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rainer ganahl, 1989 (this was all supposed to be a book taht fell through)

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Öffentlichkeit, Gegenöffentlichkeit, Doppelöffentlichkeit
I.
Die Geschichte der Ausbildung von Öffentlichkeit ist eine Geschichte der Demokratie. Sie konvergiert mit der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft und ihren Verkehrs-, Transport- Kommunikations- und Produkionsmitteln. Eine Geschichte der Öffentlichkeit ist aber auch eine Geschichte der Politik, der Antagonismen, der Schichten- und Klassenkämpfe, der Interessens-, Rechts- und Institutionskonflikte, der Informations- und Bildungskämpfe, der Zensuren und somit wesentlich auch eine der Gesellschaftsordnung. Der grundlegendste Versuch, das Phänomen der Öffentlichkeit geschichtlich und strukturell aufzuarbeiten, leistete vor ungefähr vierzig Jahren Jürgen Habermas mit seinem Buch “Strukturwandel der Gesellschaft”. Etwa eine Dekade später folgten Oskar Negts und Alexander Kluges komplementäres Buch “Öffentlichkeit und Erfahrung, Zur bürgerlichen und proletarischen Öffentlichkeit”. Eine Studie zum öffentlichen Ausdruck, die auch psychosoziologische Aspekte der öffentlichen und privaten Sphäre seit dem 18. Jahrhundert untersucht, stammt aus den frühen 70iger Jahren von Richard Sennett mit dem bezeichnenden Titel “The Fall of Public Man”.
Wenn man sich heute mit dem Sachwort “Öffentlichkeit” via Internet in einen Bibliothekskatalog einlogt, dann erscheinen bezeichnenderweise eine Vielzahl ähnlichlautender Titel: “Öffentlichkeitsarbeit und Werbung”, “Handbuch der PR-Agenturen”, “Kommunikationsmanagement und PR-Perspektiven”, “Praxis des social marketings” usw. Sieht man von den Publikationen ab, die sich direkt mit dem Engineering der Öffentlichkeit für verkaufs- und bewußtseinsmanipulative Zwecke beschäftgen, so finden sich neben den relativ wenigen Titeln wie “Reden ist Silber, Schweigen ist Schrott” oder “Konzepte von Öffentlichkeit” (3. Lüneburger Kolloquium zur Medienwissenschaft. 1993) hauptsächlich Publikationen, die sich mit den Medien auseinandersetzen: “Medien und Politik”, “Lokaler Hörfunkt und städtische Öffentlichkeitsarbeit”, “high-tech: offensive Information”, “Industrielle Kommunikation”. Diese Ver-Öffentlichungen sind nicht nur bezeichnend für das relativ geringe Interesse an kritischen Diskursen zum Thema Öffentlichkeit, sondern auch für die amorphe, vieldeutige Komplexität und den überraschenden Wandel dieser einst politisierten, bürgerlichen Kategorie.
Paradoxerweise verweist uns das scheinbare Aufgehen des Begriffs Öffentlichkeit in Marketing und Medien - und das nicht nur aus sprachlicher, sondern auch aus faktischer Sicht - zurück auf die Ursprünge von Öffentlichkeit im modernen Sinne: der Beginn einer differenzierten Gesellschaft, deren Mitglieder untereinander Güter und Dienste austauschen, für welche Informationen wichtig sind. Der Nachrichtenverkehr entsteht parallel mit der Verbreitung des Waren- und Geldverkehrs, der sich gegen die lokalen Abhängigkeitsverhältnisse des ständischen Herrschaftssystems durchsetzen muß. Frühe “Zeitungen”, geschrieben in Venedig von den “scrittori d'avisi”, in Rom von den “gazettani”, in Paris von den “nouvelllistes”, in London von den “writers of letters” wurden zunächst ohne dem entscheidenden Moment Publizität von den jeweiligen Handelsleuten und deren Nachrichtenzentren unregelmäßig herausgegeben, verteilt, gelesen, jedoch noch nicht veröffentlicht. Die Versachlichung zu Nachrichten findet erst später statt. “Alte Wahrheiten” werden gemischt mit “neuen Tatsachen”, die Zeichen- und Wundercharakter annehmen. Kaum wird zwischen natürlichen, geschichtlich-politischen, religiösen und ökonomisch-technischen Ereignissen unterschieden.
Zu diesem Zeitpunkt jedoch sind die Handelsbeziehungen noch nicht durch die politische und militärische Gewalt des Staates institutionalisiert. Dieser muß sich erst als bürokratische, militärische, politische und ökonomische Einheit formieren, zu dessen Funktionieren Informationen, Nachrichten und eine gewisse öffentliche Reflexion wichtig werden. Die Vergesellschaftung des Herrschaftsmonopols, die Kommerzialisierung der Gesellschaft, das Entstehen einer gewaltenteilenden Verwaltung und der Aufbau von überregionalen Infrastrukturen für die Beförderung von Personen, Gütern, und Nachrichten sind Teil der Ausbildung der neuen Monopolmächte, die zu Staatsapparaten sich konsolidieren. Feudale “private”, an einzelne Familien gebundene Herrschaft wird “staatlich”, “öffentlich” in einer durch komplizierte Interdependenzen und abstrakte Funktionsteilungen gekennzeichneten neuen Gesellschaftsordnung. Die Darstellung, Deutung und Auslegung von “alten und neuen Wahrheiten”, die immer schon Teil der diversen lokalen untereinander konkurrierenden Gewalten - Kirchen, Höfe, Städte, Stände - gewesen sind, ändern sich wesentlich mit dem gesellschaftlichen, politischen, technischen Fortschritt der Staatenbildung.
Norbert Elias zeigt in seinen Studien zur Soziogenese der Staates, wie Macht sich in abstrakte Funktionen übersetzt, wie an die Stelle eines freien, von einzelnen Kriegern geführten Konkurrenzkampfes um einzelne Territorien sich ein gelenkter, gebundener, von detailierten Informationen abhängiger Konkurrenzkampf schiebt. Öffentlichkeit, Information und Repräsentationsgewalt werden entscheidende Faktoren von Herrschaftsausübung und Herrschaftskontrolle und spielen in einer sich institutionalisierten geordneten Gesellschaft, in der Gewalt immer öffentlicher wird, eine immer zentralere Rolle. In einem nach Kompetenzen unterteilten Staatsbetrieb werden aus der Willkürlichkeit der Gewaltausübung Gesetze und Polizei. Die Attribute “staatlich” und “öffentlich” werden austauschbar, beobachtbar und kontrollierbar. Öffentlichkeit wird nicht nur für die zunehmend kapitalistisch sich organisierende Gesellschaft gefordert, eingeklagt und umstritten, sondern wird auch aus Gründen der Effizienz, gegenseitigen Kontrolle und Transparenz systemfördernd.
Der Prozeß vom frühkapitalistischen Verkehrszusammenhang bis zum Kolonialismus, von den Ständeordnungen bis zur Dominanz kapitalistischer Produktionsstrukturen in Manifakturen und Fabriken wird begleitet von einer Produktion von Öffentlichkeit und Raisonnement, deren Träger in den verschiedensten Funktionen das Bügertum stellt. Das Bürgertum, das den modernen Staat durch Qualifiaktionsvorsprünge besser repräsentiert und verwaltet als die Aristokratie, orientiert sich nicht an überkommenen Privilegien und feudalen Monopolen, sondern am Markt, am öffentlichen und zugängigen Waren-, Menschen- und Informationsaustausch.betrieb werden aus der Willkürlichkeit der Gewaltausübung Gesetze und Polizei. Die Attribute “staatlich” und “öffentlich” werden austauschbar, beobachtbar und kontrollierbar. Öffentlichkeit wird nicht nur für die zunehmend kapitalistisch sich organisierende Gesellschaft gefordert, eingeklagt und umstritten, sondern wird auch aus Gründen der Effizienz, gegenseitigen Kontrolle und Transparenz systemfördernd.
Der Prozeß vom frühkapitalistischen Verkehrszusammenhangs bis zum Kolonialismus, von den Ständeordnungen bis zur Dominanz kapitalistischer Produktionsstrukturen in Manifakturen und Fabriken wird begleitet von einer Produktion von Öffentlichkeit und Raisonnement, deren Träger in den verschiedensten Funktionen das Bügertum stellt. Das Bürgertum, das den modernen Staat durch Qualifiaktionsvorsprünge besser repräsentiert und verwaltet als die Aristokratie, orientiert sich nicht an überkommenen Privilegien und feudalen Monopolen, sondern am Markt, am öffentlichen und zugängigen Waren-, Menschen- und Informationsaustausch. Um diese Funktionen qualifiziert wahrnehmen und dabei auch die eigenen Interessen wahren zu können, wird Information, Bildung, Ausbildung, Kritik und Öffentlichkeit zur Voraussetzung. Aus den voröffentlichen Nachrichten entwickelt sich entlang des Marktes - die Nachrichten werden zur gewinnbringenden Ware - eine Presse, die soziale, technische und literarische Belange vom Politischen getrennt zu artikulieren weiß. Die untergeordneten, nun von Zensurgesetzen und Polizei regulierten Subjekte werden durch diese entstehende Öffentlichkeit zum vernünftigen, Grundrechte einfordernden Publikum.
