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... unedited /// unpublished .... 2014

 

DIGITALE UND SOZIALE FRAGMENTE
Christiana Teufel im Gespräch mit Rainer Ganahl

Christiana Teufel:
Anfang des Jahres hattest du eine Ausstellung im Cabaret Voltaire in Zürich, der Geburtsstätte des Dada während des 1. Weltkrieges. Wie war es für dich an diesem kunsthistorisch aufgeladenen Ort auszustellen?

Rainer Ganahl:
Ganz normal, denn ein Ausstellungsort ist ein Ausstellungsort und ich glaube nicht an Geister egal welcher Intentionalität. Ein Raum bezieht seine Relevanz aus der zeitgenössischen Eingebundenheit und nicht so sehr aus der historischen. Was wir heute im Cabaret Voltaire sehen, als physischer Ort, hat sehr wenig zu tun mit den damaligen Aktivitäten, die viel später erst als Dadaismus versachlicht, mystifiziert, und vermarktet wurden. Ich freue mich prinzipiell über jede Einladung, möchte aber auch festhalten, das in Zurich die Finanzierung dem Ruf weiter hinterherhinkt und dadurch auch die Relevanz etwas leidet, obwohl der Kurator seine Arbeit aus meiner Sicht der Dinge sehr gut macht.  

Teufel:
Dadalenin ist ein Projekt von dir, welches sich aus einer großen Variation von verschiedenen Aktivitäten und Medien zusammensetzt. Angefangen hat das Projekt 2006 mit Lesungen von Lenin-Texten zu den Themen Imperialismus, Erster Weltkrieg und Volkserziehung. Du verknüpfst die Überfigur Wladimir Iljitsch Lenin mit der Dada-Bewegung, die sich 1916 in Zürich formierte und beziehst dich hierbei auf das Buch "Lenin Dada", welches Dominique Noguez 1989 herausbringt. Er stellt hierbei die Hypothese über den Ursprung von Dada auf, wobei er Lenin als Gründervater von Dada und Vertreter des Dada-Gedanken beschreibt. Du schaffst mit deiner Arbeit Dadalenin eine neue Kategorie für den Diskurs dieses trügerischen Geschichtsbild und gehst relativ frei mit diesem vergessenen Aspekt der Geschichte um. 
Wie würdest du deine Erfahrungen während deiner umfangreichen Recherchetätigkeit zu diesem Projekt von Verhältnis zwischen fiktiver und realer Geschichtsschreibung mit analogen und digitalen Quellen beschreiben? Wie lässt du die neuen Medien in den Entstehungsprozess deiner Arbeiten miteinwirken?

Ganahl:
Lenin hat tatsaechlich in der Spiegelgasse in unmittelbarer Nåhe zum CV gelebt und schrieb dort das Buch Imperialismus, die hõchste Phase des Kapitalismus, ein Buch, dass die materiellen, õkonomischen und kolonialistischen Motive des I Weltkrieges untersucht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Lenin die Unterhaltungsabende im Gasthaus Meierei in der Spiegelgasse 1 miterlebt hat. Soweit ist hier nichts Spekulatives im Spiel. Was mich aber interessiert ist der so genannte Große Krieg, der Erste Weltkrieg, dessen tragische Schauplätze sich auch im Kolonialbereich der Europāer befanden. Diese Soirees in dem besagten züricher Gasthaus wurden erst später als DADAISMUS erfolgreich verkauft und reifiziert. Es ist für mich nicht so wichtig, ob bestimmte Bewohner derselben Straße diesen Unterhaltungsabenden beiwohnten, obwohl Hugo Ball in seinen Tagebuchaufzeichnungen immer wieder von Russen und sogar von einem “asiatisch aussehenden Russen” mit Frau sprach, sondern dass diese Kunstbewegung ohne dem Krieg nicht zu denken ist und umgekehrt der Krieg, insbesondere der industrialisierte Gaskrieg absurde Formen annahm, wenn man alleine nur an die Masken denkt, die auch im Cabaret Voltaire eine Rolle spielten und direkt mit der Kolonialgeschichte zusammenhingen. Dabei ging es mir nicht um das flirten mit “trügerischen” Gesichtsbildern, sondern um Geschichte mit Bildern zu konfrontieren, die ins Vergessen gerieten, obwohl genau zu jenem Zeitpunkt der damalige amerikanische Präsident, G. W. Bush wegen nicht auffindbaren Chemiewaffen eine neuen Kriegsschauplatz eröffnete. Das Erinnern und oft überraschende Neukombinieren von historischen Ereignissen mit heutiger Relevanz ist endlos und der eigentliche Grund, des Versuchs, DADALENIN als tragisch-komische kritische als auch künstlerische Kategorie vorzuschlagen.

