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                                                                          H.C.Artmann, aus "flaschenposten", Malmö 1964

 

 

Lesen, Sprechen, Lernen, Lehren

 

I

 

Was hates mit Lesen und Sprechen, Lernen und Lehren auf sich? Für dieAnthropologen wie auch die Psychologen markieren Lesen und Sprechen wichtige Etappen in derEntwicklungsgeschichte des einzelnen Individuums als auch der Gattung. Lesenund Sprechen sind keine natürlichen Phänomene, sondern sozialvermittelte Prozesse, die Lernen und Lehren verlangen. Diese elementarenPraktiken sind Tätigkeiten und Vermögen, die nicht nur jedesIndividuum indiviualisiern und subjektivieren, sondern auch die Bedingungen zueiner differenzierten gesellschaftlichen Organisation ausmachen. Es ist dabeischwierig, die einzelnen Vermögen/Praktiken in ihrer gegenseitigenBedingtheit klar einander zuzuordnen, sie voneinander zu unterscheiden und zutrennen. Damit eine Gesellschaft fortbestehen und sich entwickeln kann,muß sie diesen elementaren Kulturtechniken die allergrößteAufmerksamkeit schenken.

 

InEuropa, wie auch in den meisten anderen Industrieländern, sind heute diesegesellschaftsreproduzierenden Praktiken institutionalisiert und staatlichgeregelt. Der Subjektivierungsprozeß eines jeweiligen Individuums wirdnicht einer Wilkür überlassen, sondern ist institutionell vorgegeben,vorgeschrieben und wird schulisch und medizinisch geregelt, diszipliniert undkontrolliert. Vom Lesen-, Sprechen- und Lernenkönnen werden alle anderenindividuell wichtigen Entscheidungen wesentlich beeinflußt, wenn nichtüberhaupt davon sozial abhängig gemacht. In Europa z. B. ist dasSchulsystem wesentlich hierarchisch und ausschließlich organsiert, damites sich nur kegelartig in den gesellschaftlichen Gesamtkörper eintreibenkann. Gesellschaftliche  undideologische Produktions- und Reproduktionsverhältnisse sind somitobjektviert - Abitur, Universitätsabschlüsse, Bac, Bac +2, Bac +5,usw. -, kalkuliert und selektioniert. Was das verschulte Individuum oft alsverzweifelter, sinnloser, singulärer und zuletzt existentieller Kampf inden Schulen und Prüfungskommissionen wahrnimmt, ist einem Kalkülverpflichtet, das in vielen Bereichen unangemessen ist undRealitätsprozesse oft nur schlecht tangiert. Hier verstecken sich diewesentlichsten ideologischen, sozialen und technologischen Konflikte, weil sichvia dieser pädagogischen Apparate geselllschaftliche Realitäten und Realitätsverhältnissenicht nur produzieren und reproduzieren, sondern auch erkennbar und bewertbarmachen.

 

Hinterder Schlichtheit und Einfacheit von Lesen, Sprechen, Lernen und Lehren in ihreranscheinenden Privatheit verstecken sich komplizierte Verhältnisse, die eswert sind, reflektiert zu werden. Gerade weil sich im Lesen und Lernen,Sprechen und Lehren eine mehr oder weniger gut abgeschirmte Unscheinbarkeit vordie Konflikte stellt, werden hier ideale Mischverhältnisse für alte,bestehende und zukünftige Macht- und Gewaltkonstellationen jeder Artablesbar und studierbar. Privilegien, strukturelle Ungleichheiten undUngerechtigkeiten, Einteilungen in Inländer und Ausländer,Gastarbeiter, Asylanten, und Asylbewerber, Zentrum und Peripherie und nicht zuletzt rassistische,sexualitätsspezifische und klassenspezifische Vorurteile entstehen,verlängern und verstärken sich mit versteckter und offenerAggressivität in pädagogischen Apparaten, wo gelesen, gesprochen,gelernt und gelehrt wird.

 

Andererseitssind es gerade wiederum diese pädagogischen Institutionen mit ihren sieversichernden Konzeptionen, die gewonnen, mobilisiert und verteidigt werdenmüssen um Ausgleiche zu schaffen, um andere, noch mächtigere Apparate- z. B. die Medien und deren Industrien - zu bekämpfen, zu neutralisieren.Auch dürfen jene Kämpfe nicht vergessen werden, die dieses schulischeUniversum schufen und garantierten, etwas, das heute selbst in Mitteleuropanicht mehr selbstverständlich ist. Eine fundamentale Kritik an denpädagogischen Staatsapparaten darf nicht die Auflösung dieser zumZiel haben, sondern nur den Demokratisierungsprozeß weitertreiben undversuchen, deren Entscheidungen als ideologische und politische zu verstehen.

 

Das Lesenist eine Tätigkeit, die nur in besonderen Kontexten als gesellschaftlichePraxis anerkannt wird. Während des Studiums und in intellektuellen Berufenwird den Lesenden das Lesen als eine produktive, gesellschaftlicheAktivität zugestanden. In den meisten anderen Fällen wird das Lesen,sofern überhaupt noch gelesen wird, dem Bereich Freizeit undMüßiggang zugerechnet. Wenn es sich bei den Lesenden um in denallgemein geregelten Arbeitsprozeß eingegliederte Personen handelt, wirddas Lesen als Regeneration oder Weiterbildung verbucht. Wird aber gelesen umdes Lesens Willen und das ohne offiziell zu arbeiten, so rückt diese Formunanerkannter Arbeit in ein dubioseres, ungeklärtes Licht. Gegen alleFormen geregelter Arbeit "anzulesen" ist als Arbeit nicht anerkanntund selbst dann nicht, wenn aus dem Leser oder der Leserin eine gegengesellschaftliche Zwänge imprägniertere Person entsteht.Unheimlichkeit mag sich dabei einstellen.