Die Presse als erweitertes und effektives Organ der Öffentlichkeit entwickelt sich deshalb als ein Instrument der Macht und Verwaltung, um das gestritten werden muß. Da aus dem modernen Staat ein komplexer, unübersichtlicher Apparat geworden ist, der von Verwaltungsbeamten, Juristen, Offizieren, Professoren, Ärzten, Kaufleuten und anderen Gebildeten betrieben und beeinflußt wird, die nun selber den Kern des neuen Bürgertums ausmachen - die Handwerker sind in den Städten mit der Macht der Städte sozial abgestiegen - , ist der Unterschied von Regierung und Regierten kein absoluter mehr. Der Staat selbst gewinnt an Öffentlichkeit, ein Prozeß, für den die Presse geeignet umfunktioniert wurde. Öffentliche Gewalt in Form von Reglementierungen, Gesetzen, Beschlüssen, Steuerentscheidungen usw. wird in der Presse, in Salons, Kaffeehäusern und Klubs diskutiert, kritisiert und zur öffentlich sensiblen Sache gemacht. Durch die Revolution der Produktions- und Transportmittel, durch die massiven demographischen Verschiebungen und durch den Rückgang der Eigenversorgung wird die Abhängigkeit von überregionalen, nationalen und internationalen Märkten immer offensichtlicher, was steuerliche, marktrechtliche und grenztechnische Entscheidungen und Beschlüsse jeder Art mitunter zu wesentlichen Eingriffen in die privaten Haushalte gleichkommt. Das Interesse, die Bürokratie des Staates durch das Instrument der Presse zu beobachten und zu beeinflussen, Begünstigungen, Freiheiten und Zugeständnisse ihm abzuzwingen, liegt daher nahe. Öffentlichkeit wird so wie der Staat bürgerlich, wenn es auch noch eine lange Geschichte von Zensuren und Repressionen gegenüber der Presse und der raisonnierenden Öffentlichkeit geben wird, bis es zur Ausformung von relativ liberalen Demokratien kommen kann.
Eine der vielen Manifestationen von klassisch-bürgerlicher Öffentlichkeit stellt die “Leserevolution” - Friedrich Schlegel's Wortschöpfung - dar, an der auch die Nationalisierung von Kultur - Nationalliteratur, Nationaltheater, Nationalmuseum - ablesbar ist. Das wurde besonders in den unter Deutschland zusammengefaßten Territorien wichtig, auf das in diesem Absatz genauer eingegangen wird, obwohl auch in den anderen europäischen Ländern ähnlich Entwicklungen erkennbar sind. Die deutsche Aufklärung brachte eine Bildungselite hervor, die sich in ihren Idealen von der an Frankreich orientierten Aristokratie abgrenzte. Sie setzte sich aus höheren Beamten, Fachleuten, Ärzten, Professoren, Lehrern, Erziehern, Juristen, Theologen, Gelehrten, Verlegern und Unternehmern zusammen. Diese Berufsgruppen zeichnete eine erhöhte Mobilität, Verbeamtung, Privilegierung, eine relativ enge Verbindung mit dem sich modernisierenden Staat und ein erwachendes Interesse fürs Gemeinwesen aus. Die neue Öffentlichkeit mit den zirkulierenden Bildungsidealen der Aufklärung nahm für diese professionellen Staatsbürokraten und Beamten ab der 2. Hälfte des 18. Jahrunderts die zweckrationale Gestalt eines überregionalen, identitätsstiftenden Kommunikationsnetzes an, das nun deutschsprachig - nicht mehr nur französisch oder lateinisch - auf ein new anonymes Publikum wirken konnte. Die Verschriftlichung der Kommunikationsprozesse, die allgemeine Alphabetisierung des Volkes während des “Aufgeklärten Absolutismus”, die rasche Entwicklung eines zugänglichen Buchdrucks und Pressewesens und die Verbreitung von Stadt- und Landbibliotheken halfen dieser Leserevolution schnell auf die Beine. Eine allgemeine “Lesewut” - ebenfalls ein Wort der Epoche - entstand und unterteilte das Publikum in Leser mit “gutem” oder “schlechtem” Geschmack von “gescheiter Lektüre” oder “trivialer Unterhaltung”. Sociale, finanzielle und erziehungsspezifische Unterschiede werden im Bereich der Ästhetik ausgetragen . Darüber wurde heftig und öffentlich diskutiert. Die Lektüre und die damit sich konstitutierenden Kommunikationsprozesse bescherte jedem, mehr oder weniger unabhänig von Stand, Vermögen, Religion und Staatszugehörigkeit die Teilnahme an der zur Dominanz werdenden bürgerlichen Öffentlichkeit. Die damit zusammenhängende Sozialisation der lesenden Bildungsbürger garantierte eine gewisse Homogenität dieser Schicht, die sich in zahlreichen Lesevereinen, Sprachgesellschaften, Aufklärungszirkeln und sehr bald auch in patriotischen (Bildungs)institutionen vereinsmäßig organisierten. Sie bekamen somit eine nicht mehr zu ignorierende öffentliche Mitsprache und Macht.
Was jedoch Öffentlichkeit bedeutet wandelt sich ständig mit der Öffentlichkeit von Macht, seinen Organen, Instituionen und Medien. Öffentlichkeit ist nicht Gewalt oder die Grenze von Gewalt selbst, sondern Medium von Gewalt und Herrschaft, allerdings ein Medium, in dem sich der Charakter von Gewalt und Herrschaft selbst reflektiert, verändert und kontrolliert. Die Wortgeschichte selbst ist interessant: “Public” heißt in England zuerst “common good”, das Gemeingut einer Gesellschaft. “Private” heißt bis ins 17. Jahrhundert privilegiert und bekleidet mit einem hohen Regierungsamt. Erst ab dem 18. Jahrhundert entsteht eine Opposition von “Public”, öffentlich und “Private”, privat im heutigen Sinne. In Frankreich ist es “le public”, das sich vom Allgemeingut zum elitären Theaterpublikum des 17. Jahrhunderts gewandelt hat. Public life, öffentliches Leben unterscheidet sich im 18. Jahrhundert insbesondere vom privaten Leben. Das öffentliche Leben hat einem zivilen und das private einem natürlichen Code zu entsprechen, hinter dem die Familie steht. Das Grimmsche Wörterbuch kennt ab dem 18. Jahrhundert das eingebürgerte Wort “Publikum”, das auf ein urteilendes Lese- oder Theaterpublikum verweist, dessen Urteil Publizität, Öffentlichkeit gewinnt. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gibt es auch die “öffentliche Meinung”, die dem englischen “public opinion” nachgebildet ist. Heute sind die Bereiche öffentlich und privat sehr komplizenhaft ineinander verwoben. Arbeit und Gesundheit werden als privat deklariert, obwohl der Stand um diese wesentlichen Bereiche von öffentlichem Interesse ist und von öffentlichen, politischen Entscheidungen abhängt. Umgekehrt werden politisch öffentliche Diskussionen durch soap opera ähnliche Enthüllungen der privaten Sphäre von Politikern verdrängt. Die raisonierend Öffentlichkeit wird konsumiert und abhängig gemacht von politischenSkandalen mit Footage aus Politikerleben. Damit sollte jedoch keiner Konspirationstheorie das Wort geredet werden.
Adorno sieht in Öffentlichkeit etwas, das nicht bereits gegeben ist, sondern erst hergestellt werden muß, wobei ihr immer etwas Beschränktes, von materiellen Interessen der Institutionen Abhängiges anhaftet. Dieses Herstellen von Öffentlichkeit, dieses Produzieren und Garantieren von öffentlicher Meinung ist wesentlich für eine funktionierende Demokratie, eine transparente Politik und unterrichtete Staatsbürger. An dieser Produktion sind aber auch Industrien beteiligt, die mit anderen als demokratischen Interessen zusammenhängen. Einerseits ist es die Medienindustrie, die Informationen sammelt, produziert, aufbereitet und interpretiert, andererseits sind es Mechanismen, die mit dem Wort Lobbying als ein Manipulieren und Erwerben von politischem Einfluß nicht komplet erfaßt sind. Entscheidungen, die das soziale Miteinander und Wohlbefinden angehen, werden mehr und mehr auch im nicht-transparenten wirtschaftlich-korporatistischen Bereich getroffen und von politischer Einflußnahme direkt oder indirekt abgeschottet. Neoliberalistische pseudo-freie Marktgesetze mit internen Entscheidungsgremien in Konzernhochhäusern und in ihren virtuellen Konferenzräumen sollen immer mehr ersetzen, was einst politische Willensbildung zu verantworten hatte. Öffentliche Plattformen werden verdrängt und laufen Gefahr, zur Farce zu verkommen. Die staatlich-öffentlichen europäischen Sozialversicherungen z. B. müssen ihre Bedingungen anders handhaben als die privatrechtlichen, die an den Börsen öffentlich notieren. Habermas konnte vor 40 Jahren noch beklagen, daß sich die verstaatlichten Bereiche der Gesellschaft und die vergesellschafteten Bereiche des Staates ohne politisch räsonierendes Publikum durchdringen und so das als kritisch gedachte Publikum von Institutionen und Interessensvertreter ersetzt. Heute jedoch liegt die Gefahr weniger in der Bürokratie des Staates, sondern darin, das der Staat selbst sich bis in seine letzten Funktionen privatisiert und öffentliche Kontrollinstanzen nicht nur unmöglich und sinnlos werden. Der Rationalisierung politischer Entscheidungen wird kaum mehr eine Form von Öffentlichkeit abverlangt, zugemutet oder anvertraut. Im besten Falle werden sie durch nicht-öffentliches Lobbying erkauft, erzwungen, ein Prozeß, der durch die verschieden interpretierbaren Ergebnisse von Öffentlichkeitsumfragen unterstützt wird.