Die Mischung aus neuen Medien und alten, anachronistischen Arbeitsweisen war Teil der Arbeit. Bei meinen Marcel Janco und Alexander Rodchenko Collagen, als Beispiele, verarbeitete ich das in der Bibliothek oder on line gesuchte und digital gesicherte Material mit dem Computer, kombinierte dann aber diese digital weiterverarbeiteten und mit Tinte oder Bleistift überarbeiten Drucke mit fast 100 Jahre alten orginalen Marcel Janco Zeichnungen bzw. mit vom Rodchenko Nachlass autorisierten Photos.  Auch die vielen E-Bay Käufe sind technologisch bedingt, aber identifizieren diese digitale Verkaufsplattform auch als mitunter tragisch-komisches Repositorium von Geschichte, die dort partiel als Kitsch und materialisierte Sentimentalit’t wieder für Geld vermarktet wird. Wie schon die Dadaisten interessiere ich mich für Sprache so wie ich sie überall anfinde, weshalb ich auch die sprachlichen Instrumenten der kommerziellen, kommunikativen und technologischen Sphäre beobachtete und damit jonglierte.

Teufel:
Wie auch die Dadaisten Events als Kunstform etablierten veranstaltest du Modeschauen. Für "Comme des Marxists" arbeitest du mit Symbolen aus der ehemaligen Sowjetunion wie Hammer, Stern und Sichel und Wörtern wie Klassenkampf / Class Struggle oder Profit. Wie kam es zu deiner Faszination an Mode?

Ganahl:
COMME des MARXISTS wurde durch das Verwerten von Sovietdesign durch das japanische Modehaus ähnlicher Bezeichnung inspiriert und besteht aus verschiedenen Segmenten und Produktionslinien mit bezeichnenden Titeln wie MARX 4 KIDS, MARX 99 CENTS,  HERMES MARX, SUPERSTRUCTURE, KARL MARX VISISTS DAVID ZWIRNER AT WEST 20TH STREET, SNOWDEN MARX SECURITY, MARX SEX WORK, OPIUM / COVER UP, MARX SPEAKS CHINESE and so on. Die klassischen Attribute des Kommunismus werden verwendet wie Logos, ohne dabei das ursprüngliche Prinzip Hoffnung und Gerechtigkeit komplett zu verraten. Mit dem karnevalesken, banal-verführerischen und schlichtweg schönen Teil dieser de facto sehr teuren Produktionen – ungef. 40 000 Euro an Produktionskosten – die auch nicht vor dem Bereich Schmuck zurückweichten, versuche ich mitunter politische Aktualität pointiert zu fassen und als Spektakel in Defiles zu präsentieren. Mode ist für mich wie Kunst nichts anderes als ein gesellschaftliches Zeichensystem, mit dem ich quasi-propagandistisch, poetisch und künstlerisch zugleich versuchte umzugehen. 

Teufel:
Ich würde gerne noch etwas über dein Fashion-Projekt "Karl Marx Wears Prada" reden. Hier verwendest du als Material Sicherheitswesten richtig? Warum?

Ganahl:
Die Sicherheitswesten trage ich täglich. Sie schützen mich als Radfahrer, konnotieren Arbeiterkleieding und werden deshalb mit einer gewissen schichtspezifischen Verachtung genossen, vor allem wenn man sie nicht nur in Gefahrenzonen trägt, sondern so wie ich auch im "besseren" Kontexten. Obwohl ich auch Leuchtfarben mag, spiele ich aber auch mit dem gesellschaftlichen Wahnverlangen, eine komplett gefahrenlose Gesellschaft zu schaffen und überall Gefahren zu wittern, alles zu kennzeichnen und es direkt oder indirekt zu überwachen.