 

Mit demSprechen verhält es sich ähnlich. Wird gesprochen in bestimmtenZeiten, bestimmten Institutionen, an bestimmten Orten für bestimmteInteressen, so kann damit Geld und Prestige verbunden sein. Das Sprechen ohneanerkannte Kontexte wird nicht als Arbeit verstanden. Es erzeugt jedochSprechstoffe, Objekte und Gemeinschaften, die wesentlich sind. Wird außerhalbvon Gemeinplätzen gesprochen, so kann sich auch zum SprechenUnheimlichkeit gesellen, was besonders dann der Fall sein wird, wenn eskritisch und vorerst machtlos ist. Kritik und Machtlosigkeit im Sprechenergänzen sich zu einer Geometrie, die das Zentrum ausspart, es aber nichtignoriert.

 

DasLernen kennen wir in den meisten Fällen als institutionell starkeingerahmtes Tun bestimmter Altersgruppen. Wenn die Lernenden auch nochfleißig das Wort Arbeit für sich beanspruchen, wird diese Praxisallgemein nicht als Arbeit gedacht, außer es handelt sich umfirmenangeregte Aus- oder Weiterbildungskurse. Wo nicht der Staat dieselangwierigen Investitionen und aufwendigen Vorbereitungen vorschreibt oderanbietet und für sie aufkommt, müssen andere Finanzquellen diese Studienbezahlen und versuchen, sie zu beeinflussen. Was wie wann wo gelernt wird istmitunter denselben konformistischen Zwängen unterworfen, die sich auchbeim Lesen und Sprechen bemerkbar machen. Unheimlich kann einem nicht nur vorPrüfungen, sondern auch vor der Wahl des Lernstoffes werden. Danach reihensich die Lernenden in unterschiedliche Welten ein. Manche dieser Wissensweltensind extrem arbeitsaufwendig, erfordern langjährige Studien und endloseLektüre, wirken sich stark auf die Persönlichkeitsstruktur derLernenden aus, ohne jedoch diese Absolventen einer direkten, offenen, gutbezahlten Arbeitsnische zuzuspielen. Es kann so viel gelernt werden, ohne auchnur geringes Öl ins Getriebe des leistungsfähigenGesellschaftgsapparates abzugeben. Probleme können von solchspezialisierten Köpfen nicht nur abstrakt gelöst, sondern unterUmständen auch neu formuliert und geschaffen werden.

 

Andersals das Lesen, Sprechen und Lernen, ist das Lehren als Arbeit anerkannt undsomit im allgemeinen bezahlt. Professionalität und Kontrolleverschränken sich, realisiert sich ein Lehrverhältnis meistens nur ineiner sozial eindeutig definierten, hierarchisierten Konstellation. Die Kunstdes Lehrens, wenn es sie je gab, schrumpfte auf die Ausdehnung der Lehranstaltenzurück, wo in dosierter und geregelt manipulierter Form Wissen fürKlassen vermittelt wird. Dem Lehrpersonal sind Lehrpläne und Lehrzeitenverbindlich vorgegeben. Unheimlichkeit läßt sich weniger im Materialoder in der Vermittlungsarbeit orten, sondern stellt sich hier ein als Faktorim Alltagsleben der von Lehrplänen, Aufsichtskommissionen, Schüler-und Studententerror konsumierten Lehrer. Resignation und Zynismus lösen invielen Fällen den einst gehegten Willen ab, etwas verändern undbewirken zu wollen. In den Werkstätten gesellschaftlicher Produktion undReproduktion herrschen leider oft deswegen unbefriedigende und entmutigendeUmstände.

 

II

 

Unbefriedigendund entmutigend sind auch die Konditionen, in denen die Kunst seit derEntlassung aus den Armen gesicherter und bestimmter Auftragsgeber seit dem Endedes 18. Jahrhunderts sich versucht. Nicht nur Künstlerexistenzen, sondernauch Kunstpraktiken wanderten seit den letzten 150 Jahren aus den verabredetenOrten treuer Zeichenproduktionen ab. Seit den diversen ready made Paradigmenbleibt nichts vor den Aneignungen von Kunst immun. Was allgemein unter demVerzeichnis "Konzeptuelle Kunst" sich verbuchte, könnteproblemlos als ernsthafter Versuch mißverstanden werden, Ordnung undAkademismus - mit Methodeansprüchen diverser wissenschaftlicherDisziplinen -  zu reinvestieren,bevor die letzten Enklaven visueller Kulturversprechen völlig dermultimedialen Popkulturindustrien sich anglichen. Kunst, wenn an diesemGeneralsubjekt noch festgehalten wird, migrierte von der Produktion ihrerObjekte zur Rezeption ihrer Kontexte und Operationsmodalitäten, wo derKünstler nicht mehr selbst der Staat ist - "L'état c'estmoi" - , sondern er/sie vielmehr nur sein erster Bürger neben vielendarstellt. Rollenspiele sind seither zur ernsten Sache avanciert. Unheimlichmuten mitunter die Rezeptionsangebote mit ihren täuschendenEchtheitsvorgaben an, die oft zwischen dem Alltäglichen und seinemkritisch Entgegengesetzten oszillieren.

