu rechtfertigen hatten. An dieStelle der Logik von Nationalstaaten tritt nun eine Logik derökonomischen Kostennutzenrechnungen, die immer komplexere und indirektere Formen annehmen.

 

Das wasden Nationalstaat liquidiert, liefert auch seine kulturellen Institutionen-  Museen, Universitäten -neuen, sie oft zerstörenden finanziellen Realitäten aus. Transnationalesökonomisches Kalkül dominiert die Nationalökonomien, die Staatshaushalteund in ihrer Folge auch seine Ausgaben für soziale und kulturelleFunktionen. Alleine schon die monetäre Politik der Europäischen Unionwird es nicht mehr länger erlauben, bedeutende Geldzuwendungenunprofitablen kulturellen Einrichtungen beizusteuern. Was unter dem Namen Kultursponsoring und Fundraising in den USA und Asien den Alltagvon Museen ausmacht, wird auch in Europa immer mehr zur Tagesordnung vonDirektoren werden. Finanzierungen des Wirtschaftssektors bleiben nicht nurdynamische Experimente von ambitionierten Unternehmer-Direktoren, sondern wirdüber kurz oder lang schlechtweg über das Fortbestehen der jeweiligenInsitution entscheiden.

 

DieKonsequenzen dieser Verschiebungen sind nicht nur primär finanziellerNatur. Es geht hier nicht nur um die Provinienz oder Absenz von Geldern,sondern um verschiedenartige Rechtfertigungs- und Erwartungskulturen. Eine leistungs-und ertragsorientierte Legitimationsinstanz trifft seine Selekionen anders als eine anAufklärung- und Kritik orientierte Entscheidungsinstanz, deren Etat durchideologisch vermittelte, übergeordnete Institutionen garantiert ist. Exzellenz, eine Kategorie die keinerÜberzeugung oder Erkenntnis mehr verpflichtet ist, sondern nur noch demwie immer definierten Erfolg, wird nicht nur von den Kuratoren und Direktorenabverlangt, sondern auch von den Künstlern. Erfolg und Exzellenzdefinieren sich u.a. als Funktionen von Medienrezeption und Verkauf. Exzellentist nicht nur, wer Sponsoren überzeugt, sondern auch wer sich alsKünstler in der internationalen Kunstindustrie und ihren Mediendurchsetzt. Diese Industrien können mit quantifizierbarenMaßstäbenaufwarten, um Künstler wie ihre Objekte Investitionsstrategien zuzuführen und umEntscheidungsfindungen zu erleichtern. Künstler versachlichen sich zu Namen, werden immer wichtiger undkonzentrieren für sich Faszination, Interesse, Chancen, Geld, undPublizität in immer schnelleren und grandioseren Dimensionen. Dieserplötzlich einsetzende Konzentrationsprozeß von Erfolg, Chancenund Medienintensität der jeweils plakativ-großen künstlerischen Karrierenläßt sich mit den beschleunigten Konzentrationen von Banken,Versicherungs-, Chemie- und Technologiekonzernen vergleichen.

 

Der Trendzur Exzellenz und Grandiosität animiert auch die Museumsbauten selbt, die sich nur noch selbstpräsentieren. Nicht mehr sollen nur geeignete Räumlichkeiten fürKunst entstehen, vielmehr sollen es Monumente einer corporate identity- und lobby-Ästhetik werden. Das subtileSpektakel beginnt mit dem berühmten Architekt und einer grandiosenArchitektur, setzt sich fort mit der namehaften Leitung, den bekanntenKuratoren, die sich wiederum mit noch berühmteren Stars der internationalenKunstwelt wie Trophäen schmücken. Das Verkehrsmedium ist wenigerReflexion, soziale Notwendigkeit und politische Verantwortung, sondern offeneund versteckte Arroganz und hierarchisches Hofverhalten. Es muß hier nicht erstgesagt werden, daß diese Konzentrationsbewegungen in der Kunstweltgenauso wie in der Konzernwelt (corporate world) nicht ohne die heutigehochentwickelte Verkehrs-, Transport- und Kommunikationsinfrastruktur auskommenkönnte. Die Fluktuationen in diesen kristallienen Glashäusern ist sogroß wie die von Aktien. Die darin verhandelte Macht zirkuliert, siedet und kann wie Schuppen ab-und dem nächsten zufallen, und das mitunter ohne einsehbare Logik.