TEufel:

In deiner Modekollektion "SNOWDENMARX.GOV" reagierst du auf den Abhörskandal der NSA. Hattest du schon einmal Probleme mit Zensur? Vor allem weil du dich sehr politisch für deine Kunstkollegen wie z.B. Ai Weiwei einsetzt.

Ganahl:
Nun, wir alle leben mehr und mehr in einer Überwachungsgesellschaft und sind deshalb alle davon betroffen. Auch ich überlege mir, ob es schlau ist, diesen oder jenen Begriff durch Suchmaschinen zu jagen. Ich persönlich habe mit Zensur nur in China Probleme gehabt und nicht etwa in den USA oder in Europa, bin aber trotzdem sehr interessiert, wie unsere Privatsphäre durch Gesetzgebung, Überwachungstechnologien, konstantes Datenflussspeichern und Filtern mit big data Technologien beobachtet, penetriert, berechnet, beeinflusst und kontrolliert wird.

Teufel:
Kommen wir noch auf deine malerischen Aktivitäten zu sprechen. In "Newspaintings" führst du online News-Portale wieder in analoge Malereien zurück. Was bedeutet dieser Prozess vom analogen zum digitalen und wieder zurück für dich?

TEUFEL:
In avantgardistischer Tradition par excellence setzt du dich in deinem "bycyle-manifesto" für die Umstrukturierung der Städte mit mehr Fahrradwegen ein. Du hast halstürzlerische Radtouren entgegen der Fahrtrichtung in den Grossstädten der ganzen Welt hinter dir. Dieser Aktivismus erinnert an die avantgardistische Forderung nach einer Veränderung der Lebenspraxis durch Kunst, ganz in Tradition zu André Bretons Aufruf „pratiquer la poésie“ in seinem ersten surrealistischen Manifest. Wie siehst du die politische Verantwortung von Kunst?

GANAHL:
Von Kunst an sich ist nichts zu erwarten, aber von den jeweiligen Künstlern und all jenen Rezipienten, die sich auf so ein lebensveränderndes Spiel einlassen. Damit möchte ich nur sagen, dass ich versuche,  mein Leben so gut zu leben wie ich es schaffe und freue mich natürlich, wenn meine Arbeiten andere Leute inspirieren. Mein Leben wird unter anderem auch durch meine Spracharbeiten sehr beeinflusst, weil ich ja doch etliches lerne. Es gibt aber Literaten und Kūnstler, die ich sehr schätze und deren Beispiele mich vor allem als Jugendlicher sehr beeinflusst haben. Man sollte nicht nur mit der Kunst politisch verantwortlich handeln, sondern jede und jeder sollten das generell tun, auch sich gegenüber. Leben ist immer politisch und irgendwie im Dialog mit dem Rest der Welt.

TEufel:
Das Medium Buch spielt in deiner künstlerischen Arbeit eine grosse Rolle. Du zerstörst sie, kickst sie über die Strasse oder setzt im Falle des 610-Seitenstarken Buches Dadalenin eine Statue in sie hinein. Wie ist deine Beziehung zum Medium Buch und wie siehst du die Zukunft von analogen Medien?

Ganahlk:
ich lese aber auch Bücher und mach das im Zusammenhang meiner künstlerischen Praxis mit Leseseminaren seit über zwei Jahrzehnten. Wenn ich bestimmte Bücher zerstõre, ist das meine Art an historische Buchzerstörungen zu erinnern, bzw. mich mit dieser Problematik auseinanderzusetzen. Ich habe bis dato ūber zehn Bücher gemacht, befinde mich irgendwie immer irgendwie in einer Buchproduktion und respektiere Bücher trotz meinen Zerstörungen. Aber auch ich muss feststellen, dass immer weniger Bücher benutzt bzw. gelesen werden. Es sind nun vor allem elektronische Plattformen, die unser intellektuelles und repräsentatives Leben beherrschen, bestimmen und verwalten. Sie sind schneller, flexibler, zum Multitasking und zum Multi-Päsentsein geeigneter, was es auch für mich sehr schwer macht, mich ausschließlich einem Buch zu widmen. Ich persõnlich ziehe auch das elektronische Format der aktuellen Zeitung vor und habe mit dem kleinen fixierten Druck der Zeitungen ohne der Möglichkeit des Sicherstellens oder des Weiterleitens Schwierigkeiten. Unsere gesamte elektronische Õkologie kondizioniert mich so, dass für mich Bücher nur noch Vergangenheitscharakter haben. Ich lese nur noxh auszugsweise oder muss mixh dank meiner Kollektiven Leseseminaren extrem langwierig durchkãmopfen, ein Kampf, den ich mir zeitlixh undmpsychologisch kaum mehr leisten kann. Die Zukunft des Buxhessehe ixh digital angepasst odrr sentimental fetischistisxh 