Was als Zerfall der Öffentlichkeit beschrieben wird ist ein wesentlicher Wandel der bürgerlichen Öffentlichkeit, die aus dem kritischen Publikum passive Konsumenten, ausbleibende Wähler und TV-Einschalter macht, die mittels Werbeindustrien umworben und manipuliert und in Meinungsforschungsinstituten hochgerechnet werden. Publizität, Presse und Medien werden kaum mehr nur von einer Sphäre der kritischen Öffentlichkeit bestimmt. Immer mehr ist es eine manipulative und manipulierte Öffentlichkeit, die mehr die Interessen der internationalen Konzerne und ihrer Aktionäre spiegeln. Das Kapital hingegen wird jedoch öffentlich an Börsen. Medienkonzerne sind oft transnationale Megaindustriekomplexe, die Kritik und Räsonnement selbst als Ware kalkulieren, in Umsatz- und Einschaltziffern denken und deren Aquisitations- und Firmenübernahmepolitik keine Interessenskonflikte kennt. Das manifecturing of concens in news shows und talk shows ist in seiner Materialaufbereitung bis ins Detail kalkuliert, dem in Kaufkraft unterteilten Massenpublikum angepaßt und in eine entpolitisierte Medienlandschaft aus Werbung, Information und Unterhaltung integriert. Es ist frappierend zu beobachten, wie selbst kulturelle und private Bereiche, die in keinem direkten Zusammenhang stehen mit TV-Programmen und Massenabsatzmärkten, vom Druck der Logik von Einschaltquoten, Besucher- und Verkaufszahlen, Umsatzhochrechnungen und Medienpräsenz dominiert werden. Pierre Bourdieu hat in seinem bezeichnenden Buch zu den Auswirkugen des Fernsehens genau jene Mechanismen untersucht, mit denen die Massenmedien sich auf die Aktionen und die Psychologie von Akteuren der als autonom gedachten kulturellen, intellektuellen und wissenschaftlichen Bereiche auswirken. Auf den provokanten Punkt gebracht, weist Bourdieu nach, wie Autoren und Wissenschaftler dazu gebracht werden, Bücher nur noch zu schreiben, um in TV-talkshows eingeladen zu werden, die sie dann mit Vorliebe analysieren. Kulturelle Produkte, die durch ihre Inhalte, ihre Produktions- und Rezeptionsstruktur für das Format Massenmedium, Spektakel und unmittelbare, nicht-akkumulative Aneignung ungeeignet sind, bleiben auf der Strecke. Event- und Spektakelsperrigkeit schmälern die Chancen der Erreichung der verlangten "kritischen" Masse an Publikum für deren Progamme. Analog dazu nimmt das soziale Phänomen des Stalkings, das Bedrängen von Medienstars aus Gründen der rabiaten, hysterischen Überidentifikation und Aufmerksamkeitsaneignung verstärkt zu. Selbst individueller Lebenssinn scheint sich nur noch durch (egal welche) Medienpräsenz zu rechtfertigen, was schlußendlich jede Privatsphäre aushöhlt. To be, is to be in the media, in einer der in Myriaden gesplitterten Scheinöffentlichkeiten. Öffentlichkeit oder was noch davon übriggeblieben ist, haftet somit ein repressives, manipulierendes Moment an, insofern es nicht die Interessen eines kritischen Publikums repräsentiert, sondern ein solches viel eher zersetzt.
Richard Sennetts Verständnis von Öffentlichkeit ist eines, das weniger die rechtlichen, medialen und ideologisch-politischen Aspekte dieser Kategorie unterstreicht, sondern mehr die praktischen, phenomenologischen Dimensionen herausarbeitet. Er versucht, eine Konzeption von Öffentlichkeit zu konstruieren, die von den Zwängen, dem “Terror der Intimität” der funktionsentlasteten, autoritätsgeschwächten Familie sich lossagt. Öffentlichkeit wird als ein quasi-ästhetischer Ort gesehen, in dem die Sinne frei sind, wo die “Arbeit der Augen” und das Schweigen sich entfalten kann und die Menschen nicht den Gesetzen der Transparenz, Zweckrationalität und Konsumption unterworfen sind. Sennett artikuliert als Urbanist eine sehr spezifische Kritik am Städtebau, am Layout von Architektur und ihrem Gebrauch. Wie Habermas und Kluge/Negt, die schon von “öffentlichen Konsumptionsbastionen” sprechen, sieht auch Sennett im Zusammenfall von Öffentlichkeit und Konsumption in Shopping-Zentren und Einkaufszonen ein Problem, das bei den Deutschen eher ideologisch-politisch - Stichwort Scheinöffentlichkeit, Scheinfreiheit, Versachlichung, ökonomische Abhängigkeit usw. - und beim Amerikaner eher psychologisch-praktisch analysiert wird. Ungenutzte Stadtflächen und öffentlicher Raum verschwinden und verwandeln sich verstärkt zu Verkaufs- und Werbeflächen, die oft gekoppelt sind an Unterhaltungs- und Rekreationsindustrien. Öffentlichkeit als Themenpark, als Shopping-City, als BigMac Diplomatie . Die meisten U-Bahnstationen und Bahnhöfe in Tokyo z. B. sind Einkaufszentren, kilometerlange verlockende Shopping-und Konsumlabyrinthe, wo Boutiquen und Einkaufszentren mit Spielsalons (Patchinkos), Bars, Clubs, Kinos, Diskothequen und vielen anderen Unterhaltungszonen alternieren. Die faszinierend-oppressive Überblendung von Archtiktur, Stadtlandschaft, Medien und Waren entspricht einer Wunschökonomie, die ihre Rohstoffe nicht aus den blossen Bedürfnissen, dem zwangslosen Kommunikations- und Austauschverlangen der Leute bezieht, sondern aus Effekten von Konsumptionsdruck, omnipräsenten Werbekampagnien und alternativlosen Angebotsmonopolisierungen. Sein ist Shopping - shopping als omnipotentes Paradigma der Gegenwart, das nicht nur die Warenwelt erfaßt, sondern auch alle Serviceleistungen inklusive Erziehung, Gesundheit, Reisen, Wohnen, Leben und Lieben.
II
Wenn es um Medien geht, neigen Autoren und Kommentatoren sehr leicht zu totalisierenden Einschätzungen, die kapitulierend keinen Raum mehr lassen für Alternativen und neuen Formen von kritischer Öffentlichkeit, die das Verschwinden der bürgerlich-literarischen Öffentlichkeit nicht bedauern und das US-Präsidentenlied der transkapitalistischen, neoliberalen “neuen Weltordnung” anders anstimmen. Bevor sich das Bürgertum nach der Niederschlagung der Märzrevolten von 1848 gegenüber den besitzlosen, unausgebildeten, nur auf Manifakturarbeitskraft reduzierten, verarmten und sozial entwurzelten Massen konsolidieren konnte, entwarf Karl Marx eine politische Vision, derzufolge ökonomisch-soziale Konflikte sich in eine politisch-revolutionäre Öffentlichkeit übersetzen würde. Zur umgefähr selben Zeit verwandelten sich auch Teile der Öffentlichkeit in repressive Herrschaftsinstrumente, die Gegenöffentlichkeiten provozierten und unterdrückten. Habermas spricht in der Einleitung zu seinem Entwurf zu der zur Dominanz gelangten bürgerlichen Öffentlichkeit auch von einer “plebejischen Öffentlichkeit”. Dieser nehmen sich vorallem Oskar Negt und Alexander Kluge an in ihrem Buch von 1972 mit dem Titel “Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit” an. Kluge und Negt rekonstruieren die Dialektik der zum Fetischcharakter gewordenen, substantielle Lebensinteressen ausgrenzenden Öffentlichkeit und entwickeln einen materialistischen Begriff von Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit. Sie sehen in Öffentlichkeit einen Kristallisationspunkt von Erfahrung und Ideologie, die von den neuen Produktionsöffentlichkeiten der Bewußtseins- und Programmindustrien, Werbung, Öffentlichkeitsarbeit der Konzerne und Verwaltungsapparate überlagert wird. Die beiden Autoren untersuchen die Möglichkeit, der “herrschenden Klasse die Benutzung des Staates streitig zu machen” und den Gebrauchswert von Öffentlichkeit für Arbeiter und andere unterrepräsentierte Gruppen zu hinterfragen und Öffentlichkeit als fundamentales gesamtgesellschaftliches Bedürfnis zu erklären.