 

Um in derRolle des Künstlers das Lesen, Sprechen, Lernen und Lehren"materialfähig" zu machen und in ein Dialogfeldeinzuführen, das mit dem Prädikat Kunst seine gesellschaftlicheLegitimation erfährt, bedarf es bestimmter Verschiebungen und Eingriffe,sowohl auf den institutionellen, den kontextuellen und den rezeptionellenEbenen. Diese Interventionen sind jedoch in meinem Falle wenigerprofessioneller, sondern eher dilletantischer und autodidaktischer Natur,könnte ich doch in keiner Weise mit den Lern-, Lehr-, Wissens- undMethodenansprüchen der dafür prädestinierten Institutionen -Schulen, Universitäten, Sprachinstituten - kompetieren.

 

APortable (Not So Ideal) Imported Library, Or How to Reinvent the Coffee Table:25 Books for Instant Use (Japanese Version) 1993 (Eine tragbare (nicht soideale) importierte Bibliothek, oder Wie den Kaffeetisch neu erfinden: 25Bücher für sofortigen Gebrauch (japanische Version)) ist eine Arbeit,die aus 25 nach Japan von mir eingeführten Büchern besteht und imRahmen einer Ausstellung in Tokyo gezeigt wurde, die im Zusammenhang mit demJapanischlernen als Kunstpraxis u. a. die Arroganz und Problematik deskulturellen Ein- und Ausfuhrhandels ansprach. Kurz darauf präsentierte icheine "US Version", eine "French Version" und eine "RussianVersion" dieser zur Serie gewordenen Arbeit in New York, Paris und Moskau.Die einzelnen Versionen unterscheiden und zeichnen sich dadurch mit einemnationalen Prädikat aus, als die 25 verschiedenen Bücher imjeweiligen Land Importgut darstellen. Die Frage, was ein Produkt zum Importgutmacht, ist jedoch nicht mehr so einfach zu entscheiden. So werde ich z. B. indie noch nicht zusammengestellten österreichischen und deutschen Versionenjeweils ein Buch von Frank Kafka aufnehmen und damit jenen Autor alsImportprodukt bestimmen, der von beiden Staaten als nationales Kulturerbebeansprucht wird. Neben diesen oft streitbaren "Einfuhrbestimmungen"geht es auch um den Versuch, "Nationales" als"Importiertes" zu definieren. Die Bücher sind so ausgewählt,daß sie neben Anspielungen auf den lokalen Kontext, diverse Bereiche vonu. a. Gesellschaftkritik, Soziologie, Kunst, Literatur, Architektur, Politik,Antropologie, popular culture und postkolonialistische Diskurse abdecken.

 

ImZusammenhang mit diesen Büchern habe ich angefangen, eine Serie vonLeseseminaren zu veranstalten, die ich IMPORTED - A READING SEMINAR inRelationship with my "A Portable (Not So Ideal) Imported Library or How toReinvent the Coffee Table: 25 Books for Instant Use (National Version)"National Version nenne. In diversen Institutionen - Kunstschulen,Universitäten, Kunstzentren usw. - halte ich nun über eine Projektdauer von 2 Jahren Leseseminare mitden jeweiligen 25 tragbaren Büchern ab. Die einzelnen Seminare sindzwischen einem und zwei Monate lange und umfassen an die 10 bis 20 Treffen, indenen gemeinsam Texte erarbeitet werden. Für dokumentarische Zwecke werdenalle Seminartreffen photographiert und mit Video aufgezeichnet. Eine Artinternationales Lese- und Diskussionsarchiv entsteht, die die unterschiedlichenSicht- und Argumentationsweisen - zwischen Moskau, Los Angeles, Hiroshima, Stuttgart, Nizza, Wien usw. -dieser Diskussionen wiedergibt. Das Überschneiden der Institutionen Kunstund Pädagogik provoziert eine gesteigerte Aufmerksamkeit füreinanderund verwandelt alle Beteiligten in Akteure, insofern ein Teil der alsKunst-Endprodukte abfallenden Photographien auch von den Seminarteilnehmerngemacht werden.

 

IMPORTED- A READING SEMINAR.... (national version) privilegiert denverbal-kritischen Aspekt einer objektlosen, an Vermittlungs- undAustauschprozessen orientierten Kunst, die ihre Abfallprodukte, sofern sie inden an Exponaten interessierten Ausstellungsbetrieb rückgeführtenwerden, indexikalisch und dokumentarisch definiert. Die Hauptsache jedoch bleibtdas gemeinsame Lesen und Sprechen der verbliebenen Interessierten in einemBetrieb, der an Interessensschwund leidet. Auch ist es für mich in derRolle des Künstlers spannender, direkt mit den Leuten, die sichherkömmlicherweise als Publikum definieren in eine oft herausforderndeBeziehung zu treten. Da in den meisten Fällen die Sprache der importiertenBücher von der der Teilnehmer abweicht und auch ich meistens einesogenannte Fremdsprache sprechen muß, nimmt indirekt das Sprach- undÜbersetzungsproblem eine zentrale Stelle ein. Diese Sprachgrenzen sindkonstitutiv für diese Projektserie wie auch für meine Arbeit imallgemeinen, die besonders am Problem der Vermittlung, der Übersetzung,der Schnittstelle, des Interfaces und ihrer Werkzeuge sich orientiert. Daserschwerte Lesen von mitunter komplizierten, fremdsprachigen Orginaltexten mitTeilnehmern, die nicht unbedingt dafür geschult sind, ist für alleBeteiligten produktiv, da es dem kritischen Unterscheidungsvermögen unddem Abarbeiten und Verlernen von Vorurteilsstrukturen am ehesten entspricht.