TEufel:
Die heutige Digitalisierung unserer Gesellschaft eröffnet neue Zugänge zu Kunst, welche ein neues Spannungsfeld zwischen einer demokratischen Kunst online und und ihrem traditionellen, exklusiven offline-Raum entstehen lässt. 
Kunst erlangt neue Sichtbarkeit auf den digitalen Kanälen, aber dies führt auch zu einer Differenz zwischen massenhaft digitalen Reproduktionen und originalen Werken. Deine Video-Arbeiten sind über Youtube, Ubu.com und deiner Website ganahl.info zu sehen, wo man auch zum Teil hi res Bilder deiner Arbeiten herunterladen kann. 
Wie stehst du zu dem Drang zur Revolutionierung der Kunst durch digitale Medien, die an Walter Benjamins Hoffnung, dass das auratische Kunstwerk durch kollektiv produzierte und zugängliche moderne Kunst irgendwann ersetzt werden würde, erinnert?

Ganahl:
die Aura einer Arbeit hãngt nixht von der medialen Beschaffenheit der Arbeit ab, sondern vom Stellenwert im Bezugssystem Kunst, das nixht ausschliesslich aber doch wesentlixh vom Tauschwert und der Bekanntheit der Arbeit und der Kùnstler/in bestimmt wird. Die Rede von der Revolutionierung der Kunst ist fùr mich anachronistisches akademisches Anathema und nicht unbedingt interessant. Dennoch aber. gibt es eine Bewegung in der Produktion und Akzeptanz von Kunst, die sehr wohl sixh an gesellschaftlicchen , technoligischen, oekonomischen und sozio-politischen Verãnderungen orientiert,davon betroffen ist und sie mitreflektiert. 

Um das wahre Funktionieren mit dem Geschaeft der Aura geht es in einer fùr mich sehr schmerzhaften und exteem enervierenden Arveit auf den Punkt, die iich CE CI N EST PAS UNE PIPE NENNE ...Sie besteht wesentlixh aus Kunstwerken, die in aller Wahrscheinlichkeit authentisxh sind, dann aber durch kommerzielle Gruende und Rechtsstreitigkeiten die Aufnahme ins Archiv nicht schafft. Im Falle meiner Franz West Bilder aus den 1970iger und 1980iger Jahren, die von seinem ehemalogem Freund, Sammler und Rahmenmacher waren es  die Bemùhungen der New Yorker Gallerie, den Enervierenden, preisdrùckenden lokalen wiener Handel durch absurde authentizitãtszweifel zu eliminieren. Es ist dann nur ein arrogantes email von welchen Leuten, die eine Arbeit posthum authentifizieren oder als wertlos erklaeren. Durxh Gallerienwechsel und das Ableben des Kùnstlers gibt es nun auch zwei solche instanzen, die vor Gerixht sixh noxh jahrelang streiten und dementsprechend dann sixh die gegenseitigen Ergebnisse abstreiten. Dasselbe war auxh bei Werken von Alleghieri Boetti der Fall, wo zwei konkurrierende Familienstrãnge sixh in den Haaren liegen. Diese von mir auch sogar ueber Gallerien erstandenen Werke verloren von einem Tag auf den anderen durch die Nichtaufnahme ins Authentizitãt schaffende Archiv ihrnen Wert und ihre Aura und urden somit Arbeitsmaterial meiner  eigenen kùnstlerisxhen. Arbeit, dh eine Neuauratiserumg. Durch die.derzeitigen Markt- und Rezeptionsunterschiede von Boetti und West haette eine Verãnerung im Authentizitãtsfindingsprozess dieser Kūnstlerarchive eine sofortige Bendigung dieser meiner Ceci n est pas une pipe arbeiten zumfolge. Symptomatisch fuer diesen ganze Procedere ist die Tatsache, dass der Prozess der Authetntifizierung selber einen vierziffrigen Betrag kostet, unabhaengig von der Entscheidungsfindung.