Kluge/Negt liefern eine leider zu wenig beachtete Geschichte von Protestbewegungen und kommunikativen Gegensystemen der letzten 200 Jahre, die wirksame Gegenöffentlichkeiten erzeugten. Dazu zählen u. a. Gewerkschaften, Streiks, illegale Versammlungen, Demonstrationen, Aufstände, Revolten, Fabriksbesetzungen, Studentenbewegungen, Bildungs- Schutz- und Kampforganisationen von Arbeitern, Arbeitslosen und Studenten, die Formation von Frauengruppen, Anarchisten und Pazifisten, Leseclubs und informelle Lesegruppen einer revolutionären Autodidaktenkultur, Arbeiterzeitungen, und jede Art von autonomer Kommunikationsstruktur, die von der kapitalistischen Waren- und Gewinnproduktion unabhängige Verkehrsformen hervorbrachten. Das Buch versammelt ein beeindruckendes Material zu diesen Gegenöffentlichkeiten, das auch die Kämpfe um Kommunikationsrechte, Pressefreiheit, freie Rede und Versammlungsrecht seit dem Ende des 18. Jahrhunderts faktenreich angeführt und analysiert. Sehr detailliert sind hier bekannte historische Protestformationen und vergessene Protestbewegungen wie z. B. die Shop Steward-Bewegung in ihrer Entwicklung, Taktik, Wirkung und ihren Gegenreaktionen geschildert. Diese englische Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts schuf autonome Widerstandskerne gegen das Kapital und gleichzeit auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie, die in ihrer Scheinöffentlichkeit wirkungslos war, weil sie von der Basis der wirklichen Selbsterfahrung abstrahierte. Diese Shop Steward-Bewegung folgte auf das Scheitern der Chartistenbewegung, die versuchte, das Ganze der Nation sozialrevolutionär als proletarische Öffentlichkeit zu konstitutieren und die Waren-, Kaptial- und Industriegesellschaft an sich in Frage zu stellen. Dieser sozialrevolutionäre Impuls ist auch dem Buch von Negt, Kluge eingeschrieben, die feststellen, daß die geschichtlichen Niederlagen der Arbeiterbewegungen mit der Erfahrungslosigkeit und Ungeschicktheit im Umgang mit der bürgerlichen Öffentlichkeit zusammenhängt. Im Gegensatz dazu konnte der Faschismus Hitlers die Medienorgane der bürgerlichen Öffentlichkeit für sich komplet aneignen, weiterentwickeln und als multimediale Propaganda instrumentalisieren.
Kluge, Negt analysieren Erfahrung und Öffentlichkeit als Gegenstand einer dialektisch verstandenen, gesellschaftlichen Produktion von Lebenszusammenhängen. Produziert werden nicht nur Waren und monitarisierbare Leistungen, sondern produziert werden auch Erfahrungen, Lebenszusammenhänge, Gemeinwesen, Wertzusammenhänge und Öffentlichkeiten, die Sprache, Vorstellungen und Repräsentationen von Geschichte und Gegenwart umfassen. Die relevanten Unterscheidungen in dieser Produktion sind nicht so sehr öffentlich und privat, sondern Ausgrenzung und Einbeziehung, Repräsentation und Nicht-oder Mißrepräsentation. Gegenöffentlichkeiten entstehen folglich um diese Ausgrenzungen, Mißrepräsentationen und Scheinöffentlichkeiten, denen zusätzlich der Widerspruch zwischen den kaptialistischen Produktionsinteressen und der gemeinverbindlichen, gewaltfreien Legitimation aufgestempelt ist.
Diese Forderungen nach Einbeziehung und Repräsentation sind insbesonders von den Intellektuellen ethnischer Minderheiten aufgenommen und zu einer aktiven Repräsentationspolitik artikuliert worden. Die Vorstellungswelt und die Erwartungshaltungen gegenüber z. B. Afrikanern, Arabern und Asiaten sind in der westlichen Welt Produkte einer langen Geschichte von Mißrepräsentationen, die in exotischen, eurozentristischen und rassistischen Erzählungen, Reportagen, Geschichsschreibungen und Analysen im Zusammenhang mit einer aggressiven imperialistischen Kolonisations- und Neokolonisationspolitik konstruiert wurden und weiterhin in geschwächter Form perpetuiert werden. Gegenöffentlichkeit entsteht hier in der Ablehnung von stereotypischer, diskriminierender Öffentlichkeit. Der Kampf um eine einbeziehende tollerante Öffentlichkeit ist heute ein Kampf um die Massenmedien und ein Kampf in den Medien. Deshalb gehören heute Medienkonzerne zu den volumenstärksten und einflußreichsten Kapitalkonzentrationen, mit deren Instrumenten Politik gemacht wird. Obwohl der Medienindustriekomplex so intensiv ist, lassen sich immer wieder punktuell Alternativen und Resistenzen ausmachen. Erinnert sei hier nur an das sogenannte “Town Meeting” der amerikanischen Regierung am Universitätscampus von Ohio, das mit CNN im Zusammenhang mit einer geplanten militärischen Intervention im Irak im Februar 1998 in die ganze Welt übertragen wurde. Diese Show war beispielshaft dafür, wie ein geplantes öffentliches Spektakel für die Propaganda von Krieg unter dem Deckmantel von scheindemokratischer öffentlicher Diskussion durch das gut orchestrierte, politische Engagement von Studenten und Professoren vor laufenden Kameras in eine Protestaktion verwandelt wurde. Die sehr eloquenten und aggressiven Protetsterklärungen der individuellen Sprecher und die tumultähnlichen Störungen haben einen der Regierungsintention entgegengesetzen Effekt gehabt, der wieder nur in den Medien geschaffen wurde, aber zu einer Konsolidierung der Front zur Ablehnung eines zweiten Goldkrieges mitgeholfen hat.
Wie dieses CNN Beispiel zeigt, können Gegenöffentlichkeiten situations- und ereignisbezogenen sehr spontan, unerwartet und effektiv sein. Gegenöffentlichkeiten müssen nicht immer nur logistisch geplant und orchestriert werden und auch nicht immer nur ideologischem Fraktionsdenken entsprechen. Wenn eine zynische Historiographie vom Ende der Geschichte spricht, so interpretiert sie nicht nur die Gegenwart fälschlicherweise als unfähig zu konsequenzfähigen Aktionen und Reaktionen, die historiographisch notierbar sind, sondern überschätzt auch den spontanen, unkoordinierten und unheroisch-alltäglichen Charakter von jenen Ereignissen, die in historische Daten sich übersetzten. Massenveranstaltungen, Klassenkämpfe, Fabriksstürmungen, die Erschießung eines Thronfolgers oder das Verbrennen von Büchern sind in ihrer phänomenologischen Faktizität ähnlich structuriert als Botschaftsbesetzungen, die Erstürmung von Grenzmauern, das Besetzen von Häusern und Flugzeugen, das Ausbomben von Abtreibungskliniken, Assylantenhäusern oder Bagdad. Die Menschen werden immer ihre eigene Geschichte machen und sie selber gemäß ihren Bedürfnissen und Interessen schreiben, neuschreiben und einklagen. Selbst jene Gruppen, die konsumorientiert scheinkritisch sich in rabiaten und pseudorabiaten Jugendkulturen und musikamplifizierten, modebewußten Bewegungen manifestieren, haben ein Moment von verändernder Gegenöffentlichkeit an sich. MTV zählt zu den wichtigsten Öffentlichkeitsorgangen, die Bilder des Jung- und Andersseins weltweit, länder-, sprachen-, kultur- und klassenübergreifend kreieren, besetzen, ausstrahlen, zur Konsumption anbieten und verkaufen. Aber auch innerhalb dieser Megakanäle sind Alterität und Resistenz möglich. Ihre Effekte zumindest, die man leicht kritisch als domestizierend, repressive und unkritisch analysieren kann, sind nicht so einfach auf einen Nenner zu bringen, obwohl es zutrifft, das TV- und massenmediale Öffentlichkeit dazu tendiert, den Menschen was zu servieren, was sie nichts angeht und ihnen vorzuenthalten, was sie was anginge.