 

III

 

Vorurteilesind es auch, die unsere Einstellungen gegenüber Fremdsprachen und derenSchwierigkeitsgrad prägen. Generell verlaufen unsere Einschätzungenan den Grenzen des Bekannten und Vertrauten entlang. So wird Albanischschwieriger eingeschätzt als Spanisch. Asiatische und die Sprachen desNahen Ostens mit ihren unterschiedlichen Schreibsystemen werden als nahezuunlernbar eingestuft. Rassismus und Unverständnis überlagern sich mitden exotischen Betrachtungsweisen, die man allen asiatischen, arabischen undafrikanischen Sprachen entgegenbringt. Der Umgang mit der Einschätzung vonFremdsprachen an sich reflektiert aus westlicher Sicht leider oft nicht vielmehr als eurozentristische Arroganz oder neugieriger, touristischer Exotismus.

 

Was hates aber mit dem Erlernen von sogenannten Fremdsprachen überhaupt auf sich?Wer lernt, was, wann, wo, warum? Seit der Renaissance und dem Humanismus wurdedie Kenntnis der klassischen Sprachen - Latein, Griechisch, Hebräisch -eine Notwendigkeit auch jenseits des bloß geistigen Lebens. Das Studierender klassischen Sprachen war die conditio sine qua non für dieUniversitäten, die das Bildungsmonopol inne hielten und anfingen, eineverstärkte Rolle in der Verteilung von Macht und Einfluß in einersich säkularisierenden Welt zu spielen.    

 

Seit derFranzösischen Revolution und den entstehenden Nationalismen in Europawurden nationale Sprachen geschaffen, standartisiert und der Gesamtheit derBevölkerung aufgezwungen. Andere Sprachen und Ideome wurden zu Dialektenoder zur Verdammung abgewürdigt, ein Prozeß, der bis heute andauert.Es darf dabei erinnert werden, daß 1789 nur ein Drittel derfranzösischen Bevölkerung französisch sprach. In Italien warenes nur gebildete 15 % , die das heutige Italienisch 1871 im Alltag anwandten(vg.: E. J. Hobsbawm, Nations and Nationalism since 1780, Cambridge UniversityPress, 1992, P. 38, 60). Nur in Deutschland ist dieser Prozeß derStandartisierung des Deutschen schon seit der Übersetzung der Bibel zubeobachten. Mit dem Auftreten der Geistes- und Geschichtswissenschaften des 19.Jahrhunderts wurden die "neuen" Nationalsprachen studiert und zueinem Hauptinstrument in der Formation der diversen Nationalismen undNationalstaaten gemacht. Das polyglotte Habsburgreich zerbrach mitunter daran.

 

DieLehrpläne des 19. Jahrhunderts nahmen auch Sprachen auf ihreLehrpläne, die scheinbar nicht direkt nationales Bewußtseinreflektierten. Allerdings standen mit dem Studium diverser orientalischerSprachen auch andere Interessen auf dem Spiel. Der Kolonialismus undImperialismus der Europäer bewirkten bemerkenswerte und anhaltendegeolinguistische Verschiebungen und brachten es soweit, daß in manchenKolonialländern die dort gesprochenen Sprachen verboten wurden (z. B.Arabisch in Algerien). Der Orientalismus ist ein Phänomen, das nicht nureine Handvoll Gelehrter anhielt, kulturelles schöngeistiges Wissen zuproduzieren, sondern auch ein ideologischer Faktor, der Bevormundung, Unterdrückung,kulturelle, ökonomische und politische Ausbeutung direkt und indirektlegitimierte.

 

Lesen,Lernen, Lehren und Sprechen produzieren und reproduzieren soRepräsentationen und Vorstellungsverhältnisse von sich und denAnderen, die sich für die einen von Vorteil und für die anderen vonNachteil ohne faires Urteil erweisen können. Das Geschäft solcherRepräsentationsverhältnisse war und ist eines der Macht und ihrerInteressen, die im Falle der letzten 150 Jahre nicht nur Gewürze,Edelmetalle und Arbeitskräfte, sondern auch Masken, Skulpturen, Bilder undvorallem mächtige Vorstellungen, die diese Zugriffe rechtfertigten von denAnderen abzwangen.

 

Um die inden westlichen Zentren von den Anderen gemachten Repräsentationen besserin die in Abhängigkeit gebrachten Territorien tragen zu können,wurden und werden - wie schon angedeutet - oft gleich die Sprachen derHegemonialmächte mitgeliefert. Das Lernen dieser Sprachen ist dann Zwang,Privileg und Notwendigkeit. Die neuen Sprachen - Englisch, Französisch,Portugiesisch, Spanisch, Russisch usw. - werden akzeptiert, gesprochen undschlußendlich (wie in einzelnen Fällen) als einzig möglicheSprachen internalisiert. Nur mit dem Auseinanderbrechen der Macht zerfallenauch sprachliche Identifikationen, wenn sie nicht völlig gefestigt sind:Wer im abgefallenen Teil des Sovietimperiums möchte noch Russisch alsLingua Franca lernen und benützen, sind doch mit der sprachlichenHartwährung Englisch viel größere Vorteile zu erschließen?