 

Dieserallgemeine Bericht einer überall beobachtbaren Entwicklung soll nicht etwazynisch sein. Aber in der heutigen medien- und spektakelgepeitschen Welt, diesich von jeder Seite gleichzeitig beobachtet, sich zentrumslos alsfreischwebender Planet um verschiedene Achsen dreht, treiben die selbenGesetze nicht nurWaren, Urlaubländer, Kleiderfarben, Städte, Autos, Fernsehprogramme,Unterwäsche, Versicherungen, Telekom-, Bankservice und Aktien, sondernauch Kultur, Wissenschaft, Forschung, Literatur, Kunst und Museen.Umsatzsteigerung, Konsumptionsverhalten, Besucherzahlen, Einschaltsquoten,Investitionsvolumen, Preis- und Gewinnkurven,Dividende, Rezeptionen,Geschmacksbildung, Umwegrentabilität usw. sind Konzepte, die strukturellverleichbar sind. Aus dem “Jeder ist jedem ein Wolf” wurde “Allezur selben Zeit dasselbe”. Overkill, selbst die Nationalsprachen erscheinen vor derDominanz des Englischen als lokale Dialekte, so wie die Dialekte als Stigma vorden jeweiligen TV und Rundfunksprachen erscheinen.

 

Es istunmöglich, den Museen- und Kulturapparat von diesen neoliberalenGesetzlichkeiten zu verschonen. Denn der Staat muß sich selbst verkaufen,sich selbst auf einen kurzen folkloristischen Nenner bringen, seine Mozarte,Sachertorten, Schönbrunns und Helmut Langs als Verführungskapital richtig einsetzen, will er imneoliberalen Unternehmungstummel kompetieren, um aufgelistet zu werden in den“Europa in 5 Tagen”-Reisebüchern. Davon wird abhängen, ober weiterhin Geld für seine Institutionen aufbringen kann. Museen undKulturveranstalter müssen in der Lage sein, die verändertenBedingungen zu verstehen, sie kritisch zu hinterfragen und neueLegitimationszusammenhänge zu erarbeiten. Museen müssen als autonomeVersuchsfelder für alternative Reflexions- und Entscheidungsprozesse erkannt und erprobt werden.“International”, “anerkannt”,“berühmt”, “verkaufbar”,“publikumsanziehend” muß nicht unbedingt besser sein als“regional”, “eigensinnig”, “unbekannt”,“schwer verkaufbar”, “rezeptionssperrig”. Keine dieserQualitäten darf verkannt und von vornherein über- oder unterbewertetbleiben. Finanzierungs- und Unterstützungskonzepte müssen kritischüberdacht und neuverhandelt werden.

 

Auch das,was an Kunst selbst definiert und präsentiert wird, muß überdacht und imHinblick auf die Verschiebungen der Öffentlichkeit, der Demographie, derBevölkerungszusammensetzung neu konzipiert werden. Für wen sollwas unter welchen Bedingungen (re)präsentiert werden. Das WortÖffentlichkeitsarbeit muß nicht nur für ein Gala-Diner in denMuseumsräumen für die Belegschaft der finanzkräftigsten Firmender Umgebung stehen, sondern kann auch Bevölkerungsgruppen ästhetischrepräsentieren und für sie Gemeinschaftarbeit leisten, dieüblicherweise per definitionem ausgeschlossen bleiben. Das aber sind nureinige Fragen und Problemskizzierungen, die nicht etwa die Grenzen vonMuseendefinieren, sondern neue, zukünftige Nutzungsmöglichkeiten diesen anund für sich überkommenen Institutionen eröffnen. Veränderungenim Verständniss von Öffentlichkeit, Repräsentationspolitik undKulturarbeit sindwichtig, damit diese neuen Museen nicht nur kleine profitable oder unprofitableWirtschaftsunternehmen für wenige Interessierte oder Massen von Touristenwerden, sondern relevante, experimentelle Orte neuer kulturellerIdentitäten, Orte der Gegenöffentlichkeit, Orte, die unsgesellschaftliche und ideologische Wertzwänge zu neutralisiernhelfen. 

 

Rainer Ganahl, New York, November 1997

und Februar 1998

 

(noch nichtkorrekturgelesen 2/24/98)



[1]  The Museum of Modern Art, MembersCalendar, New York, Nov. 1997

[2]  Karl Marx, Nationalökonomie undPhilosophie, in Die Frühschriften, Kröner Verlag, Stuttgart 1971, S.281

[3]  ebenda, S. 303

[4]  ebenda, S. 302

[5]  ebenda, S. 301

[6]  siehe Louis Althussers“ideologische Staatsapparate”

 

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