Teufel:
Das Thema Shopping in der Kunst spiegelt sich in vielen deiner Arbeiten wieder. In deiner Arbeit "ebay ethnography" hast du Photographien der Philippinern von 1905 ersteigert. Ich finde das ein sehr spannende Vorgehensweise. Worauf lag in dieser Arbeit dein Fokus?

Ganahl:
wie schon bei "Dadalenin eBay Lenin "drehte es sixh hier ebenfalls um geschixhtlich signifikante artefskte die aus ihrem organischen, verstaubten, irrelevanten kontext geloest  und meistens fuer komplet neue rezeptions - und gebraucheweise oft sehr billig ueber weltweit einsehbare verkaufspalttformen verkauft werden.  Aus Zufall stiess ich  auf diese photos  der vorletzten jahrhundertsende. von philipinischem Leben, wie es die damaligen Kolonialverwalter der USA fuer ejne nicht zustandegekommene Publikation registriertem. Menschen, Arbeiten, . Das weiss ixh deshalb, weil der eVay verkaeufer einen Kommentar zu seiner Waregleich wieder zu Verkaufszwecken in die Angebotsbeschreibung nimmt. Da mich die Logik und ãsthetik dieser Shoppingplattform interessiert, verwandte ich nixht nur die orginalen Fotos  sondern auch das, was man frùher administrativer Papierverkenr nannte. Diese Praxis dann  on line weiterzuführen wenn es konzeptuell und praktisch notwendig ist, ist somit nicht nur ein Reflex unserer Zeit, sondern auf einer gewissen  kunsthistorischen Schusslinie, denn man darf nicht vergessen, dass Duchamp seine ready mades aus dem Bazar de l'hotel de ville, kurz BHV bezog und das somit auch ein shopping akt war. 

Teufel
Deine Arbeit Seminar/Lectures, die auch 2007 auf der Biennale in Venedig gezeigt wurde besteht aus einer fortlaufenden fotografischen Serie, Auszügen aus der Google-Suchmaschine zu dem Begriff "the politics of education" und dem Video "Homeland Security". Auf den Photographien sind nicht nur Sprecher, sondern auch das Publikum, das Umfeld, die Stühle, etc abgebildet - Momentaufnahmen bei der Produktion und Weitergabe von Wissen. Wie auch deine language studies beschäftigst du dich hier mit Sprache und der Politik von Wissensproduktion. Schon in einer ganz frühen Arbeit pinselst du Fussnoten von Büchern auf Mauern. Wo siehst du die Gefahren, wenn heutzutage Wissen mehr und mehr digital abgespeichert wird?

Ganahl
das Digitalisieren miniaturisiert, sammelt. sichert und verteilt Wissen was jeder anderen Form an Kapazitaet, Quantitaet, Qualitaet, Verteilung, Teilung, Sharing, Versandt und Permanenz weit ūberlegen ist. Das Problem ist nicht die Digitalisierung, sondern der Zugang zum Wissen und der Umgang damit, alles Fragen, die jede Gesellschaft selber beantworten muss was genau dieselbe Situation darstellt mit der Art und Weise, was eine bestimmte Gesellschaft als Kunst akzeptiert.

ich möchte aber hinzufügen, dass z.B. meine seit 1995 laufende Seminar/Lecture Serie sich vorallem auch um das Gesicht – im weitesten Sinn des Wortes  - kümmert und die Digitalisierung des Klassenraumes nur ein aspekt darstellt. Neben einem gewissen akademischen star gazing wird beobachtet, wer diese Vorträge und Seminar besucht, wo sie stattfinden und über was gesprochen wird. Handelt es sich dabei um Institutionen, die kostenlos sind oder Teil eines Ivy League Systems sind, wo jährlich 40 000 oder 50 000 Dollar bezahlt werden muss;  spiegelt die Klassenkomposition die demographischen Verhältnisse des öffentlichen Verkehrssystems wider, was ja vom quasi-kostenlosen Universitätszugang auch in Deutschland und Frankreich zu erwarten wäre aber de facto nicht wirklich der Fall ist oder ist es trotz der staatlichen Hilfe nur der bessen weggekommen Schichten vorenthalten, die im Erscheinungsbild homogen oder nicht-homogen sind? Interessant ist auch, wie über die Jahrzehnte die Interessen von mir aber auch die der Vortragenden sich ändern, wie die verwendeten Lehrinstrumente aussehen. Nicht zuletzt aber ist es generell interessant, die Ausbildungsstätten und Institutionen einer Gesellschaft zu beobachten, die wie alles andere immer historisch kontingent sind.