 

Nach demII. Weltkrieg wurde Englisch die am meisten gelernte Sprache im von denWestmächten befreiten Europa. Russisch die in den von der Roten Armeebefreiten, (man sagt auch) besetzten Teilen Mittel- und Nordeuropas. In beidenFällen wurden diese sprachlichen Anliegen staatlich institutionalisiertund geregelt. Mit auseinandergleitenden Machtkonstellationen ändern sichdie Einstellungen zu anderen Sprachen. Die Russen lernen nun alle Englisch undauch die Amerikaner und Engländer fangen an, sich im FremdsprachenlernenMühe zu geben. Schwäche verpflichtet auch sprachlich. 

 

DasBeherrschen von Sprachen verschafft Privilegien, Vorteile und neueIdentitäten. Die europäischen Schulbildungssysteme, mit deren Hilfedie Sozialstruktur der Gesellschaften reproduziert, kontrolliert undstabilisiert werden, strukturieren sich großteils an der Beherrschung vonFremdsprachen. Das Lernen von Englisch, Französisch, Deutsch, Latein usw.ist ein gesellschaftlicher Differenzierungsfaktor, der nicht unterschätztwerden kann und in fast jedem Stellenangebot sich erneut bestätigt. In denehemaligen Ostblockstaaten - Rußland z. B. - ist die Beherrschung einerHartwährungssprache wesentlich mitentscheidend, an welcher Ökonomieman teilhat. Informationsflüsse meandern entlang den Ufern von bestimmtenSprachen fast immer parallel zu monetären und verbreitern sich mit ihnenin all jenen Ländern, die Geld-, Entwicklungs- und Informationsmängelstrukturell auszeichnen.

 

Migrationsbewegungensind im postkolonialen Zeitalter Spätprodukt des sich brutal installiertenKolonisationsprozesses und handeln oft entlang sprachlicher Verbindungslinien,was in Paris und London besonders auffällt. Dort wo Immigranten dieGastsprache jedoch nicht schon beherrschen, müssen sie sie oftumständlich erlernen, um gerade auf sprachlicher Ebene großeDiskriminationen zu erfahren. Legal oder illegal sind Immigranten,Flüchtlinge, Asylanten und Asylbewerber nicht nur ihrenursprünglichen sozialen Kontexten entrissen, sondern auch ihrensprachlichen Zusammenhängen, was sie manchmal sogar mit Scham fürihre eigene Sprache, Kultur und Herkunft erfüllt. Die weltweit zahlreichenFlüchtlinge und Ayslanten zählen zu den schwächsten,hilflosesten und auch sprachlich zu den diskriminiertestenBevölkerungsgruppen.

 

Andersverhält es sich mit den sogenannten Gastarbeitern, ein Begriff, der inallen nicht-deutschsprachigen Industrieländern ein bezeichnendes ebensopeoratives Äquivalent kennt. Gastarbeiter, die aus Arbeitsmangel in dasLand geholt wurden und die westlichen Industrien seit den 60iger Jahrenmitaufbauten, sprechen oft die Landessprache - Deutsch -, tun dies jedoch abermit einem Akzent und einer ihnen speziell zugestandenen denn so angelerntenSyntax: "Du machen Arbeit ganz" Ohne daß sich die meisten der Inländer der Implikationen vollbewußt waren und sind, entspricht dieses verzerrte Lehrverhaltenallgemein der Arroganz und Ignoranz einer Bevölkerung, die es nichtschafft, kulturelle und sprachliche Vielfalt anders als negativ zu bewerten.

 

Die Angstvor fremden Sprachen und die Angst des Sprechens von Fremdsprachenläßt sich u. a. mit der Angst vor dem Unverständlichen, demUnbekannten als auch den Hilflosigkeiten und Unsicherheiten des Sprecherserklären. Das Einlassen auf fremde Sprachen relativiert aber auch die eigeneSprache, die Muttersprache, und erlaubt eine Distanzierung vom vertrautenSprachfeld, welches an sich schon von den unterschiedlichsten Diskursformendurchzogen ist. Diese jede Sprache durchlaufenden Sprachdifferenzierungen sindProdukte unterschiedlichster Faktoren wie topographische, historische,ausbildungsspezifische, soziale, klassenspezifische, generationsspezifische,mode- und medienspezifisch, um nur einige davon zu nennen.

 

DasEintreten in eine neue Sprache ist ein langwieriger und qualvollerProzeß, der das lernende Subjekt "entsprachlicht" und teils aufdie bereits durchlaufene frühkindliche Entwicklungsstufe derSpracherlernung zurückversetzt. Der Lernende wird hilflos, wird manüberall wesentlich anhand der Sprachbeherrschung eingeschätzt.Sprachliches, bzw. fremdsprachliches Unvermögen eröffnet auch einenRaum jenseits linguistischer Normen, wo Etiketten verstoßen, richtigerSprachgebrauch geschmäht und Einstufungen erschwert werden. Auch beidiesen Abweichungen zeitigen die Umstände den Effekt. Ob Fehler und abweichendesAussprechen Scharm oder verachtendes Übergehen bewirkt, hängt leidernicht vom sich bemühenden Sprecher selbst, sondern von den(Gruppen)Einstellungen der einheimischen Interakteure ab, welche offen,verständnisvoll und entgegenkommend oder diskriminierend, fremdenfeindlichund rassistisch sein können. Amerikanische oder französischeStudenten in Heidelberg oder Wien erfahren eine andere Behandlung alskurzbefehlsempfangende sprachlose Arbeiter oder Asylanten in deneinschlägigen Amtsstellen, wenn die betreffenden kaum mehr als Tagalog,Tamil oder Kantonesisch sprechen.