Die Korrelation von Kritik und Konsum ist kompliziert, kryptisch, kurios, korrupt und kontradiktorisch. Denn einerseits bedarf auch Kritik und Negativität als Voraussetzung von Gegenöffentlichkeit eines Mediums, das in den meisten Fällen Warencharakter aufweist und in der derzeitigen Verteilungslogik aufweisen muß, wenn es effektiv sein will, andererseits aber liegt gerade darin die Gefahr, daß Raisonnement nur zum konsequenzlosen Konsum verkommt. Das ist das Schicksal der meisten jungendlichen Protestbewegungen, die ab einem kritischen Punkt das Etablissment unterhalten, mit radikalem Chique dekorrieren und wieder frisch legitimieren. So leben z. B. in Genf die wohlerzogenen illuminierten Jugendlichen vorwiegend in großbürgerlichen, besetzten Häusern, was die Hausbesetzer selbst aus Gründen von Erstbenutzeransprüchen gegenüber anderen Besetzergruppen sofort der Polizei melden. In nicht seltenen Fällen werden mit der Besetzung sofort auch Fonds für die später käufliche Übernahme dieser renovierungsfähigen Wohnkomplexe angelegt, die die jungen studentischen Hausbesetzer in Hausbesitzer konvertiert. Mit den ästhetischen Geschmacksformationen, die wesentlich sozial determiniert erfahren werden, steht es nicht viel anders. Aus kleinen produktiven Protest- oder Alternativgemeinschaften werden sehr schnell multimediale Massenmärkte, die selbst Piercing, das Durchdringen von ungewöhnlichen Körperteilen - einschließlich primärer und sekondärer Geschlechtsteile - mit Metal, einst nur in kriminellen Kreisen beobachtbar, nun zum modischen Accessoire domestiziert. Guy Debord spricht jeder Form von Spektakelkultur Kritik und Autentizität ab. Er tendiert dazu, fast jede kulturelle oder gegenkulturelle Aktivität totalisierend dem Spektakel zuzurechnen. Die Position der Frankfurter Schule ist ebenfalls eher ablehnend gegenüber jeder Form von Massen- und Popkultur, wogegen Adorno's Schriften sich viel widersprüchlicher, dialektisch aufgeriebener lesen als allgemein repetiert und zusammenhangslos zitiert wird. Zumindest war ihm die sogenannte “Low culture” gut genug und geeignet, sie gegen die Ansprüche und Realität einer Hochkultur aufzuhetzen, die er ihrer Komplizität mit dem Bösen, dem Barbarischen und schier Dummen nicht aufhört, bloßzustellen und anzuklagen.
Der Industrialisierung der Verteilung, Rezeption und Konsumption von Information sind durch die avancierte Technologie kaum kaum mehr Grenzen gesetzt., was auch gegenkulturelle Impulse über ein global gespanntes Kommunikationsnetzwerk verbreiten läßt. Neben dem Internet multiplizieren sich eine Unmenge beinahe produktionskostenfreier, qualitatif leistungsfähiger Babymedien. (photocopiers, silkscreens, hand held video, audio tape dubbing to cd burning, software distribution, beepers, cellular phones, instant messaging technologies, digital audio-visual imaging, and you name it.) Darin liegen auch Chancen, den puren Konsum in all seinen Aspekten aus den Massenmedien heruas subversiv und gegenspektakulär unterlaufen zu können. For example, MTV started out in the 80s as an all white music channel that refused black artists, something that has changed drastically, in the 90s presenting inner city ghetto gangster rap artists and their violent and counter messages. Audivisuelle Daten sind nun verlustfrei übersetzbar in digitale Informationsbündel, die durch revolutionäre Technolgien sich beinahe endlos und grenzenlos komprimieren, speichern und für einen simultanen und globalen Empfang übertragen lassen. Interessant ist, wie hier aufgrund von Interessens- und Technologiesharing autonome Quasiöffentlichkeiten entstehen, die selbst rechtliche Standarts ins Schwanken, wenn nicht gleich in obsoleten Anachronismus versetzen. Individuelles CD-Brennen und Vertreiben, kostenfreies Internet-TV, Internetkonferenzen und Internet-Telephon, sogenannte Mailinglists, hacking und spaming usw. sind nur einige Beispiele dafür.
Gegenöffentlichkeiten stellen sich auch durch Praktiken her, die eine Mischform von symbolischen und zweckorientierten Akionen sind. Ziviler Ungehorsam z. B. kann sehr viele Dimensionen annehmen. Er kann friedlich verlaufen, aber auch in Gewalt und Zerstörung enden, was meistens dann der Fall ist, wenn Polizeigewalt untollerant vorgeht. Berühmt und beachtlich sind die Taktiken und Erfolge dieses relativ friedlichen und relativ legalen zivilen Ungehorsams in den 60iger, 70iger und 80iger Jahren in Europa und in den USA in Bezug auf pazifistische (vom Vietnamkrieg, bis zum Golfkrieg), ökologische (Anti-Atomkraftbewegungen, Regenwald, Ölplattformen, Staustufen, usw.) und humanitäre, anti-diskriminierende (Aids-Kriese, Black Liberation, Rassismus, Feminismus, Homosexualitätbelange, Polizeigewalt, Tierschutz etc.) Forderungen. Noch berühmter aber sind jene Gruppierungen, die durch die Brutalität der Polizei und die damit zusammenhängende Radikalisierung ihrer Ideologie und Vorgangsweise sich zum Terrorismus wandten. Eine neue Form von wirksamer und gewaltsamer Gegenöffentlichkeit war so seit den 70iger Jahren in Deutschland, Italien, Palästina, Japan, ßden USA und anderen Orten entstanden, die wesentlich die Berichterstattung der Massenmedien für ihren politischen Kampf zu instrumentalisieren versuchten. Der Terrorismus war aber nicht nur ein Insturment für linke Befreiungskämpfe, sondern spielte auch sehr schnell eine Rolle für den konfusions, angst- und oppressionsstiftenden Rechtsradikalismus. Unziviler Ungehorsam und rechter Terrorismus wird auch heute von radikalen Reaktionären bestens beherrscht, mußt man nur an die Bombardierung von Abtreibungskliniken und Postämtern in den USA erinnern. The issue of terrorism and its multifaced appearance all over the world is so complex that it cannot be thoroughly discussed here.
Die neuen Medien haben neue Formen von digitalem Ungehorsam auf den Plan gerufen, der ein weites Spektrum von Interventionen in Netzwerken und Datenbanken umfaßt. Hacking ist nur eine Form von ungewünschtem und illegalem Eindringen in geschützte Dateninfrastrukturen, die die Öffentlickeit was angeht. Digitaler Aktivismus unterscheidet sich von profitorientiertem oder trophäenorientiertem Datenplündern dahingehend, als es versucht, mit elektronischem Aktionen ("Hacktivism") kritisches Bewußtsein gegenüber Fragen von Sicherheitsproblemen und Datenöffentlichkeit zu sensibilisieren. Es können elekronischer Aktivism und Interventionen, die von Informationsblockaden, Informationsstörung (spam), Informationsveröffentlichung bis zur Datenzerstörung reichen, direkte politische, ökologische und andersweitige Folgen bewirken. Sicherlich ist die elektronisch-digitale Öffentlichkeit und ihr globalverspanntes Universum und Infokriege nicht nur die Inspiration für neue Hollywood-Schauplätze - kein James Bond Film ohne elektronischen Kampfplatz - , sondern auch der Ort, wo neue Gegenöffentlichkeiten entstehen, um auf die dominierende Öffentlichkeit und ihr politisches Netz verändernd einzuwirken. Digitaler ziviler Ungehorsam wird mit einer Vielfalt von kreativen und hybriden Strategien der neuen globalistisch-technologischen, politisch-ökonomischen Landschaft gerecht werden müssen und zur Schaffung von kritischen, elektronisch vermittelten, aktiven Gegenöffentlichkeiten beitragen. Wesentlich wird jedoch sein, daß aktive und effektive Gegenöffentlichkeitsschaffung sich des gesamten Spektrums der traditionellen und digitalen Medien und Strategien bedient und so der heutigen hybriden Natur von Macht, Kaptial, Politik und Militär etwas entgegnen kann.
III
This essay starts with Öffentlichkeit - public discourse/sphere - and then continues with Gegenöffentlichkeit - counter-public discourse/sphere. Now I would like to discuss what I call Doppelöffentlichkeit, the world's double on the internet.
Das Internet zählt zu den avanciertesten Formen eines Komplexes von elektronischen Medien mit Öffentlichkeitscharakter. Es wurde während des Kalten Krieges als mobile, nomadische, nicht-hierarchische Informationsinfrastruktur für die Kommandozentralen des US-Militärs entwickelt, die Netzausfälle durch Informationsumleitung ohne Informationsverluste verkraften hätte können. Bald wurde es auch für wissenschaftliche und universitäre Benutzer zugänglich gemacht, denen
eine kreative Schicht von bunten Usern nachrückte, die vorerst keine anderen als informative, expressive und persönliche Zwecke verfolgte. Parallel zum Massenmarkt von relativ erschwinglichen hochleistungsfähigen Kleincomputern entwickelte sich so eine schnelle und intensiv kommunizierende Cyberkultur, die sich als alternativ, kommerzfrei, kritisch und postmodern verstand. Das aber sollte nicht heißen, daß es nicht auch eine Unmenge von rechtsradikalen und unsozialen Rattenschwänzen, sowie frühe Marketinghengste und polizeiliche Kontrollinstanzen ebenfalls ins Netz anzog. Utopien eines neuen digitalen Zeitalters haussierten wie heute die Aktion von Internetfirmen und die potentiell egalitären, demokratischen, öffentlichen Qualitäten des Mediums wurde naiv gepriesen und gefeiert. Mit der rastlosen Verbesserung der Soft- und Hardware wurden neue businessorientierte Karrieren am Horrizont gesichtet und eingelöst. Heute ist das Internet zum weltumspannenden Informationsarm der transkapitalistischen Welt für jeden nur denkbaren Zweck
geworden. Allerdings werden nicht mehr technophile Hallo-Sätze und Pixelgraphiken von entzückten Studenten und Künstlern zwischen Sydney, Hallifax, San Diego, Wien und Budapest in großangekündigten Kommunikationsevents und stundenlangen Technopannen ausgetauscht. Heute tummelt sich vielmehr am Internet eine corporate world mit ihren Produkten und Serviceleistungen. E-Shopping, E-banking, E-Banking, E-Weiterbildung, E-Unterhaltung und E-Kommunikation werden genauso konsumiert wie elektronische Industriearbeit und jede Form von Geschäft, also business as usual. Es gibt kaum eine US-Firma, die keine Web-site hat oder am installieren ist. Auch individuelle Benutzer ziehen es immer mehr vor, still elektronisch mit Modem zu kommunizieren. Die Welt der Waren, Serviceleistungen und Informationen hat sich im Internet verdoppelt.