TEufel:
In dem Video 'homeland security" sprichst du folgende Sätze "I am not a terrorist" (1), "I am not a religious fanatic" (2), "I don't give money to terrorist networks" (3), "I don't know how to build bombs" (4) and "I am not downloading dangerous information from the Internet" auf 11 verschiedenen Sprachen. Inwiefern verstehst du das Erlernen von Weltsprachen ale künstlerische Praxis?

Ganahl:
Die Idee mit dem Lernen von Fremdsprachen als kunstlerische Praxis kam mir beim studieren von Edwards Saids Orientalismus Kritik. Es sind nicht nur Weltsprachen, die ich lerne, sondern auch weniger signifikante Sprachen wie etwa Koreanisch, Neugriechisch oder jetzt auch Tschechisch. Was aber die Sprachenwahl angeht, so handelt es sich dabei immer um orientalische, bzw. östliche Sprachen, die dementsprechend unterschiedlich konnotiert sind. Mich interessieren kulturelle Vorurteile und Arroganz in unserer eigenen Kultur, die ich natürlich auch alle mit meiner eurokulturzentristischen Erziehung miterlernt habe. Ich befinde mich nun sozusagen nicht nur in einem ewigen Lernprozess, sondern auch in einem Verlernprozess, ein Unlearning, um die heutige komplexe Gesellschaft besser verstehen und der Schönheit der Vielfalt postitiv erleben zu koennen. Der Kollaps von Raum- und Zeitdistanzen dank billiger Massentransportsysteme als auch die Omnipräsenz von digitalen Medien, die fast die komplette öffentliche und private Kommunikationslandschaft der gesamten Welt in jeden Haushalt um den Globus transplantiert schaffen im Verbund mit Verlust einer monopolisierten Medienlandschaft neue Konfliktherde, die es ermöglicht, kulturelle und ideologische Privatwelten zu leben. Die dabei entstehende oft nicht zu versöhnende Komplexität durch diese vielen kaum miteinander kommunizierenden Parallelwelten schaffen nicht nur sprachliche und kulturelle Probleme, sondern auch ideologische und solche, die durch das Divergieren des politischen und juristischen Rechtsverständnisses als das der Glaubens- und Vorstellungswelten in Konflikten und Missverständnissen mündet.

Das Lernen als endlose künstlerische Performance ist nicht nur ein neuer Beitrag zur Duchamps’schen Dekontextualiserung  - in meinem Falle ist die Temporalität eine komplet dem ready made entgegengesetzte – sondern auch eine quasi-sinnstiftende Praxis, mit dem ich u. a. versuche dem täglichen sehr kompetitiven Legitimationsdruck als New Yorker Künstler stand zu halten. Selbstironisierend aber mit Wahrheitsgehalt für fast alles was ich machte möchte ich noch festhalten, dass ich sehr, sehr wenige dieser Spracharbeiten verkaufe, jedoch relativ viel selber lerne und dadurch auch mein Leben und meine soziale Umwelt verändere.

TEUFEL:
Deinem Text "Dadalenin IS DEAD - The New York Times Obituaries" setzt Du folgendes Zitat von Hegel voran:
Art, considered in its highest vocation, is and remains for us a thing of the past. (Hegel, Aesthetics, 1: 11)
Wie ist das zu verstehen.

Ganahl:
Das ist eine schöne Abschlussfrage, die ich gerne sehr unphilosophisch beantworten möchte. Obwohl es ein kleines Segment extrem teurer zeitgenössischer Kunst gibt, etabliert sich der künstlerische Wert von Kunst mit wenig Ausnahmen immer erst viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später. Trends und kommerziell sehr erfolgreiche Seilschaften hat es immer gegeben und wird es auch immer geben, aber es sind solche soziale und geniale Businesscoups kein Garant für eine historische Rezeption, die für mich nie aufhört, sich aber immer nur als Geschichte manifestieren kann. Insofern muss ich Hegels Vergangenheitscharakter von Kunst zustimmen.