 

DerAmerikaner Louis Wolfson hat mit zwei Büchern die psychologischen Aspektedes Fremdsprachenlernens bestens angesprochen. In den 70iger Jahren schrieb er"Le schizo et les langues" (Der Schizo und die Sprachen) und kurzdarauf "Ma mère musicienne est morte" (Meine musizierendeMutter ist tot). Beide Bücher, die er in einer für ihn fremdenSprache verfaßte, hatten einen besonderen Zweck: das Erledigen seinerMuttersprache, was ihm auch dadurch besonders gut gelang, als er anfing, denBedeutungsprozeß durch ein teilweise unverständliches Sprachgemischzu spalten und zu zersetzen. Sein delirierendes Sprachgebräu treibt ihndann ab in ein sprachliches Niemandsland, wo seine Instrumente nur nochzwiespältig für sich selbst räsonieren. Das ist sicherlich nebender Aphasie als Nicht-Sprechen-Können die radikalste Abrechnung mit einerMuttersprache.

 

IV

 

Auf demHintergrund dieser politischen, ideologischen und psychologischen Dimensionenintegrierte ich das für mich immer wichtige Fremdsprachenlernen in meinekünstlerische Praxis. Aus "ready made" ist "tryinghard" geworden, was ironischerweise auch jene Qualitäten wieder insSpiel bringt, welche das traditionelle "ready made" ausschließenwollte: Lernen, Übung, Meisterschaft, Zeit, Prozeß und Ausdauer. DasJapanischlernen eröffnete diesen Prozeß. Gefolgt wurde Japanisch vonden Sprachen Russisch, Neugriechisch und Koreanisch. Ich versuche, dieseSprachen weiterzulernen. Es braucht kaum dazugesagt zu werden, daß essich dabei immer nur um basic japanese, basic russian, basicmodern greek und basic korean handelt. Perfektion wird beim Lernennicht angestrebt.

 

Allerdingskönnen die mit dem Fremdsprachenlernen einhergehenden Kontakte undAuswirkungen auf meine Lebens- und Arbeitsumstände so weit führen,daß ich mitunter über die Jahre hinweg anfange, einige dieserSprachen auch frei und problemlos zu sprechen. Es kommt durch dieseSprachprojekte zu einschneidenden Überlappungen verschiedenerSphären. In eines dieser Projekte involviert zu sein heißt,über lange Zeit dieser Tätigkeit nachzugehen, mit ihr zu leben undihre Konsequenzen zu erleben.  

 

Japanischwie auch Koreanisch wird wie alle nichteuropäischen, hier in Europavöllig unterrepräsentierten Sprachen als schwierig, ja als unlernbareingestuft. Den Schriftzeichen gegenüber herrscht noch einegrößere Skepsis. (interessant, daß auch im Jugoslawienkriegdie kyrillische Schrift ein Angriffspunkt ist und die Losung der Serben auchdementsprechend heißt: "Ein Land, eine Sprache, eine Religion undein Alphabet"). Auch konstruierten Europäer und Nordamerikaner eineAbneigung Japan wie Asien allgemein gegenüber. Diese negativen Vorurteilesind alt und neu. Zurückgehend bis auf das Nibelungenlied denkt der WestenAsiaten nur als Horden, was heute aus den Japanern die verächtliche Figurder manipulierten, entindividualisierten Massen macht. Man stellt sich Japanerwie auch andere Asiaten nur als Gruppenmenschen vor, denen keine Individualitätzugestand wird. Um dieses Vorurteil etwas zu untergraben und dem gigantischenMißverhältnis zwischen wirschaftlichem und kulturellem Austauschetwas entgegen zu steuern, lernte und lerne ich immer noch Japanisch wie auchKoreanisch.

 

DasErlernen dieser Sprachen hat deshalb schon etwas Unheimliches an sich.Koreanisch ist insofern auch interessant, als kaum jemand eine genauereVorstellung von diesem Land (oder dieser beiden getrennten Ländern) hat.Meine wenigen, vagen Vorstellungen über Korea sind genährt aus demKorea abgeneigten Japan und den Koreanern, die ich in den USA als großesKoreaemigrationsland antreffe. Die Auseinandersetzung mit der Sprache ist es,was mich dem Land gegenüber sensibel macht. Aufgrund des Spracherwerbskönnen sich Beziehungen einstellen, die ein Leben lang von Wichtigkeitsein können.

 

Neugriechischist eine Sprache, für die es heute kaum ein Interesse gibt. Anders jedochist Altgriechisch die Sprache, die vorallem die deutschen Gemüter vom 18.bis hinein ins 20. Jahrhundert philologisch in Atem hielt. Es wurde aber nichtnur fleißig studiert und geforscht, kulturelle, moralische,philosophische und staatsphilosophische Einbildungs- und Projektionsarbeitgeleistet, sondern auch reichlich für die ideologische, deutsch-nationaleLandschaft Vergangenheit konstruiert, Kulturgüter minutiös aus- undabgetragen, nach Deutschland in die Museen exportiert und in Athen mit Otto demBayern das griechische Königtum 1833 wiederbelebt. Griechenland war so einklassisches Land eines hauptsächlich - nicht ausschließlich -deutschen Orientalismus.