So wie heute Einkaufszentren und Unterhaltungsparks Öffentlichkeit herstellen, so darf man im Zusammenhang mit dem Internet von Doppelöffentlichkeit sprechen. It is a corporate Doppelgänger that doubles every imaginable business environement on line. Um einen deutschen Historiker des 19. Jahrhunderts zu paraphrasieren, Ranke, sind am Netz technologisch alle gleich weit von Gott entfernt. Jeder Teilnehmer kann seine Webseite ohne großen Aufwand installieren. Jede Adresse am Netz ist unabhängig von der lokalen Distanz erreichbar. Eine Unmenge von Daten zum gesamten Wissens-, Informations-, Unterhaltungs- und Service- und Warenspektrums sind on line und virtuell beziehbar, abrufbar, einsichtbar, kaufbar. Cypergurus und Medienutopisten brachen sehr schnell und blind in eine Zugangs- und Abrufseuphorie aus. De facto aber steht es um diese neuen Technologien sehr problematisch. Halbe Kontinente sind kaum mit Telephonleitungen versorgt und sind weit davon entfernt, den relativ teuren Zugangskriterien der notwenigen technologischen Infrastruktur zu entsprechen. Die Unterschiede sind aber auch innerhalb eines gegebenen technologischen Kontexts markant. In den USA, wo das Internet von Regierungsseite und der Wirtschaft als Handelsmaschine und Demokratiewerkzeug propagiert wird, existiert ein disproportionales Benutzerverhältnis des Internets zwischen Blacks und Whites. Nicht nur verfügen die einen über merklich weniger Computer und über dramatisch weniger Internetzugang als die anderen, selbst dort wo Computer und Internetzugang vorhanden sind, werden sie weniger benutzt. Die Kluft verschlimmert sich noch im Spiegel der Einkommen. Je geringer das Einkommen der verglichenen Population, desto größer die Diskrepanz. Diese Vergleiche sind insbesonders signifikant, als diese technologischen und informativen Unterschiede gesellschaftliche, ökonomische, informative, geschlechts-, ausbildungs- und berufsspezifische Disqualifiaktionen nach sich ziehen. Werbeplakate und TV-spots geben nur noch ihre URL Adressen an. Banken rechtfertigen in den USA das Schließen von nicht-intensiv besuchten Branchen mit dem Argument, daß der Großteil ihrer Service on line abgewickelt werden kann.
Öffentlichkeit ist somit mit diesen Technologien trotz ihres Potentials nur partiell gegeben. Sie wird nur dort eingelöst, wo ökonomische und soziale Bedingungen jedem die gleichen Chancen einräumen, die notwendigen Zulassungskriterien zu erfüllen, etwas, was mit dem Internet und der gesamten Technologisierung der Gesellschaft de facto nicht garantiert ist. Öffentlichkeit als kritisch, radikal demokratische Kategorie ist nur dann eingelöst, wenn sie mit dem allgemeinen und faktisch gleichen Zugangkriterien für alle garantiert ist. Was staatliche, fiskale und polizeiliche Reglementierungen angeht, so ist bis dato das Internet aus praktischen Gründen relativ unbelastet, was sich wahrscheinlich mit der völlig abgeschlossenen technologischen, ökonomischen und sozialen Etablierung ändern wird. Änderungen dieser Politik sind schon programmiert und werden täglich verstärkt.
Abgesehen vom Internetzugang, der soziale, ökonomische, kulturelle, sexelle und ethnische Unterschiede wieder neueinschreibt, hat sich auch die Qualität der Information am ursprünglich stillen elektronischen Netz über die wenigen Jahre selbst verändert. Es wurde laut. Aus einer textorientierten, relativ simplen Interface-Landschaft, die meistens aus nichts anderem als dialogorientierten Bulletin Boards bestanden, hat sich ein lautes, multimediales, vieldimensionales Megaspektakel entwickelt, das sowohl den Bedürfnissen von spezialisierten Nuklear- oder Tierforschern, den Erfahrungs- und Dialoggruppen von Wartenden auf Spenderorgane oder Flugtickets als auch denen von ungewöhnlichen sexuellen oder religiösen Praktiken in sekundenschnelle entgegenkommt. Das prinzipiell demokratisch und dialogartig strukturierte Informationsnetz, das als wirkliche Basis zu einer partizipatorischen und kritischen Öffentlichkeit taugte, transformierte sich zu einem konsumerorientierten neoliberalen Bazaar, dessen Teilnehmer isolierter als je zu vor Service und Waren gegen Kreditkartennummern und Geheimcodes austauschen. Aus dem statistischen Material entstehen individuelle Profile.
Auch dort, wo keine Kauf- oder Konsumverhältnisse direkt angestrebt werden, haben sich die Hierarchien der Wünsche und Angebote der nicht-elektronischen Welt nur verdoppelt. Auch hier darf von Doppelöffentlichkeit gesprochen werden. Denn es sind die großen Medienverbände und Konzerne, die am Internet die meisten Mausklicks zählen. Sie sind diejenigen, die grenzenlos all jene Initiativen und Firmen aufkaufen, die als content provider oder Stoffanbieter, irgendwo auf deren Bildschirmen pulsieren. Mit diversen Strategien wird versucht, das angenehme komplexe Chaos der namenlosen Vielfalt wieder in die übersichtlichen, konsumentenfreundlichen, langweiligen Blöcke der altbekannten Megaanbieter mit Autobahnzufahrten (portals) überzuführen. Große Namen, großer Umsatz, große Übersicht, großer Verbindungen und großer Ausschluß. Via portals wird den Massenkonsumenten nicht nur der Einstieg in das gigantische Konsumentenuniversum erleichtert, sondern auch shopping-mall-ähnliche Orientierungen und Links zu anderen bekannten Großanbietern vorgegeben. Konkurrenten, deren Adressen nicht schon in die Einstiegslandschaft eingeschrieben sind, bleiben auf der Strecke. Absatz- und konsumkonditioniertes Verhalten läßt nur überleben, was sich marktgerecht tummelt. Partizipatorische Kommunikationsprojekte, die sich an kritischen Diskursen orientieren und von der Teilnahme und den textuellen Beiträgen ihrer unbezahlten Leser-Schreiber abhängig sind, haben es schwerer, Alternativgemeinschaften zu erzeugen.Creating communities in a new diasporic electronic public sphere must be a viable, desirable and liberating alternative, bringing together individuals and groups that until the arrival of the internet couldn't communicate due to spacial, social, temporal and communicative barriers.
Die Topik Öffentlichkeit gewinnt am Internet und anderen digitalen interaktiven Medien noch einen zusätzlichen Aspekt. Das Medium erlaubt es, jeden Mausklick zu lokalisieren, zu identifizieren, zu speichern und zu analysieren. Komplexe und hochdetaillierte Besucherprofile können durch die Bewegungen im Netz abgelesen werden so wie mit Kreditkartenbewegungen. Sogenannte “Cookies” werden angeboten, die sich dann als Miniprogramme in den Benützercomputer transferrieren und den nächsten Besuch einer bestimmter Seite administrativ vorberreiten. Diese “Cookies” können auch zu “Cupcakes” or “Blob's” (Binary Large Objects) anwachsen und mit dem gesamten digitalen Dispositiv plausible, persönliche Daten offerieren, die selektierte Öffentlichkeitsarbeit für Werbung, Versicherungsanstalten, Banken, Arbeitsmarkanalysten, Krankenkassen und eventuell auch staatlich polizeiliche Suchhundaktionen erlauben, wenn nicht überhaupt aufzwingen. Was sind Ihre Probleme, Krankheiten, Interessen, Wünsche, religiöse und sexuelle Orientierung, Kontakte usw...? Die alten Rasterfandungsmethoden der 70iger Jahre in Deutschland wirken vor diesen digitalen Profilerstellungstechnologien dilletantisch. Privat wird mit diesen Technologien durch die bloße Partizipation, den bloßen Gebrauch oder Besuch “öffentlich”, dh. öffentlich- halböffentlich verwertbar. Es darf deshalb nicht verwundern, daß die Frima Microsoft die führende Softwarefirma im Bereich von Filtertechnologien und dem erstellen von Besucherprofilen, Firefly Networks Inc., aufgekauft hat. Diese Technologien werden zunehmend die gesamte technologisch-soziale Landschaft mit Registrier- und Meßsensoren ausstatten. Die Informationen des ins Mobiltelephon eingebauten GPS (Global Positioning System) liefern nicht nur Gerichtsevidenz in Mordfällen durch den bloßen Empfang eines x-beliebigen Telephongesprächs, daß der Täter in der Nähe des Tatortes geführt hat, sondern sind mittlerweile auch für jeden Konsumenten und ihren besorgten oder eifersüchtigen Partnern sowie Eltern zugänglichany consumer, concerned parent, or jealous partner .. Auch begrüßen immer mehr digitale Telephonrezeptionen die Telephonierenden automatisch mit deren Namen und Identifikationscods (z. B. Kontonummern, Versicherungsnummern usw.), die durch die anrufende Telephonnummer aktiviert wird. Im Moment des Wählens sind alle Daten der gegenüberliegenden Stelle ohne Zeitverzug bis ins Detail bekannt und verfügbar. Wen dürfte es verwundern, wenn Meinungsforschunginstitute, die wesentlich den öffentlichen Meinungsbildungsprozeß beeinflussen - politisch wie auch ökonomisch -, ebenfalls auf Technologien zurückgreifen, die es ihnen in Borges'scher Weise erlauben, weitreichende statistische Daten in kürzester Zeit von einer Population fast in der Größe der Gesamtpopulation zu sammeln?