 

In derNachkriegszeit sahen sich die etwas weniger geschätzten, aber für dieIndustrie umso nützlicheren Nachkommen der Alten Griechen als Gastarbeitergezwungen, Deutsch zu lernen und zu erfahren, was es heißt, nicht perfekteine Sprache zu beherrschen. In den Ferienzeiten zählten und zählenimmer noch die Deutschen und Österreicher im griechischen Süden zuden Hauptbesuchern, die bis auf wenige Ausnahmen und wenige Worte nichts vonder Landessprache verstehen oder zu verstehen brauchen. Abgesehen davon habendie Griechen in ihrem Land nicht anerkannte sprachliche Minderheiten(albanische, mazedonische, türkische) und äußerstproblematische Nachbarschaftsverhältnisse, die sich nicht immer auf dieNenner von Toleranz und Verständnis für die anderen bringen lassen.Das bekam ich während meiner Ausstellung in Athen im Februar 1995 dadurchselbst zu spüren, als mir nicht erlaubt wurde, auf verschiedenen T-shritsdie Landessprachen aller angrenzenden oder mit Griechenland ein besonderesVerhältnis unterhaltenden Länder aufzudrücken: "bittelehren Sie mich Mazedonisch", geschrieben auf Mazedonisch, wurde mir nichterlaubt, weil die Griechen Mazedonien nicht als einen Nachbarstaat unter dieserBenennung anerkennen.

 

Dierussische Sprache ist für mich als "Kaltes Kriegs Kind"ebenfalls ein kulturelles Anderes. Des öfteren versuchte ich, Russischschon während meiner Studienzeit zu erlernen, wobei ich immer scheiterte.Erst mit dem Fall des Eisernen Vorhangs überwand ich alle Schwierigkeitenund studierte regelmäßig in New York 1990/91 für 12 Monate.Mehrere längere Rußlandsaufenthalte in Verbindung mitkontinuierlichem Lernaufwand ermöglichten mir es, ein Russisch zuerwerben, das mir gut weiterhalf. Im Zusammenhang mit der Russischen Versionmeines Leseseminars, Imported - A Reading Seminar... (Russian Version),konnte ich das erneute Russischlernen wieder in mein künstlerischesArbeitsspektrum aufnehmen. Leider wurden mir im Frühjahr 1996 in Parisalle russischen Lernzettel gestohlen, was mich erneut zum Lernen von Russichzwingen würde, wollte ich - wie mit den anderen Sprachen - diese Zettelfür eine Arbeit auf Papier verwenden.

 

Was manglaubt zu können, kann man auch weitergeben. basic linguistic servicesnenne ich jene Praxis, in der ich Sprachen weitervermittle: Basic linguisticservices, basic german, basic english, basic french, basic japanese ...sind Vermittlungsarbeiten, in denen ich Interessierten in Rußland (basicenglish), in japan (basic french) und in den USA und Frankreich (basic german)elementare Lernkenntnisse beizubringen versuchte. Auch dabei zeigte sich sehrschön, weshalb die einzelnen Teilnehmer an einer neuen Sprache Interessezeigten. Diese Serviceleistungen sind auch eine ideale Weise, Dialoge undFreundschaften zu entwickeln. In vereinzelten Fällen wie etwa mit demrussischen Theoretiker Michael Ryklin in Moskau oder mit der mit einemÖsterreicher verheirateten Türkin Petek Höck in New Yorksprechen die Teilnehmer fast ein einwandfreies Englisch oder Deutsch, was dannjedoch durch die spezifische Konversation dem Adjektiv "Basic" eineerweiterte Bedeutung gibt.

 

V

 

Es gibtverschiedene Arten, aus dieser Lern- und Vermittlungspraxis Arbeiten fürAusstellungen und Sammlugen zu gewinnen. Ganz besonders geeignet erweist sichdas Medium Video, das nicht nur die Funktion der Dokumentation erfüllt,sondern auch die der Überprüfung, der Kontrolle und derQuantifikation. Was wie mit einem Witz anfing, hielt sich dann aber als Titelfür eine Arbeit 3 months, 3 days a week, 3 hours a day - basic moderngreek and 6 days, 6 hours a day - basic modern greek  . Genau diese Anzahl von Stunden galtes zu studieren, was von einer Videokamera überprüft und registriertwurde. Parallel zu meinen elementaren Griechischkenntnissen, entstand einStapel von 120 Stunden Videokassetten innerhalb von 3 Monaten, der vorgab, denLernprozeß zu repräsentieren. Durch die unpraktische Länge vonweit über 100 Stunden wird das Abspielen zu einer Absurdität und dieRepräsentationsfunktion pervertiert. Die Kamera in der Rolle des Superegoshilft jene Momente zu überwinden, in denen Motivation, Wille und Tun nichtmehr im Einklang sind. Diese Aufzeichnungspraxis kommt Quantifizierung- undObjektivierungszwängen entgegen, wo es defacto unmöglich ist, diesenzu entsprechen. Wie mit dem Erlernen von Neugriechisch, wird das Lernen vonKoreanisch und von Japanisch in addierbaren 20 Studenpackungen - ein Karton von10 bespielten 120 min VHS Kassetten - zum austauschbaren Repräsentationsobjektversachlicht. Das Resultat ist weniger narzistischer als vielmehrvoyeuristischer Natur, erlaubt die exzentrische Länge nicht, sich derKamera ständig bewußt zu sein. Der Betrachter jedoch übersiehtvon der gehobenen Position der Kamera das quasi-monastische Geschehen desLernenden.

 

Fürden Großteil meiner Arbeiten existiert ein file. Diese filesoder Dateien stellen nichts anderes dar als eine Seite einesVerwaltungssystems, so wie man es von Galerien oder Museen kennt: SpezifischeKategorien wie Objekt, Größe, Materialien, Visualisierung, SpezielleAnmerkung usw... eröffnen ein Spiel, das neben einer Pseudoerfassung aucheine Art konzeptuelle Kontextualisierung leistet. Im Zusammenhang mit diesen fileslassen sich dann auch diverse "Abfallprodukte" wie etwa meineLernzettel als "Arbeiten auf Papier" präsentieren, die mehr alsnur eine bloße Dokumentation darstellen. Je nach Kenntnis oder Unkenntnisder jeweiligen gelernten Sprache sind diese f/o: basic ...., ... (Studying...)M/T/J/Ort (f/o: basic japanese, Nihongo o Benkyo shimasu (StudyingJapanese) 12/9/93, Tokyo) Arbeiten "lesbar" oder nur"halb-lesbar" und werden somit exotisiert. Interessant sind dieunterschiedlichen Reaktionen auf diese Lernzettel, die von Admiration bis zurAggression reichen können.

 

Parakalo,mathemu elenika (please, teach me Greek) z. B. ist nicht nur ein Titelfür eine Performance zu einer Ausstellung(-seröffnung), die 2 Stundenoder 2 Monate dauern kann, sondern auch ein Satz der sich auf einem T-shirtwiederfindet, das dann für 10 Portraits mit Teilnehmern unterschiedlicherHerkunft verwendet wird. Bitte lehren Sie mich Deutsch (10photographien) ist eine Photoarbeit, in der physiognomische, nationale undethnische Unterschiede gegenüber jenen Vorurteilsstrukturen ausgespieltwerden, die die Grundstruktur von Rassismus und Diskrimination ausmachen. Eineandere Art, einen vergleichbaren Satz in eine "Lernhilfe" und in eineArbeit zu verwandeln, eröffnet sich mit den Wandarbeiten, die wie folgendlauten: Bitte schreiben Sie jene Russischen Wörter an die Wand, die derKünstler kennen sollte, oder Bitte schreiben Sie jene DeutschenWörter an die Wand, die die Asylanten kennen sollten usw. Ein Rahmenim Format einer Dialeinwand wird auf die Wand aufgemalt. Der Titel ist in derjeweiligen Landessprache im Rahmen direkt eingeschrieben. Mit dem angebrachtenGraphitstift können die Besucher dieses "Lehrangebot" annehmenund direkt an die Wand schreiben.

 

VI

 

Seminars/Lectures,....(S/L: Edward Said, Last Works/Late Style, Columbia University, New York,12/15/95 oder S/L: Benjamin Buchloh, European Art 1948 - 1968 II,Columbia University, New York 12/11/95) sind Photoserien, mit deren Arbeitich im November 1995 begonnen habe. Diese Arbeiten bestehen aus Photos, die ichin  Seminaren und Vorlesungen vonVortragenden und Studenten aufnehme. Die Art dieser Arbeit verlangt von mir,einer Vorlesung oder einem Seminar ohne wesentliche Störung beizuwohnen.Die stille Teilnahme an diesen Lehrveranstaltungen mit einer Kamera ist immeran eine besonderen Erlaubnis gebunden und erfordert eine Rücksichtgegenüber den Teilnehmern. Das erklärt die relativ"schüchterne" und unveränderte Kameraposition. Es entstehendabei keine "objektiven" Aufnahmen, sondern amateurhafte Photos ausder Sicht eine Teilnehmers. Die Auswahl der Seminare und Vorlesungen fälltmit meinem Interesse an den Vortragenden zusammen. Um jenes Seminar von Said zuzitieren, welchem ich ein ganzes Semester selbst beiwohnen konnte, versuche ichmich hier an einer Art "Repräsentation von Intellektellen".

 

VII

 

Wie schoneher angedeutet, ist es schwer, die Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhundertsnicht in Beziehung zu den Paradigmen des ready mades und der Photographie zusehen. Wie auch immer diese beiden Produktionsmodi aufeinander bezogen werden,so teilen doch beide eine bezeichnende Struktur: sie sind schnell, "readymade". Mit den Verfahren von Lesen, Sprechen, Lernen und Lehrenverhält es sich umgekehrt: sie sind langsam, fragil, kaumrepräsentierbar und gehören einem Lebens- und Erfahrungsbereich an,durch den jeder Mensch durchgeht und der in seinen Auswirkungen kaumüberschätzt werden kann. Es ist dies auch ein Bereich, in demPrivilegien und Benachteiligungen sich offenbaren, bestätigen undmultiplizierend fortsetzen. Mit ihm werden ideologische, ökonomische undkulturelle Konstellationen gespiegelt, produziert und reproduziert. MeineArbeit ist ein Versuch, mich auf das Lesen, Sprechen, Lernen und Lehren mit derkonsensarmen, fragilen Legitimation in der Funktion als Künstlereinzulassen, um mich erneut dem gefalteten Feld dieser Überlappungen mitihren Konsequenzen und Zwängen auszusetzen. Zuguter letzt ist diese Praxisauch ein persönliches "Keep moving away from your mother tongue-Bestreben" als eineAufforderung, sich den (paternalen, nationalen und eurozentrischen)Über-Ich-Funktionen der Erziehungsmachinerien zu widersetzen, in dem mansie in beinaher absurder Weise dilletantisch repliziert. Oder anderes gesagt:Lernen als Verlernen als Lernen.

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Rainer Ganahl, Köln, Sommer 1995 / New York, Winter 1996

 

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