Privater Schutz wird mit den heutigen und morgigen digitalen Informationstechnologie beinahe zur Farce. “Privat” heißt unter der neuen Industrienorm “Information nicht weiterverwertbar”, “öffentlich” dementsprechend “Information vielseitig verwertbar”. Das Individuum verdoppelt sich heute, wird zum Info-Doppelgänger und nimmt einen schattenartigen Datenkörper in Überwachungs- und Verwaltungszentren an. Doppelöffentlichkeit verweist somit nicht nur auf die Verdoppelung der Konsumptions- und Kommunikationsrealität am Internet, sondern auch auf die der elektronischen Daten-Omnipräsenz. Teilnahme an der Öffentlichkeit steht heute auch für den Mausklick am Internet, die Benutzung von Telephonen, Computern, Kreditkarten, Medikamenten, Transportmitteln und viele andere Serviceleistungen. Simultane Populationsprofile werden erstellt. Nun kann eine unbegrenzte Anzahl von Menschen individuell bis in die kleinsten und intimstsen Bewegungen, ja selbst bis zur genetischen Information hinein beobachtet, berechnet und schlußendlich manipuliert werden. Die Sammlung und Verwertung von demographischen Daten geschieht schon seit dem 17. Jahrhundert und dominiert nicht zuletzt als Bevölkerungsumfragen den modernen Wahlkampf, die öffentliche Meinung und die politische Praxis. Was im traditionell politischen Sinne als Öffentlichkeitsverlust beklagt werden darf, wird durch Öffentlichkeitsbefragungen anderswertig mittels Filterdatenbanken wieder gut gemacht. Die Miniaturisierung und Immaterialisierung von Technologien erlaubt es den Benutzern, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag ihre digitalen Kommunikationsassistenten und Arbeitsplattformen mühelos mit sich, am Körper - Cyborgtheorien sprechen von implantierer Technologie - herumzutragen, was die Teilnehmer/innen permanent erreichbar, kontaktierbar und somit auch öffentlich und überwachbar macht. Schulen und Universitäten müßten dazu übergehen, Studenten den bewußten und vorsichtigen Umgang mit ihren Daten und der dazugehörigen Technologie zu erlernen, ihnen beizubringen, was alles daten- und informationsfähig ist, sie dahinhingehend zu sensibilisieren, damit sie kritische Gegenstrategien entwickeln können. Faktisch aber sieht es so aus, daß eher Babies und Kinder an die Beobachtungs- oder Überwachungskameras in Kindergärten, Vorschulen und Schulen gewöhnt werden , als daß Schüler und Studenten gegenüber diesen Überwachungstechniken kritisch aufgeklärt und eingestellt werden.
Rainer Ganahl, März, April 1998(kolapst. der diversen spaheren am compter.. nicht zu vergleichen mit arbeit.....
was am www stattfindet, passiert auch in der entwicklung dr programme... zentrierung von diversen funktionen auf einem program.. von dem aus alles bewegt und erreicht werden kann...
japan times: zeitungen.... informationsindividualisierung..
june Friday, 6/5/98 Eric johnston, Newspapers still have a place in a high-tech age. “From a technological standpoint, one solution proposed was the introduction, through the Internet, of personalized news services that would allow customers to preselect the news they wish to receive. ....
das reflektiert auch die merger politics der firmen... jede neue funktion wird im system integriert... (aufgekauft)...usefriendlyness..
cyberspace as real estate.... miniaturisierung, verbilligung.. PAGE PAGE 15

cf. Jürgen Habermas, Strukturwandel der öffentlichkeit, S. 26 ff
Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, S. 163 ff
vgl. Horst Möller, Vernunft und Kritik - Deutsche Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, Frankfurt 1986, S. 294
vgl. Bernhard Giesen, Kay Junge, Vom Patriotismus zum Nationalismus, Zur Evolution der “Deutschen Kulturnation”, in: Bernhard Giesen (Hrg.), Nationale und kulturelle Identität, Studien zu Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit, Frankfurt am Main, 1991, S. 266 ff. ; die Horst Möller Referenz ist wie wie der gesamte Absatz diesem empfehlenswerten Buch verpflichtet.
vgl. Jürgen Habermas, S 95 f.
vgl. Sennett, The Fall of the Public Man, 18 ff
Habermas, 36 ff.
Theodore W. Adorno, Meinungsforschung und Öffentlichkeit, in Adorno, Soziologische Schriften I, S 533 ff.
Habermas, S. 194
Buchtitel von Noam Chomsky, der diese Phenomene der Presse detailiert untersucht.
Pierre Bourdieu, Sur la télévision, suivi de L'emprise du journalisme,
vgl. aufgezeichnetes Gespräch zwischen Richard Sennett, Thomas McDonaugh und Rainer Ganahl, April 1998
vgl. Kuge, Negt, S 41 ff
Es sollte nicht vergessen werden, daß die Gaststätten in ganz Europa bis in das 20. Jahrhundert hinein oft Orte der kritischen Öffentlichkeit waren, was immer wieder Zensuren, Lizenzentziehungen, Überwachungen, Denunziationen und jede andere Form von Unterdrückung und Einschränkung provozierte.
Kluge, Negt, öffentlichkeit und Erfahrung...
ebenda 12 ff
ebenda 328 ff
ebenda 327; Friedrich Engels arbeitete ab 1843 als Intellektueller für die Chartisten, deren Erfahrung auch Marx sehr viel verdankt; siehe S. 324ff
ebenda 352
Auf keinen Fall soll hier der Eindruck einer historischen Nivelierung das Wort entstehen. Alle die angespielten Beispiel sind in ihrem Schicksal, ihrer Konsequenz und ihrer Kausalität unvergleichbar. Auch sollen die unterschiedlichen Grade von Organisation, Logistik und ideologischer Produktion und Zusammenhang nicht unterschlagen werden.
Computer in weißen und schwerzen Haushalten in den USA: 44.3 % und 29 %; Computerzugang von weißen und schwarzen Studenten: 73 % und 31.9 %; Verwendung des Internets in der vergangenen Woche während der Befragung: Weiße und Schwarze mit Jahreseinkommen unter 40.000 $: 5.9 % und 1.1 %; mit Jahreseinkommen über 40.000 $: 19.2 % und 17.1 %. vgl. Amy Harmon, Racial Divide Found on Information Highway, in: New York Times, 17. April 1998.
3.7 Billionen Dolllar Verkaufsvolumen am Internet im Jahre 1997. siehe: Jennifer Steinhauer, Old-Line Retailers Resist On-Line Life, in: The New York Times, April 20, 1998, D1.
The New York Times, John Markoff, “Microsoft Joins Privacy Debate With Acquisition,” Friday, April 10 98
In einer Geschichte von Borges ist die Landkarte so groß wie das Land.
Die New York Times veröffentlichte mehrere Berichte 1997/98 zum Thema der Kindergartenkameras für arbeitende Eltern mit Internetanschluß. siehe Kants Kritik der Urteilskraft, Hegels Aethtek neben einer Flut von Literatur über Aestetik.

 

 

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introduction to the book:

 

Es ist äußerst ärgerlich ....
Rainer Ganahl
Es ist äußerst ärgerlich, was sich so alles auf den Büchertischen in den Pariser Buchhandlungen zum 30. Jahrestag der '68er Ereignisse findet: Ob es sich um Interviews mit Protagonisten, historische Analysen, einfache Erzählungen, visuelles Material oder Graffiti handelt, diese aufwendig gemachten Bücher kosten zu viel und sind gegen Ladendiebstahl gesichert.
Aber es ist noch ärgerlicher und seltsam, wenn ich Bücher von Julia Kristeva sehe, die auf der Suche nach einem “nouveau sacré”, einem Neuen Heiligen sind. Revolte ist für Kristeva nicht mehr länger politisches Aufbegehren als fundamentaler Ausdruck im Verlangen und Durchsetzen von Freiheit, die Unterdrückung und einen repressiven Status quo überkommen kann. Sie reinterpretiert Revolte vielmehr als etwas intimes, privates und psychoanalytisches. Die Bücher, auf die ich mich beziehe heißen Contre la depression nationale und Les femmes et le sacré und sind nicht unweit von den Neuerscheinungen zu den Ereignissen von 68. Die in diesen Büchern vertretene Position trifft sich mit dem, was sie in dem hier abgedruckten Interview mit mir geäußert hat. Ich bin komplet gegen ihre Reinterpretation von Revolte und ihre Einstellung gegen Politik und Feminismus. Gerade weil Julia Kristeva oft mit radikalen politischen und fiministischen Positionen in Zusammenhang gebracht, finde ich es wichtig, eine breitere Diskussion zu diesen Themen zu führen, etwas, das ich mit einer kritischen Diskussion zu ihr via Internet erhoffte.
Es gibt aber auch neue Aktivitäten am französischen Buchmarkt, die nichts mit der Diskrepanz zwischen den Ereignissen von 1968 und ihrer Vermarktung zu tun haben. Zum Beispiel gibt es eine sehr billige Buchreihe - zwischen 10 und 30 FF, also kaum der Preis eines Sandwiches oder einer Zeitung - deren Inhalte ermutigend und politisch engagiert sind. Anders als die Position des ausrangierten '68 Protagonisten Jean Baudrillard, der nun eine neue Karriere im Denunzieren der Auswirkungen von Widerstand und Unterdrückung gefunden hat, sind diese neuen Bücher von Pierre Bourdieu und einer Gruppe von weit weniger bekannten, jedoch sozial ebenso kritischen Autoren stimulierend und unterstreichen die Wichtigkeit von unabhängigen und politisch engagierten Verlegern. Heute fallen liberale und kritische Verlagshäuser den neuen Marktstrategien und ihren aggressiven Fusions- und Übernahmetaktiken zum Opfer. Es sind nicht mehr die kritischen oder literarischen Qualitäten, die entscheiden, was in Druck erscheint, sondern das Verkaufspotential, seit sich der neo-liberalen Markt als omnipotent und unbezwingbar wahrnimmt.
Es ist ebenfalls äußerst ärgerlich, daß der Studentenrevolte in Indonesien - die während ich diesen Text schrieb, im Sommer 1998 - so schwerwiegende rassistische Dimensionen anhafteten. Studenten und Arbeiter revoltierten nicht nur gegen das oppressive Regim von Suharto, sondern vandalizierten und brannten Geschäfte der im Land lebenden chinesischen Minderheit nieder. Trotz der Widersprüche in deren Aufstand, möchte ich dennoch hervorheben, daß organisierter und gerechtfertigter Widerstand Erfolg hat, und das selbst in sogenannten “post-historischen”, neo-liberalen, bankokratischen Gesellschaften. “No regime last forever”, kein Regime hält ewig - so lautet eine Werbekampagne eines amerikanischen Netzkonzerns, die trotz ihres Charakters als Werbung wahr ist: Unterdrückung und Ungerechtigkeit können überkommen werden. Im Falle Indonesien war die erfolgreiche (aber leider blutig) Studentenrevolte von den Medien gut dokumentiert. Für die nicht-westliche Welt trifft im allgemeinen Gil Scott Heron's poetische Projektion “the revolution will not be televised” (Die Revolution wird nicht im Fernsehn zu sehen sein) zu, obwohl sich das nun durch das weltweite westliche Investieren verändert hat. Revolten und Studentenproteste außerhalb von Europa und den USA verliefen meistens ohne besondere Medienberichterstattung. Es wurde sehr viel zu den '68-Ereignissen in Paris, Frankfurt, Berlin und Berkeley geschrieben und veröffentlicht. Aber man vergißt die vielen Studenten und jungen Rebellen, die um die gesamte Welt - von Südamerika über Afrika und Asien - ihr Leben lassen mußten und nicht vor internationalen Fernsehkameras und Nachrichtenreportern geschlagen und ermordet wurden.
Mein Parisbesuch ermöglichte mir die Suche nach Büchern, die kurz nach den '68 Ereignissen die Themen Revolte, Revolution und Utopie behandelten: De la Révolution aux révoltes (Von der Revolution zur Revolte), (Jacque Ellul), Phénoménologie de l'esprit révolutionnaire (Phänomenologie des revolutionären Geistes) (Vittorio Mathieu), On a raison de se révolter (Man hat das Recht, zu revoltieren) (Jean-Paul Sartre) und Ütopiques: Jeux d'espace (Utopisch - Raumspiele) (Louis Marin) um nur einige hier zu nennen. Obwohl ich sehr gerne diese Bücher lesen, wiederlesen und sorgfälltig studieren möchte, ist es unmöglich, dieses massive und oft theoretisch überdeterminierte Material in dieses kleine, begrenzte Buchprojekt aufzunehmen. Dasselbe trifft auch für Karl Marxs Theorien zu. Mein Projekt bleibt deshalb beschränkt und kann nicht das riesige Volumen von akademischen Studien zu diesem Thema reflektieren. Diese Arbeit bleibt jemandem anderen vorbehalten. Ich jedoch bin gegen die Art und Weise, wie einige Künstler, Filmemacher und Verleger sich die nostalgische Aura revolutionärer und terroristischer Aktivitäten der 60er und 70er Jahre und deren verbleibenden Bilder, TV-Materialien, Graffities und anderen Relikte aneignen. Folklore und Nostalgie für den Chic von Revolte und Mode der '68er verlaufen Hand in Hand und verkaufen sich gut. Zunehmend verwandeln sich die Buchhandlungen des Quartier Latin's in Modeboutiquen. Gleichzeitig aber eignet sich die Modeindustrie den Flair von Bibliotheken und radikalen Büchern für ihre Werbekonzepte an.
In new yorker Luxuskaufhäusern dienten sogar die Verso-Neuausgaben des Kommunistischen Manifests von Karl Marx zur Schaufensterdekoration ihrer Haute Couture Artikel. Ironischerweise beschreibt gerade dieser Marxtext sehr genau die Verhältnisse derjenigen Klasse von Leuten, die sich diese Modeartikel zulegen. Er zeigt detailliert auf, wie das Bürgrtum ständig die Produktionsmittel und die Produktionsverhältnisse revolutionieren muß und umgekehrt diese die sozialen Verhältnisse verändern. Die Konsequenzen davon sind Unzufriedenheit, permanente Unsicherheit und dramatische Veränderungen, also Zustände, die die Menschen ihr Leben mit nüchternen Augen sehen lassen. Modes ist deshalb eine geeignete Hülle für die Körper von Individuen, die übernacht ihre Jobs und Aktienportfolios verlieren können. Das Manifest von Marx nimmt auch jene sozio-ökonomische Situation vorweg, die heute Globalismus genannt wird. Marx weiß, daß Produktionsmittel und Know how - einschließlich Software - sich in den Händen von Wenigen dank einer Revolution der Transportmittel- und Kommunikationsinfrastruktur monopolisieren (Microsoft, Boing, Airbus, DaimlerChrysler, etc...). Marx zeigt auf, wie Märkte sich weitweit ausweiten, außer Kontrolle geraten, finanzielle Krisen, militärische und Handelskriege provozieren. Das Buch von Karl Marx, das in den Schaufenstern Manhattans Kleider und Schuhe anzubieten hilft, beschreibt sehr getreu, wie Fraue und Kinder in den Textilfabriken ausgenützt werden und wie (neo)koloniale Ausbeutungsverhältnisse die Basis des Kaptialismus ausmachen. Marx sagt Widerstand und Revolte voraus - etwas, das wir auf CNN mit Bildern aus Indonesien sehen konnten, während ich dieses Vorwort schrieb (nun, neun Monate später, sind es Kriegsbilder aus Kosovo).
Im Moment, in dem Wall Street und die finanziellen Weltmärkte ihre Kontrolle über die Ersparnisse und das Vermögen der Mittelklassen der gesamten Welt verlieren und lokale und nationale Industrien durch gigantische Firmenfusionen gefährden, kann Reichtum sehr schnell verdampfen, etwas, das wir in Asien beobachten konnten und selbst vereinzelt in amerikanischen, japanischen, französischen, schweizer und britischen Finanzinstituten. The boom verkehrt sich, die Kleider fallen auf die Bücher und die Revolte der besitzlosen, verarmten, ungeschützten Klassen könnte wieder immanent sein.
Die Idee dieses Buches geht zurück auf eine Einladung zu einem Kunst-im-Öffentlichen-Raum-Projekt in Genf von In Vitro, einer kleinen Initiative des Künstlers Gianni Motti, die mit öffentlichen Werbeflächen und einer Verkaufsvitrine an der Straßenbahnhauptstation arbeitet.